«Camimiz çok şükür bir hayat kurtardı – Unsere Moschee konnte Gott sei Dank ein Leben retten.» Dieser Satz steht seit gestern Morgen auf der Facebook-Seite der Moschee Diyanet in Werrikon.
Geschrieben hat ihn Nedim Coskun, der Sekretär der Ustermer Religionsgemeinde. «Wir sind glücklich und stolz, dass wir einem Menschen in Not helfen konnten», sagt er. «Das Gotteshaus war am richtigen Ort.»
Die Tat geschah am Dienstagabend: Aus unbekanntem Motiv versuchte ein 40-jähriger Mann an der Zürichstrasse in Werrikon seine 38-jährige Frau mit dem Auto zu überfahren. Sie flüchtete in die nahe gelegene Moschee, wurde aber von ihrem Ehemann eingeholt und mit einem Messer am Oberkörper schwer verletzt, wie die Kantonspolizei schreibt.
Daraufhin ergriff der Mann die Flucht. Angehörige der Diyanet-Moschee fanden die blutende Frau, leisteten Erste Hilfe und verständigten Ambulanz und Polizei.
Fünf bis zehn Leute seien im Gotteshaus gewesen, erzählt Coskun. Diese hätten die Frau im Treppenhaus aufgefunden und den Imam verständigt, der selber auch im Haus wohnt. «Weil er nicht so gut Deutsch spricht, hat er zuerst mich angerufen und gesagt, ich solle einen Krankenwagen und die Polizei alarmieren.»
Der Frau habe der Imam ein Handtuch an den Hals gedrückt, um die Blutung zu stoppen. «Die Frau war in Panik und hat geschrien: ‹Wo bin ich? Wo bin ich?›. Als sie hörte, dass sie sich in einer Moschee befinde, hat sie sich ein wenig beruhigt – so hat es mir unser Imam erzählt.»
Gemäss Angaben der Polizei handelt es sich bei der Frau und ihrem Mann, dem mutmasslichen Täter, um Schweizer, die aus dem Irak stammen. Sie wohnen in der Region und haben zwei Kinder.
Wie Coskun sagt, kenne niemand aus seiner Ustermer Religionsgemeinde das Paar. In der Moschee würden vor allem Leute mit türkischem Hintergrund verkehren. «Es ist purer Zufall, dass die Frau gerade bei uns Zuflucht gesucht hat.»
Vom Tathergang selbst habe niemand aus der Moschee etwas mitbekommen, sagt Coskun, der in Uster bei einer Versicherung arbeitet. Er könne sich nur vorstellen, dass die Frau nach einem Streit aus dem Auto herausgerannt und ins nächstbeste Haus geflohen sei. «Zum Glück war jemand da. Wäre die Tat eine Stunde später passiert, nach dem Nachtgebet, hätte sie an verschlossene Türen geklopft.»
Nedim Coskun sagt, er sei glücklich, dass eine Moschee auch einmal positiv in den Schlagzeilen stehe. Nach den Anschlägen in Paris habe seine Gemeinde einen Drohbrief erhalten. Den Tötungsversuch des Ehemannes verurteile er als Mensch und Muslim aufs Schärfste. Inzwischen ist der mutmassliche Täter gefasst. «Wir fordern seine konsequente Bestrafung.»
Der Dorfeingang von Werrikon, dort, wo der Tötungsversuch am Dienstagabend geschah, würde sich auch als Kulisse für einen «Tatort» eignen. Die Aussenwacht liegt abgeschieden, ein grosses Naturschutzgebiet trennt sie von der Stadt Uster.
Wären gestern Vormittag nicht zahlreiche Medienvertreter vor Ort, die emsig auf der Jagd nach Stimmen potenzieller Augenzeugen sind, hätte die Gegend das Prädikat «ausgestorben» verdient. Viele Häuser sind teils vergilbt, teils mit Graffiti bemalt.
Vor einem von Russspuren befleckten Gebäude mit bräunlicher Fassade preist ein Gesundheits- und und Diätcoach seine Dienste an – anzutreffen ist er jedoch nicht. Dies gilt auch für die Vertreter einer Firma, die sich gemäss Türschild auf Einbruchschutz spezialisiert hat.
Auch sonst sind fast sämtliche Gewerbebetriebe vor Ort geschlossen. Eine Ausnahme ist die Autogarage De Pasquale im selben Haus wie die Moschee. «Ich war am Dienstagabend aber schon zu Hause und habe von der Tat nichts mitbekommen», sagt Francesco De Pasquale.
«Zum Glück haben andere helfen können.» Vlado Peter, Angestellter der Hufschmiede im hinteren Hausteil, wohnt zwar im Gebäude, hat aber von der Tat ebenfalls nichts mitbekommen, «erst als die Polizei bei mir läutete und mich befragt hat».
Ähnlich ging es den Bewohnern der Wohnsiedlung auf der anderen Seite der Zürichstrasse. Einige haben am Dienstagabend vom grossen Polizeiaufgebot Notiz genommen. «Ich sah mindestens fünf Polizeifahrzeuge mit Blaulicht und einen Krankenwagen. Später kamen noch Beamte in zivil dazu», sagt ein Anwohner, der anonym bleiben will.
Auch das Opfer hat der Mann gesehen. «Die Frau wurde von zwei Sanitätern gestützt und zum Krankenwagen geführt», sagt er. Etwas Vergleichbares habe er, der seit mehreren Jahren in Werrikon wohnt, in dieser Gegend noch nie gesehen. «Man hört und liest immer wieder von solchen Verbrechen. Und plötzlich passiert es vor der eigenen Haustür.»
(aargauerzeitung.ch)