Die Zeit läuft, wer die Krankenkasse wechseln will, muss den Vertrag bis zum 30. November kündigen. Und das dürften heuer angesichts des angekündigten Prämienschubs von durchschnittlich 6,6 Prozent viele sein, sehr viele sogar: bis zu einer Million Personen. Damit jedenfalls rechnet Marcel Thom, Krankenkassenexperte beim Beratungsunternehmen Accenture. «Der Erhalt der neuen Police für das Jahr 2023 dürfte viele wachrütteln.»
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Denn obwohl die Bereitschaft, bei der Gesundheit zu sparen, äusserst klein ist und der Abstand zwischen der billigsten und teuersten Prämie immer kleiner wird, lassen sich durch einen Wechsel der Grundversicherung jährlich doch mehrere hundert Franken einsparen.
Das Preisgefüge jedenfalls wurde in diesem Prämienherbst ordentlich durchgeschüttelt, wie die neuste Analyse von Accenture aufzeigt. «Die grossen Krankenversicherungen haben teilweise stark an Prämienattraktivität eingebüsst», sagt Thom.
In der Tat: Lockten vor einem Jahr noch die beiden Platzhirsche Helsana und CSS mit vergleichsweise attraktiven Angeboten, dominiert jetzt die KPT die Landkarte. Die Kasse mit Sitz in Bern bietet in nicht weniger als 13 von 42 Prämienregionen die günstigsten Policen an. Sie hat über alle Prämienregionen und alle Kassen hinweg insgesamt 126 Prämienränge gutgemacht – während gleichzeitig die Helsana ganze 318 Prämienränge verloren hat:
Die Preisoffensive der KPT ist nicht der einzige überraschende Befund der neusten Accenture-Studie: Ebenso verwunderlich ist laut Thom der Umstand, dass in weiteren 13 Prämienregionen der erste Rang an kleine, regional tätige Versicherer geht. So bietet etwa im Zürcher Oberland die Krankenkasse Wädenswil das günstigste Angebot an, in der Stadt Luzern die Krankenkasse Luzerner Hinterland und im Kanton Aargau die Aquilana.
Kaum ins Gewicht beim Prämienvergleich fällt in diesem Herbst der Reserveabbau der Kassen. Vor einem Jahr hatten 14 Kassen – auch auf Druck von Gesundheitsminister Alain Berset – ihre Reservepolster angezapft und damit die Prämienlast etwas abgedämpft. Insgesamt 380 Millionen Franken wurden so an die Versicherten zurückverteilt, und die Kassen versprachen auch heuer wieder Reservegelder einzusetzen.
Doch trotz vollmundiger Versprechen verzichten sie nun auf einen weiteren freiwilligen Reserveabbau. Nur Sympany und die Groupe-Mutuel-Kasse Supra vergünstigen mit Reservegeldern ihre monatlichen Prämien um 5 respektive 10 Franken – und machen so etliche Prämienränge gut. Beide Krankenkassen verteilen je rund 10 Millionen Franken an ihre Versicherten zurück.
Der Krankenkassenwechsel in diesem Prämienherbst dürfte nicht ohne Folgen bleiben für das ganze Jahr 2023. Denn sollten tatsächlich die Tausende oder gar Zehntausende sich für den preisgünstigsten Anbieter entscheiden, stehen wohl viele, und insbesondere die kleinen Krankenversicherungen, vor grossen Herausforderungen, wie Thom ergänzt: Denn dann müssten diese erstens ihre Reserven aufbauen, um den regulatorischen Auflagen gerecht zu werden: «Und sie müssen zweitens beweisen, dass sie trotz massiv grösserem Kundenstamm ihre Dienstleistungen aufrechterhalten können.»
Prämienveränderungen erwartet Marcel Thom auch bei den Zusatzversicherungen. «Es lohnt sich, die neue Police jetzt ganz genau anzuschauen.» Doch hier ist der Spielraum für die Versicherten deutlich kleiner, ohne Einschränkung können eigentlich nur die Jungen und Gesunden wechseln.
Entsprechend orten die Versicherten das Sparpotenzial vor allem bei der Grundversicherung. Das zeigt auch eine von Accenture beim Link-Institut in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage: Demnach denken über 40 Prozent derjenigen, die bei ihrer Kasse bleiben wollen, über eine Erhöhung der Franchisen oder einen Wechsel in andere, günstigere Versicherungsmodelle nach. Nur gerade 12 Prozent ziehen eine Kündigung ihrer Zusatzversicherung in Betracht.
Von den Versicherten mit Grund- und Zusatzversicherungen haben heute nur gerade 20 Prozent die Policen bei zwei unterschiedlichen Anbietern. Nicht wenige von ihnen wohl, weil sie, gefangen bei ihrer Zusatzversicherung, die Grundversicherung zu einer günstigeren Kasse verschoben haben.
Hier erkennt Marcel Thom ein grosses Potenzial – für die Versicherten wie auch für Anbieter, die neu in den Zusatzversicherungsmarkt eintreten wollen. Denn nicht weniger als 46 Prozent der befragten Personen geben an, sie durchaus vorstellen zu können, Grund- und Zusatzversicherung zu trennen.
Der aktuelle Prämienschub mag zwar für einen heissen Prämienherbst und viele Kassenwechsel sorgen: Doch an den notorisch steigenden Gesundheitskosten, die letztlich die Basis legen für die immer weiter steigenden Prämien, wird sich dadurch nichts ändern.
Denn die Versicherten optimieren vielleicht ihre Prämien, bei der Gesundheit sparen hingegen wollen sie nicht. Auch das zeigt die repräsentative Link-Umfrage: Während rund die Hälfte der Befragten sich bereit erklärt, bei Restaurantbesuchen, der Wohnungseinrichtung oder beim Kleiderkauf Abstriche zu machen, wollen nur gerade 5 Prozent bei den Gesundheitsausgaben sparen.
«Viele sind sich ganz offensichtlich nicht bewusst, wie gross ihr Einsparpotenzial ohne nennenswerte Qualitätseinbussen bei den Krankenversicherungsprämien ist», sagt Thom. Und es zeige auch, dass die «absolute Schmerzgrenze» bei den Versicherten noch nicht erreicht sei.
Das ist der Wohstandseffekt! Man regt sich zwar über kleine Preiserhöhungen im Detailhandel, bei der Post, den SBB oder dem Benzin masslos auf, ist aber zu faul, um mit ein paar Klicks und einem eingeschriebenen Brief die Grundversicherung zu wechseln und hunderte von Franken zu sparen. Seit Jahren wechsle ich fast jährlich mit viel Gewinn die Kasse. Fragt nicht, was das die Kassen kostet! Darum: kantonale Einheitskassen bei der Grundversicherung!
Wir haben viel zu viele Kassen in der Schweiz mit einer zu grossen Lobby. Hier liesse sich viel Geld sparen.