In der Schweiz herrscht Wohnungsknappheit und Bundesrat Guy Parmelin, der Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), unternimmt nichts dagegen. Weil er der Immobilien- und Baulobby nicht auf die Füsse treten will. Zu diesem Ergebnis kam die Investigativ-Recherche von watson.
Zahlreiche interne Dokumente und Mails, die das zuständige Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) unter Parmelin mit Interessensvertretern austauschte, zeigten, wie die Immobilien- und Baulobby das BWO unter Druck setzten. Und wie dieses bereitwillig umsetzte, was sich die Lobbyisten wünschten.
Teilweise konnte die Baulobby sogar diktieren, was im Aktionsplan drinstehen sollte – und vor allem: was nicht. Dies ging vorwiegend zulasten der Massnahmen, die jenen Teil der Bevölkerung entlastet hätten, der auf günstigen Wohnraum angewiesen ist.
Was halten Politiker der verschiedenen Parteien von diesen Enthüllungen? watson hat nachgefragt.
Für SP-Nationalrat David Roth ist klar: «Was Bundesrat Parmelin macht, ist schlicht Arbeitsverweigerung.»
Er sei keineswegs erstaunt, dass Parmelins Departement keine Motivation an den Tag gelegt habe, etwas gegen die Wohnungsknappheit und die explodierenden Mieten zu unternehmen. Aber:
Ähnlich tönt es von Grüne-Nationalrat Michael Töngi: «Ich habe verschiedene Gespräche mit Bundesrat Guy Parmelin erlebt und ich habe ihn auch mehrmals im Parlament auf seine Untätigkeit angesprochen. Von ihm ist definitiv nichts Wirksames zur Frage der überhöhten Mietzinsen zu erwarten.»
Hätte Parmelin während der Ausarbeitung des Aktionsplans eine Führungsrolle übernommen und wäre er für griffige Massnahmen eingestanden, hätte die Diskussion eine andere Dynamik erhalten, ist Töngi sicher. Weiter hält er fest: «Parmelins Vorgehen finde ich umso blamabler, weil am Schluss bloss Empfehlungen entstanden.» Diese Empfehlungen richteten sich zudem vor allem an die Kantone und Städte, welche schon längst handelten. Nicht aber an die Immobilien- und Baubranche.
Etwas anders sieht es GLP-Nationalrat Beat Flach. Dass es etwa gerade die Massnahme schwer hatte, im Aktionsplan verankert zu werden, die eine Pflicht der Angabe des Vormietzinses forderte, kann er nachvollziehen. Denn erst kürzlich hatte er selbst eine solche Motion platziert. Der Nationalrat lehnte diese jedoch ab. «Das machte es dann natürlich schwierig, diese Massnahmen wieder konkret aufzunehmen.»
Hohe Erwartungen an den Aktionsplan hatte Flach aber ohnehin nicht: «Es war mir von Anfang an klar, dass ein SVP-Bundesrat die SVP-Linie verfolgen würde, die halt weder mieterfreundlich noch für progressive Ideen in der Raumplanung zu haben ist.» Flachs Hauptkritik gilt deshalb nicht in erster Linie Parmelin, sondern den Lobbyisten. Und das, obwohl er selbst «einer von ihnen» ist.
Flach war als Vertreter von Casafair, einem Verband von umweltbewussten Hauseigentümern und Besitzern von anderem Wohneigentum, am Runden Tisch vertreten, den Parmelin für die Ausarbeitung des Aktionsplans einberufen hatte. Ausserdem ist er seit 17 Jahren als Jurist für den SIA, den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein, tätig. Auch der SIA durfte beim Aktionsplan mitreden.
Flach sagt: «Was mich immer wieder erstaunt, ist, dass sich grosse Verbände auf die Seite konservativ-rechtsbürgerlicher Seilschaften schlagen. Ohne Not oder ohne dass ihre Mitglieder überhaupt konkret betroffen wären.»
Mit dieser Aussage bezieht er sich auf den Schweizer Baumeisterverband und Bauenschweiz. Die beiden Lobbyverbände hatten sich heftig gegen Mietzinstransparenz gewehrt, wie die watson-Recherche zeigte. Aus Flachs Sicht ist es verständlich, dass grosse private Vermieter gegen Transparenz sind. Dass die Bauwirtschaft ebenfalls dagegen lobbyierte, kann er hingegen nicht verstehen.
Die Mitglieder dieser Verbände würden Mitgliederbeiträge bezahlen, damit diese gute Rahmenbedingungen für ihre Geschäftstätigkeiten bewirkten. «Ein funktionierender Mietmarkt kommt ihnen gewiss eher entgegen als ein intransparenter Mietmarkt, wo einzelne Player die Wohnungsnot mit überrissenen Mieten ausnützen, anheizen und die ganze Branche in Verruf bringen.»
Flach unterstreicht damit ein tieferliegendes Problem: «Die Verbandsspitzen handeln oft getrieben von parteipolitischen Interessen, anstatt selbstständige Haltungen zu entwickeln und voranzutreiben, um die Interessen ihrer Mitglieder zu stärken.»
Auch FDP-Nationalrat Olivier Feller hat watson um eine Stellungnahme zur Recherche gebeten. Er ist Geschäftsleiter der FRI, des Hauseigentümerverbands der Westschweiz, der an Parmelins Rundem Tisch zur Wohnungsknappheit ebenfalls teilnehmen durfte.
Feller sieht grundsätzlich nichts Verwerfliches an Parmelins Vorgehen bei der Ausarbeitung des Aktionsplans: «Das Ziel von Bundesrat Parmelin und vom BWO war offenbar, dass alle betroffenen Kreise sich mit dem Aktionsplan abfinden können und an der Medienkonferenz vertreten sind. Der Aktionsplan wurde wahrscheinlich in diesem Sinne ausgearbeitet.»
Zudem spricht er sich für Lobbyismus aus: «Jeder Verband, egal ob links oder bürgerlich ausgerichtet, muss frei sein können, gewisse Massnahmen in der Wohnungspolitik zu befürworten oder zu bekämpfen.»
watson hat auch beim Parteipräsidenten der SVP, Marcel Dettling, und beim SVP-Nationalrat Manfred Bühler, der sich immer wieder beim Thema Wohnen einschaltet, um eine Stellungnahme gebeten. Bis Redaktionsschluss hat jedoch keiner der beiden auf die Anfrage reagiert.