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Dirnen-Mord im Dolder: Der falsche Ritter und die Prostituierte

THEMENBILD ZUM PROZESS PROSTITUIERTENMORD IM DOLDER --- The Dolder Grand, pictured on July 17, 2013, in Zurich-Hottingen, Switzerland. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Das Grand Hotel Dolder (The Dolder Gra ...
The Dolder Grand: Hier tötete der Finanzexperte Robert S. im Herbst 2014 eine Prostituierte. Bild: KEYSTONE

Dirnen-Mord im Dolder: Der falsche Ritter und die Prostituierte

Ein ehemaliger Banker brachte 2014 im Luxushotel Dolder eine polnische Prostituierte um. Für die Anklage ein Fall von Mord, der mit 18 Jahren bestraft werden soll. Vor Gericht gesteht der 49-jährige Finanzexperte die Tat, stellt sie aber als eine Handlung im Affekt dar. 
27.07.2017, 08:2627.07.2017, 17:25
William Stern
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Plötzlich fährt Leben in diesen Körper, den bisher scheinbar nur der gestärkte Kragen des weissen Hemds aufrecht im Stuhl gehalten hatte. Robert S. blickt auf, dreht den Kopf zur Seite, präsentiert den Zuschauern ein aschgraues Gesicht mit braunen Flecken auf der Wange. Sein Blick gleitet am Rücken des Staatsanwaltes ab und bleibt an der getäferten Wand des Saals 31 des Bezirksgericht Zürich hängen.

Der Staatsanwalt war in seinem Plädoyer bei der Frage angelangt, was S. mit der Leiche anzustellen gedachte. Dem leblosen, mit Blutungen überzogenen Körper, diesen 54 Kilogramm Fleisch, Sehnen, Knochen, Flüssigkeit, die auf dem Fussboden eines Hotelzimmers im Dolder Grand lagen und die der Ex-Banker in einen Koffer unterbrachte, 55 Zentimeter Länge, 33 Zentimeter Breite, 76 Zentimeter Höhe – der «Sarg», den er sich für die Prostituierte «Kathleen» ausgesucht hatte. 

Scheinbar regungslos hatte sich Robert S. zuvor angehört, wieso er laut Anklage die nächsten 18 Jahre seines Lebens – abzüglich U-Haft und vorzeitiger Strafvollzug – hinter Gitter verbringen müsse. Nur die Finger, die die Tischkante vor ihm wie einen Schraubstock umfassten, und die Zunge, die nervös an die Wand der Mundhöhle pochten, liessen erahnen, dass S. registrierte, was um ihn herum geschah.

Für die Anklage ist klar: Robert S. hatte die Tat geplant, das Zimmer im Dolder gemietet, um seine Tötungsabsicht zu vollziehen. Er hatte, entgegen den Regeln des Bordells, in dem Kathleen arbeitet, ein privates Treffen vorgeschlagen. So wähnte er sich sicher, dass Kathleen niemandem von dem Treffen erzählte. Im Zimmer sedierte er sie mit dem Betäubungsmittel Diazepam, schlug sie, kniete sich auf sie, hielt ihr die Atemwege zu und erwürgte sie schliesslich. Den Leichnam legte S. in einen mitgebrachten Reisekoffer, transportiere diesen in seine Wohnung am Zürichsee und lagerte ihn für sieben Tage in einem ausgeräumten, gekühlten Weinschrank im Keller. 

«Narzisstisches Refugium»

Liebe, Weisheit, Treue. Im Eingangsbereich des Bezirksgerichts Zürich stehen drei Lebensprinzipien in Stein gemeisselt. Sie streiften auch S.' Leben in den letzten Jahren, um sich dann wieder weit zu entfernen.

Mord oder vorsätzliche Tötung?
Der Staatsanwalt verlangt wegen Mordes eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Die fast drei Jahre, die er bereits in der Strafanstalt Pöschwies sitzt, würden davon abgezogen. Zudem soll er eine ambulante Therapie absolvieren. Die Verteidigung plädiert auf vorsätzliche Tötung und ein Strafmass von 10,5 Jahren. Die Anwältin der Opferfamilie fordert eine Genugtuung von insgesamt 250'000 Franken. (wst/sda)

An diesem ergrauten, wolkenverhangenen Sommerdienstag wird am Bezirksgericht Zürich zuerst die Liebe verhandelt. Oder das, was vorgibt, Liebe zu sein. Robert S. hatte sich in eine rotlichtschimmernde Scheinwelt verirrt, sich ein «narzisstisches Refugium» aus käuflichem Sex zusammengezimmert. Wie ein «Ritter und Geliebter» wollte er laut Anklage von den Prostituierten gesehen werden, wie ein Märchenheld habe er sich gegeben, der die Prostituierten aus ihrem Elend befreien und sie an seinem «grossartigen Leben» teilhaben lassen wollte. Der Angeklagte habe sich die «Cinderella-Theorie» zu eigen gemacht, so der Staatsanwalt.

