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Du willst nur das Beste? Voilà:
Morgane, woher kommst du?
Morgane: Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Franzose, geboren und aufgewachsen bin ich in Zürich, jetzt lebe ich in Berlin. In meinem Pass bin ich Französin.
Was ist dein Heimatland?
Morgane: Frankreich. Das ist mein Familien- und Ferienland. Ich bin ein Atlantik-Kind.
Und die Schweiz? Was liebst du an der Schweiz?
Morgane: Das Kleine. Das Überschaubare. Die Nestwärme aus meiner Kindheit und Jugend. Und immer wieder die Rückkehr ins alte Nest, besonders jetzt, wo ich mir in Deutschland ein neues gebaut habe. Das ist ein riesiges Privileg.
Jetzt verwüstet ihr in «Heimatland» die Schweiz mit einem riesigen Sturm, der die Menschen zu Gewalt, Selbstmord und Flucht treibt. Wieso?
Jan: Der Film soll ein Weckruf, ein Anlass zur Diskussion sein, ein Appell, nachzudenken. Als wir vor vier Jahren mit der Arbeit an «Heimatland» begannen, radikalisierte sich die Politszene, aber aus der Kulturszene kamen keinerlei Reaktionen. Wir wollten unseren Film nicht als Manifest gegen etwas positionieren, sondern als Vision, die sich diskutieren lässt. Wir wollten uns auch nicht aus dem Problem ausklinken, wir sind Teil des Problems. Wir sind auch schuld. Wir können nicht immer nur nein sagen und dagegen sein.
Etwas Ähnliches haben sich in den letzten Wochen auch Lukas Bärfuss und andere Kulturschaffende gesagt. Hast du das mitverfolgt?
Jan: Ich habe die Diskussion am Rande mitverfolgt, aber gleichzeitig war ich sechzehn Stunden täglich im Keller und schnitt meinen neuen Film.
«Europe, She Loves» heisst der. Ist das eine Art Fortsetzung von «Heimatland»?
Jan: Der Film stellt sicher ähnliche Fragen, es geht um vier Paare in Sevilla, Dublin, Tallin und Thessaloniki, die versuchen, die Wirtschaftskrise zu überleben – viel Sex und Drogen sind dabei wichtig.
Sex gibt’s ja auch in «Heimatland». Morgane muss masturbieren, mitten im Sturm.
Morgane: Sex ist in einer derartigen Wahnsinnssituation absolut menschlich.
Jan: Das lässt sich ja auch statistisch belegen: Im Moment der Angst ist der Überlebenstrieb am grössten. Die Blackouts von New York 1977 führten zu einem Anstieg der Geburtenrate um 35 Prozent.
Was bedeutet Morganes Episode – zwei Partypeople ziehen durch ein apokalyptisches Basel, tanzen in Guy-Fawkes-Masken zu Techno, trennen sich, sie holt sich einen runter – jetzt innerhalb von «Heimatland»?
Jan: Das ist unsere Szene. Unsere Generation. Wohlstandsverwahrlost und immer mit dieser «Ah, lässig, es passiert was»-Haltung. Und Angst-Verdrängung via Party.
So also seid ihr?
Jan: Eskapismus ist unser Volkssport. Darin sind wir gut.
Hast du bei dieser Episode Regie geführt?
Jan: Wir haben einen bundesrätlichen Ansatz. Wir verraten nicht, wer wo Regie geführt hat.
Ihr wart 10 Regisseure für 10 Episoden. Ich stelle mir das irrsinnig schwierig vor. Ungefähr wie die allermühsamste WG. Möchtest du das nochmals machen?
Jan: Nein! Das war klar, dass das eine einmalige Sache ist. Jeder von uns wollte mal aussteigen. Aber im Kern glaubten wir alle daran und wollten das unbedingt machen. Unser Plan war ja auch, dass durch die Vielfalt ein Gesamtgefühl für unser Heimatland entstehen sollte. Nicht einfach nur die individuelle Schweiz-Sicht eines einzelnen Regisseurs.
Was sind eigentlich eure liebsten Katastrophenfilme? «Heimatland» ist ja schon mit einem eher amerikanischen Selbstbewusstsein gedreht.
Morgane: Ich muss schnell überlegen ...
Jan: Keiner. Wir sind alle keine Katastrophenfilm-Fans. Wir hatten die Idee mit dem Endzeit-Sturm und wollten in diesem Sturm mehrere Geschichten versammeln. Wir schrieben gut 30 Leute an und erhielten 25 Ideen. Denn alle fühlten sich unwohl mit der Schweiz. Mit diesem politischen Referenzsytem, das so weit nach rechts geschwungen ist. Wenn wir gesagt hätten, hey, wir machen einen Film über die Liebe in Zürich, hätte keiner reagiert. Aber alle zehn Geschichten gingen von Figuren aus. «Heimatland» ist entsprechend ein Hybrid zwischen einem klassischen Independent-Ensemble-Film und dem Genre Katastrophenfilm.
Ihr hattet nicht das Gefühl, endlich mal Hollywood in den Schweizer Film reinbringen zu wollen. Der Film ist jetzt einfach ein bisschen Hollywood geworden.
Jan: Ja, das ist lustig. Denn dafür, dass wir überhaupt einen Gemeinschaftsfilm machen konnten, mussten wir die Mittel extrem reduzieren. Es gab nur Handkameras ...
Aber ein paar Dinge waren dann doch teuer: ein zerlegter Supermarkt, zu Schrott gefahrene Autos ...
Jan: Die Autos hat uns ein Garagist für 30 Franken gegeben, die waren schon viel zu kaputt.
Es spielen unglaublich viele Leute mit, von denen man die wenigsten kennt.
Jan: Wir haben extrem viel gecastet, wir suchten nach Gesichtern, die man noch nicht so deutlich aus Film und Fernsehen kennt. Für die Rolle eines Innerschweizer Neonazis etwa wäre natürlich Mike Müller ideal gewesen, aber dann hätten in seiner Figur alle nur Mike Müller gesehen.
Der Film hatte im August in Locarno eine umjubelte Premiere. Morgane, du hast ihn da zum ersten Mal gesehen. Wie war das?
Morgane: Ich war geflasht. Das erste Mal ist nie objektiv. Bei einigen Szenen konnte ich mich an Bilder erinnern, die ich davor schon gesehen hatte, bei anderen vergass ich alles, und sie trafen und bewegten mich enorm. Und mich selbst zum ersten Mal zu sehen, besonders, wenn es so viele nackte Sachen gibt und 3000 Leute schauen dir dabei zu ... ich sass nur noch total verkrampft im Sessel.
Jan: Deinem Partner ging es ja auch so. Als da plötzlich sein Schnäbi zu sehen war ...
«Heimatland» läuft ab Do, 12. November, in den Schweizer Kinos.