Das kam nun wirklich überraschend: Der Ständerat hat sich am Mittwoch dafür ausgesprochen, dass künftig Frauen und Männer im Bundesrat «angemessen» vertreten sein sollen.
Der Entscheid erstaunt nicht nur, weil sich die vorberatende Kommission klar gegen die parlamentarische Initiative von Raphaël Comte (FDP) ausgesprochen hatte. Sondern auch, weil der Frauenanteil im Ständerat mit 15 Prozent fast schon vernachlässigbar tief ist. Und es zudem kein Geheimnis ist, dass nicht wenige der Männer im Saal selber auf einen Bundesratssitz aspirieren.
Dass sich doch eine Mehrheit für eine Geschlechterklausel ausgesprochen hat, dürfte schlicht und einfach mit der Erkenntnis zu tun haben, dass im Jahr 2018 kein Weg mehr daran vorbeiführt.
Von einer unvermeidlichen «Modernisierung» der Verfassung sprach der Absender des Vorstosses. Es gehe ihm keinesfalls darum, eine Quote zu kreieren, so der 38-jährige Comte. Vielmehr handle es sich um eine «moralische Pflicht», ein «politisches und kollektives Ziel», das zu erreichen im Interesse jedes gewählten Politikers sein sollte.
Dass ein bürgerlicher Mann dem Anliegen zum Durchbruch verholfen hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ein fast gleichlautender Vorstoss der Grünen Maya Graf ist derzeit im Parlament hängig. Ob die Forderung von dieser Absenderin ebenfalls auf Anhieb eine Mehrheit gefunden hätte, darf bezweifelt werden.
Allerdings hat Comte auch einfach vieles sehr richtig gemacht. Vielleicht war es die unaufgeregte Selbstverständlichkeit, mit der er seine Forderung im Ständerat vorgetragen hat, die am Ende zum Erfolg führte. Vielleicht war bei den Herren Ständeräten auch die Erinnerung an die kalte Dusche noch sehr frisch, die sich nach der Lohngleichheits-Debatte über sie ergossen hatte.
Jedenfalls traf Comte einen Nerv, als er seinen Kollegen sagte, das Parlament werde auch in Zukunft die Freiheit haben, den kompetentesten Mann oder die kompetenteste Frau zu wählen. «Die Frau wird dem Mann an dem Tag wirklich gleichgestellt sein, an dem man einen wichtigen Posten mit einer inkompetenten Frau besetzt», zitierte er die französische Feministin Françoise Giroud.
Während eine Frau heute perfekt sein müsse, um in den Bundesrat gewählt zu werden, sehe man einem Mann durchaus die eine oder andere Schwäche nach, argumentierte Comte.
Mit seinem Pragmatismus nahm der Freisinnige auch all jenen den Wind aus den Segeln, die mit einer Geschlechterklausel unüberwindbare Schwierigkeiten aufziehen sahen. Heute steht in der Verfassung, dass die Landesgegenden und Sprachregionen bei der Zusammensetzung des Bundesrats berücksichtigt werden müssen. Künftig sollen im gleichen Artikel auch noch die Geschlechter erwähnt werden – was gewisse Politiker ernsthaft ins Grübeln brachte.
Die Kommission stelle sich die Frage, was zu tun sei, wenn die Kriterien in Konkurrenz zueinander gerieten, sagte Peter Föhn (SVP) im Rat. «Soll in einem konkreten Fall eher das Kriterium ‹Landesgegend› erfüllt werden oder doch eher das Kriterium ‹Geschlecht›, wenn keine geeignete Person zur Verfügung steht, welche beide Kriterien erfüllt?»
Ausserdem handle es sich beim Anliegen einer Geschlechterklausel um eine rein «gesellschaftspolitische Forderung», so Föhn. «Das ist natürlich schon etwas anderes als die für den Zusammenhalt des Bundesstaates zentraleren staatspolitischen Kriterien der Landesgegenden und Landessprachen.»
Das ist, mit Verlaub, grober Unfug. Es ist eine Sache, eine Geschlechterklausel aus ideologischen oder verfassungsästhetischen Gründen abzulehnen. Wer aber suggeriert, dass die Frauen staatspolitisch keine Bedeutung haben, kann im Jahr 2018 nur verlieren.
Der Versuch, die Sprachenfrage gegen die Geschlechterfrage auszuspielen, zeugt zudem von einem verstörenden Unwillen, sich überhaupt mit der Problematik auseinanderzusetzen. Gerade weil keine starren Quoten geplant sind, werden vor Bundesratswahlen auch künftig keine detaillierten Anforderungskataloge aufliegen, die die erforderlichen Eigenschaften nach auf- oder absteigender Wichtigkeit auflisten.
Als mit Alain Berset, Didier Burkhalter und Guy Parmelin zwischenzeitlich drei Romands in der Regierung sassen, waren diese damit übervertreten. Denn gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, hätte die Westschweiz arithmetisch nur gerade Anspruch auf 1,75 Bundesräte. Die Situation wurde mehr oder weniger schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Man wusste ja: Die nächste Wahl kommt bestimmt.
Es wäre viel gewonnen, könnte die Frauenfrage genauso unaufgeregt behandelt werden. Beträgt das Geschlechterverhältnis vorübergehend einmal nicht drei zu vier, ist das kein Drama. Die weibliche Hälfte der Bevölkerung mit einem einzigen Sitz abzuspeisen (wie das nach dem Rücktritt von Doris Leuthard geschehen könnte), ist jedoch einfach nur peinlich.
Man stelle sich vor, wie die Lateiner angesichts einer solch krassen Untervertretung aufschreien würden. Sie täten es in der Gewissheit, die Verfassung auf ihrer Seite zu haben.
Der springende Punkt ist: Hat ein Parteichef heute bei einer Vakanz in der Romandie keinen Nachfolger bereit, fällt das auf ihn zurück. Hätte er sich mal besser um seine Kantonalsektionen gekümmert, hm?
Genauso wird sich künftig strategisches Unvermögen vorwerfen lassen müssen, wer nicht rechtzeitig geeignete Frauenkandidaturen aufbaut. Denn diese fallen nicht vom Himmel.