Streit um Sonntagsöffnung: Migros überlistet die Gewerkschaften mit einem Trick
An der Migros-Daily-Filiale an der Zürcher Zollstrasse verdienen Anwälte wohl mehr als das Verkaufspersonal hinter den Kassen. Weil die Migros den nicht einmal 200 Quadratmeter grossen Laden sonntags öffnen will, wurde er zum Gegenstand eines epischen Rechtsstreits. Um die einzelne Filiale geht es längst nicht mehr. Vielmehr wollen die Zürcher Migros-Regionalgenossenschaft und ihre Gegenspielerin, die Gewerkschaft Unia, einen Grundsatzentscheid in Sachen Sonntagsverkauf erzwingen.
Mittlerweile ist der Streit bis ans Bundesgericht eskaliert. Es hat im Juni der Migros verboten, bis zu einem Urteil an Sonntagen Personal im Laden zu beschäftigen. In der Sache hat es noch nicht entschieden. Die Freude der Unia darüber wähnte nur kurz: Seit einigen Tagen ist der Laden sonntags wieder geöffnet – als autonom benutzbare Filiale ohne Personal. Wer eintreten will, muss eine Debit- oder Kreditkarte oder einen QR-Code aus der Migros-App scannen. Bezahlt werden kann an Self-Checkout-Kassen.
Der Rechtsstreit füllt mittlerweile dutzende Aktenordner. Am Beginn stand ein Entscheid des Stadtzürcher Arbeitsinspektorats. Dieses hatte der Migros 2017 bestätigt, dass im noch zu bauenden Laden sonntags Personal beschäftigt werden dürfe. Die Filiale steht von einer Strasse getrennt einige Meter neben dem Hauptbahnhof. Sie wurde vom Amt dennoch als Teil dessen Areals eingestuft. In grösseren Bahnhöfen ist die Beschäftigung von Personal an Sonntagen erlaubt.
Unia gegen Amt und Migros
Im Mai 2019 eröffnete die Genossenschaft Migros Zürich den Laden. Schnell wurde der Sonntag zum umsatzstärksten Tag. Doch dann kamen zwei Dinge zusammen: Das Onlineportal «20 Minuten» erkundigte sich nach der Rechtmässigkeit des Sonntagsverkaufs – und das städtische Arbeitsinspektorat war mit jenem des Kantons Zürich fusioniert worden.
Dieses kam zu einem anderen Schluss. Die Filiale gehöre nicht zum Bahnhofsareal, entschied das kantonale Amt. Im Oktober 2019 war deshalb wieder Schluss mit Sonntagsverkauf. Ironischerweise hatten die Bürgerlichen auf die Fusion der kantonalen und städtischen Ämter gedrängt. Dass das Amt des Kantons strenger entscheiden würde als jenes der links-grünen Stadt, damit hatten sie kaum gerechnet.
Die Juristen der Migros fanden einen Trick: Wenn im Laden sonntags nur Sicherheits-, aber kein Verkaufspersonal beschäftigt würde, könne dieser auch dann geöffnet sein, befanden sie. Das Konzept funktionierte für einige Zeit – bis die Gewerkschaft Unia die Filiale in ihrem Kampf gegen Sonntagsverkäufe als Exempel auserkor. Sie opponierte zuerst beim Kanton, welcher der Migros recht gab, und danach beim Zürcher Verwaltungsgericht, wo sie im Jahr 2022 gewann. Fürs Erste war wieder Schluss mit Sonntagsöffnung.
Zwischensieg für Gewerkschaft
Die Rechtsabteilung der Migros wurde abermals kreativ und fand eine neue Lösung. In der Zwischenzeit hatte die Stadt Zürich die Strasse zwischen Filiale und Bahnhof saniert und eine Begegnungszone eingerichtet. Damit, so die Juristen der Migros Zürich, sei sie definitiv mit dem Bahnhofsareal verbunden. Damit sei der Sonntagsverkauf wieder erlaubt. Der Kanton stützte diese Interpretation. Die Filiale war wieder sonntags geöffnet.
Gegen diese Einschätzung rekurrierte die Unia erneut. Im März dieses Jahres erzielte sie einen Erfolg vor dem Zürcher Verwaltungsgericht. Dieses befand, der Laden bilde «keine funktionale Einheit mit dem Bahnhof» und dürfe sonntags kein Personal beschäftigen.
Nun pochte die Migros aber auf einen Grundsatzentscheid und rekurrierte gegen diesen Entscheid vor dem Bundesgericht. In der Sache hat dieses noch nicht entschieden, aber vorsorglich die Beschäftigung von Personal untersagt.
«Sehr hohe Akzeptanz» des neuen Konzepts
Mit dem Entscheid, sonntags auf einen Betrieb ohne jegliches Personal zu setzen, kann die Migros Zürich den Laden trotzdem sonntags öffnen. Das Arbeitsrecht des Bundes verbietet – mit Ausnahmen wie etwa jene für Bahnhöfe – nur die Beschäftigung von Personal im Detailhandel am Sonntag, nicht die Öffnung von Läden an und für sich. Ladenöffnungszeiten sind Sache der Kantone, und das Gesetz des Kantons Zürich kennt für autonom benutzbare Läden unter einer gewissen Grösse keine Einschränkungen.
Deshalb dürfte die Migros einem Bundesgerichtsentscheid gelassen entgegenblicken. Dieses wird nur über die Rechtmässigkeit der Beschäftigung von Personal sonntags entscheiden.
Migros-Zürich-Sprecherin Annabel Ott sagt, das Konzept des sonntags selbständig benutzbaren Ladens werde seit Oktober 2024 bereits in der Filiale am Zürcher Toblerplatz angewendet. Dort stosse es auf «sehr hohe Akzeptanz». Auch an der Zollstrasse scheine es akzeptiert zu werden. Die Umsätze zeigten in die richtige Richtung und «bestätigen, dass der Sonntagseinkauf ein Kundenbedürfnis ist». Eine flächendeckende Verbreitung der Betriebsform sei aber nicht angedacht.
Unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits betreibt die Migros im nahegelegenen Hauptbahnhof Zürich fünf Läden der Formate Migros-Supermarkt, Migrolino und Alnatura, die jeden Sonntag geöffnet sind. Hungern müssen Migros-Kinder also sowieso nicht. (aargauerzeitung.ch)
