Sag das doch deinen Freunden!
Herr Roth, wie haben Sie reagiert, als Sie vom Suizid von Starkoch Benoît Violier vernahmen?
Markus Roth: Es ist unglaublich tragisch. Man kann es fast nicht glauben. Das gibt einem schwer zu denken. Auch weil er eine Familie hinterlässt.
Haben Sie Violier gekannt?
Nicht persönlich, aber seine Küche kennt in der Branche jeder. Benoît Violier hat alles erreicht, was man in der Branche erreichen kann. Er wurde zum «Koch des Jahres 2013» gekürt, Gault Millau zeichnete ihn mit 19 von 20 Punkten und Michelin mit drei Sternen aus. Aber der Druck in dieser Liga ist gigantisch.
Woher kommt der Druck?
Die Luft in diesen Höhen ist extrem dünn. Auf diesem Niveau zu kochen, bedeutet ein so enormes finanzielles Risiko, dass man es kaum alleine tragen kann. Man braucht einen Financier oder einen schwerreichen Sponsoren. Wie Violiers Situation genau war, weiss ich nicht.
Warum ist das Risiko so hoch?
Ein neuer Gault Millau-Punkt bedeutet nicht nur, dass man das Menü auf einem gewissen Niveau halten muss. Es bedeutet sehr viel mehr. Mit jedem Punkt braucht man besseres Personal, bessere Outfits, irgendwann muss das Metall-Besteck mit Silber ausgetauscht werden, ein neuer Weinkeller gebaut oder ein Sommelier eingestellt werden. Es gibt Köche, die wechseln ihr Geschirr jedes Jahr komplett aus. Das sind immense Summen.
Violier hätte am Montag in Paris der Veröffentlichung des Guide Michelin 2017 beiwohnen sollen. Denken Sie sein Entschluss sich umzubringen, könnte damit zusammenhängen?
Das weiss niemand. Klar ist, dass in einer solchen Liga jede kleine Instabilität im Leben eines Kochs oder ein Punkteverlust existenzbedrohend sind.
Existenzbedrohend?
Ja, als Spitzenkoch muss man jeden Tag das Allerbeste leisten, was man nur kann – das Maximum an Perfektion, alles muss funktionieren. Denn jeden Tag kommen neue Gäste mit denselben immensen Erwartungen. Egal ob der Koch krank, traurig oder glücklich ist, muss er diese erfüllen.
Die Gäste bezahlen ja auch nicht zu knapp dafür.
Ja, das stimmt. Sie bezahlen auch dafür, dass der Koch noch an jedem Tisch einzeln einen guten Abend wünscht. Und währenddem er schon bald auf dem Zahnfleisch kriecht, überhäufen ihn seine Gäste mit Glückshormonen. Was das alles eigentlich kosten würde, kann man keinem Gast zumuten.
Sterneköche verdienen nicht gut?
Gemäss dem Branchenverband liegt der Gewinn eines Gastronomen bei einem Prozent. Nur einem Prozent. Stellen Sie sich das mal vor. Wenn man einen kleinen Fehler in der Buchhaltung nicht sofort bemerkt, kann das schon eine Katastrophe bedeuten. Die Gastrobranche hat extrem schlechte Rahmenbedingungen, auch in dieser Liga.
Wie gross ist die Angst vor den Testern?
Die sitzt einem ständig im Nacken. Früher kannte man diese noch, heute nicht mehr. Und niemand weiss, wie ihre Bewertung genau zustande kommt. Heute sind sie ein bisschen weniger streng und stufen erstmal nur einen Punkt zurück, wenn sie nicht zufrieden sind. Ich denke, das war eine Anpassung nach dem Suizid des Basler Spitzenkochs Friedrich Zemanek im Jahr 2011.
Sie selber erhielten 2013 zum ersten Mal 15 Gault Millau Punkte. Zwei Jahre später verloren sie wieder einen Punkt. Wie haben Sie es verkraftet?
Es war okay für mich. Ich habe den 15. Punkt zunächst nicht einmal angestrebt. Ich denke, er wurde mir verliehen, um mich zu motivieren, mich noch weiter zu steigern. In der Küche des Lenzburger «Hirschen» stiess ich aber effektiv an Kapazitätsgrenzen. Sie ist schlicht zu klein, um noch weiter hochzuschrauben.
Sie haben also Anfang diesen Jahres nicht wegen des Drucks aufgehört?
Nein, weil der Mietvertrag endete und der Besitzer renovieren wollte. Meine Frau und ich gönnen uns jetzt eine Auszeit. Aber ja, auch ich habe meine Grenzen gespürt.