Mit leiser, monotoner Stimme hatte Robert S. zuvor dem Gericht geschildert, wie aus dem Leben eines erfolgreichen Bankers und Anlagechefs, aus seinem eigenen Leben also, ein Trümmerfeld wurde. Wie er nach der Kündigung in Depressionen fiel, aggressiv wurde. Sich aber nicht dazu durchringen konnte, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Weil die Weisheit in der Bankenstadt immer auch die Weisheit ist, das Geld so umsichtig wie möglich zu verwalten, wird den Finanzen des Angeklagten grosse Bedeutung beigemessen. Robert S., als ehemaliger Anlagechef einer der grössten Pensionskassen, eigentlich vertraut im Umgang mit Geld, liess genau diese Weisheit vermissen. 25'000 Franken pro Monat gab S. aus – ein Leben «fern jeglicher ökonomischer Vernunft», wie der Staatsanwalt festhielt. Ohnehin war aber Robert S. in den Augen der Anklage kein allzu helles Licht. Ein IQ von 101 Punkten wird ihm bescheinigt, «bei durchschnittlicher Intelligenz im Beruf überdurchschnittlich erfolgreich» – und überfordert. 

«Ich wollte, dass sie ruhig ist, dass sie nicht noch mehr schlimme Dinge erzählt.»
Robert S.

S. kündigt seinen Job bei der Aargauer Pensionskasse, Burnout. Er will eine «Auszeit von ein bis zwei Jahren» nehmen. Dann aber fällt ihm der Einstieg zurück ins Berufsleben schwer. Schwerer als gedacht. Für die Anklage steht fest: Diese erlittene «Schmach» spielte eine erhebliche Rolle bei der Tötung der 25-jährigen polnischen Prostituierten «Kathleen».

Vorsätzliche Tötung statt Mord

In die Fragen der Richter und des Staatsanwaltes mischte sich Unverständnis darüber, der Scheinwelt der Prostitution und des leichten Vergnügens nicht den Rücken zugekehrt zu haben. Wieso er nicht nur immer wieder seiner Partnerin, sondern auch dem bürgerlichen Leben immer wieder untreu geworden ist.  

Sein Pflichtverteidiger Andrea Taormina forderte 10,5 Jahre Haft für Robert S. Sein Mandant habe grosses Unrecht begangen und viel Leid über die Familie von «Kathleen» gebracht. Es handle sich allerdings nicht um Mord, sondern um eine vorsätzliche Tötung. Kathleen und Robert S. hätten eine gemeinsame Beziehung geführt, die über das professionelle Verhältnis zwischen Freier und Prostituierte hinausging. Darauf liessen nicht zuletzt die zahlreichen SMS schliessen, in denen «Kathleen» Robert S. gegenüber ihre Zuneigung ausdrückte. Zum Tatzeitpunkt sei S. in einer depressiv-dünnhäutigen Verfassung gewesen. Im Hotelzimmer schliesslich sei ein heftiger Streit ausgebrochen, in dessen Verlauf S. «Kathleen» erwürgte. 

S. schilderte, wie «Kathleen» während des Treffens eine Entscheidung von ihm einforderte. Er aber habe während des Gesprächs plötzlich wieder Zuneigungen zu seiner Partnerin verspürt und wollte das Date mit «Kathleen» abbrechen. «Kathleen» verlangte Geld, es kam zum Streit. «Als sie mir dann sagte, dass nicht einmal eine Prostituierte ein Kind von mir will», seien bei ihm die Sicherungen durchgebrannt. Bei einem Handgemenge sei die Prostituierte mit dem Kopf auf den Boden gestürzt, er habe sich auf sie drauf gesetzt und ihr den Mund zugehalten. «Ich wollte, dass sie ruhig ist, dass sie nicht noch mehr schlimme Dinge erzählt.»

Die Verteidigungsstrategie ist immer nur so gut wie diejenigen, die sie ausführen. Und Robert S. tat seinem Anwalt keinen grossen Gefallen. In der Befragung machte der 49-Jährige keinen überzeugenden Eindruck, wich Fragen aus, lenkte ab, schlug Haken und verhedderte sich in Widersprüchen.

Schon in den Einvernahmen tischte S. immer wieder unterschiedliche Versionen auf. Einmal war der Koffer angeblich als Geschenk für die Prostituierte gedacht, dann wieder wollte S. damit Kleider und anderen Hausrat entsorgen. Verteidiger Taormina erklärte das Aussageverhalten mit dem «Verhaftungsschock» und dem Einfluss von Valium, unter dem der Angeklagte bei einer Einvernahme gestanden habe. Für den Staatsanwalt war das Verhalten des Angeklagten «eine Beleidigung für die Strafbehörden». Auch für die SMS, die S. nach der Tat an die Getötete schickte, und in denen er sich nach ihrem Verbleib erkundigte, hatte der Beschuldigte keine Erklärung parat: «Ich weiss es nicht», antwortet er auf die Frage, wieso er einer Leiche Nachrichten geschrieben hatte. 

Ein zweites Mal bröckelt es an diesem Dienstag im versteinerten Gesicht des Angeklagten. Als er in einer Verhandlungspause etwas entfernt auf einer Holzbank sitzt, flankiert von zwei Polizisten in Uniform, sieht man ihn scheu lächeln. Wortfetzen einer harmlosen Plauderei dringen herüber. Vielleicht spricht S. mit den Polizisten über seinen Hund Eika. Das einzige Lebewesen, das ihm etwas bedeutete, wie er einmal in einer Einvernahme zu Protokoll gab.

Die Urteilsverkündigung wird für Donnerstagnachmittag 16 Uhr erwartet.

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