Herr Goetschel, was lösen die Bilder der toten und verwundeten Pferde von Hefenhofen in Ihnen aus?
Antoine F. Goetschel: In den 700 Straffällen, die ich als Zürcher Tieranwalt behandelt habe, habe ich fast alles gesehen. Ich habe mir angewöhnt, mich nicht von negativen Emotionen leiten zu lassen. Als Mensch stimmen mich die Bilder natürlich traurig. Als Fachperson frage ich mich aber vor allem, was falsch läuft in einem System, wenn eine Person die Behörden so lange an der Nase herumführen kann und Tiere darunter leiden müssen.
Und zu welchem Schluss kommen Sie?
Strengere Gesetze hätten diesen Fall nicht verhindert. Die Schweiz hat eines der besten Tierschutzgesetze der Welt. Die Probleme liegen im Vollzug: Heute sind die Kontrollen in jedem Kanton anders geregelt. Oft sind es Bauern, die die Bauern kontrollieren. Es gilt nun, die Missstände auf nationaler Ebene systematisch zu analysieren und Lehren daraus zu ziehen. Wichtig wären etwa Statistiken, die Aufschluss darüber geben, wie oft die einzelnen Kantone bei Nutztierhaltern intervenieren.
Sie gehen also nicht davon aus, dass es sich bei Ulrich K. um einen Einzelfall handelt?
Nein. Es gibt wohl verschiedene ähnlich gelagerte Fälle, von denen die Öffentlichkeit nie erfährt. Im Thurgau sind zwei sehr renommierte Tierschützer aktiv. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die Missstände ans Licht kamen. Insofern ist der Fall Hefenhofen – so grausam er für die verendeten Pferde ist – ein Glücksfall für den Tierschutz.
Wo orten Sie denn die gröbsten Probleme?
Von den Bauern, die Bauern kontrollieren, haben wir schon gesprochen. Da heisst es am Mittwochabend beim Kegeln: «Hör mal, Heiri, ich komme dann nächste Woche zur Kontrolle vorbei. Schau, dass die Schweine dann genügend Einstreu haben.» Zudem haben die Kantonstierärzte eine sehr undankbare Aufgabe: Sie haben einen ellenlangen Aufgabenkatalog zu bewältigen und werden sowohl von den Tierschützern als auch von den Tierhaltern angefeindet. Dazu kommt, dass die eine Behörde oft nicht weiss, was die andere tut.
Was tun? Muss die Politik aktiv werden?
Die Politik sollte erst dann auf den Plan treten, wenn die Missstände von Fachpersonen konkret benannt werden können und wirksame, mehrheitsfähige Lösungsvorschläge vorliegen. Sonst passiert dasselbe wie im Fall Süleyman, als 2005 ein Bub im Kanton Zürich von einem Kampfhund zerfleischt wurde. Sofort fühlte sich jeder Politiker – von der lokalen bis auf die nationale Ebene – berufen, eine schärfere Hundegesetzgebung zu fordern. Das Resultat war ein unmöglicher Flickenteppich, der weder den Menschen mehr Sicherheit brachte noch den Hunden bessere Haltungsbedingungen. Es gilt, die Sache mit warmem Herzen und kühlem Kopf anzugehen.
Eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft stellte bereits 2013 «auffallende Vollzugsunterschiede» zwischen den Kantonen fest (siehe Box). Warum ist seither nichts passiert?
Ein Problem ist, dass den Tieren eine glaubwürdige und mehrheitsfähige Lobby fehlt. Die Tiernützer, also die Landwirte, sind sehr stark vernetzt und politisch hochkompetent. Die Tierschützer hingegen werden vor allem dann wahrgenommen, wenn sie laut sind. Politisch sind sie aber teilweise wenig schlagkräftig und juristisch leider nicht immer beschlagen genug.
Tierschutz und Veganismus sind doch aber en vogue. Warum gelingt es den entsprechenden Bewegungen nicht, Likes in politische Macht umzumünzen?
Tatsächlich gewinnt der Tierschutz im Fundraising an Bedeutung. Allerdings liegt der Fokus dabei oft eher auf ethischen denn auf rechtlichen Fragen. Man fordert Menschenrechte für Affen – macht sich aber beispielsweise nicht dafür stark, dass die Behörden und Tierschutzvertretende besser gegen problematische Tierversuche vorgehen können. Jö-Tierschutz mit Baby-Igeln oder Katzenselfies dominiert die sozialen Medien. Und die Presse hangelt sich von Skandal zu Skandal, ohne den Tierschutz als gesamgesellschaftliches Anliegen wahrnehmen zu lassen.
Sie waren der weltweit einzige offizielle Tierschutz-Anwalt – bis der Kanton Zürich Ihre Funktion wieder abschaffte. Gehen Sie davon aus, dass Sie einen Fall wie jenen in Hefenhofen hätten verhindern können?
Wenn ein Tierhalter über Jahre strafrechtlich immer wieder auffällig geworden wäre, wie dies Ulrich K. tat, hätte ich den Fall wohl auf dem Radar gehabt und bei den Verwaltungsbehörden ein Tierhalteverbot angeregt. Und ich hätte die Behörden juristisch unterstützen können, damit es nicht zu Verfahrensfehlern kommt. Gegen K. hat ja das Veterinäramt schon früher ein totales Tierhalteverbot verhängt. Wegen eines formalen Fehlers haben die Bundesrichter dieses jedoch aufgehoben.
Sie hatten es in Ihrer Karriere mit vielen Tierquälern zu tun. Haben Sie eine Erklärung dafür gefunden, warum Menschen andere Lebewesen so behandeln?
Früher dachte ich, ein Tierquäler sei eine Person, die gemein zu Tieren ist, weil sie Freude am Quälen hat. Als ich dann meinen Job antrat, merkte ich, dass die allermeisten Tierquälereien durch Vernachlässigung entstehen. Viele der betreffenden Personen vernachlässigen sich selbst, ihre nächsten Menschen und ihren ganzen Hof. Sie sind seelisch verklebt, können sich nicht in andere Lebewesen hineinversetzen. Aber ich bin kein Psychiater – das ist nur mein ganz persönlicher Eindruck.