«Das möchte ich niemandem zumuten», sagte Vania Alleva nur wenige Sekunden vor dem Start der EU-«Arena». Damit meinte die Präsidentin der Gewerkschaft Unia jedoch nicht die nun folgende, fast 80 Minuten dauernde Polit-Debatte, sondern ihre gesanglichen Fähigkeiten.
Beim Mikrofontest kam das Thema Musik auf, weil SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher das Fraktionstreffen des Vorabends erwähnte. Dort habe man zweieinhalb Stunden gesungen, «Volkslieder, solche aus dem Militär und auf Französisch und auch so Schwiiz-Lieder».
Und so erzählten die geladenen Gäste zunächst der Reihe nach von ihren Gesangs- und Musikkünsten, danach war aber genug der Fröhlichkeit und von Ave Maria ging man weiter zu Amherd.
Die Schweizer Bundespräsidentin soll sich schon nächste Woche mit einer Delegation nach Brüssel aufmachen, nachdem der Bundesrat am letzten Freitag das Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet hat. Darüber diskutierten in der EU-«Arena»:
Ausserdem im Studio:
Es schien, als hätte sich Martullo-Blocher am fraktionsinternen Gesangsabend die nötige Energie geholt, um die geplanten Verhandlungen mit der EU von A bis Z zu torpedieren. Gleich zu Beginn der «Arena» feuerte die SVP-Nationalrätin aus allen Rohren, die Piraten auf der Black Pearl wären vor Neid erblasst. Der Austausch der Schweiz mit der EU fände überhaupt nicht auf Augenhöhe statt.
Ganz anders beurteilte Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter die Ausgangslage. Nach zwei Jahren der Sondierung habe man sich angenähert, die Schweiz sei der EU entgegengekommen und umgekehrt.
Auch der Zuger Ständerat Matthias Michel hatte für die Zusammenarbeit mit der EU viele lobende Worte übrig. Die aktuell noch geltenden bilateralen Veträge seien eine Erfolgsstory.
Das latente Spannungsverhältnis sei jedoch kein Zustand, anders als die SVP wolle er so nicht weiterleben, so Michel weiter. Auch Schneider-Schneiter fuhr der Partei von Martullo-Blocher an den Karren:
Martullo-Blocher liess sich von den gegnerischen Voten nicht beeindrucken und dozierte über die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU. «Wir haben viel die höheren Löhne, weniger Teuerung, eine tiefere Arbeitslosigkeit, wir sind innovativer und haben Wachstumsraten, die EU nicht.»
Die SVP-Vizepräsidentin sprach das kürzlich nach 16 Jahren Verhandlung abgeschlossene Freinhandelsabkommen mit Indien an. «Es käme doch niemandem in den Sinn, deswegen nun indisches Recht zu übernehmen oder chinesisches. Das gibt es auch nirgends auf der Welt. Nur die EU fordert, dass wir ihr Recht übernehmen.»
Noch keine Viertelstunde alt, war in der EU-«Arena» schon Feuer unter dem Dach.
SP-Nationalrat Fabian Molina, bislang noch ohne Votum, erreichte nach der Einstiegsfrage von Sandro Brotz Betriebstemperatur. Brotz erwähnte, dass die Schweiz für ein Abkommen mit der EU die Unterstützung der Gewerkschaften brauche.
Danach wollte der Moderator wissen: «Reden Sie von der SP den Gewerkschaften noch ins Gewissen, oder sagen diese der SP, was zu tun ist?» Molina, nur bedingt amused, entgegnete:
Der Aussenpolitiker hätte nach dem verbalen Start-Hick-Hack lieber die Grundsätze des Verhandlungsmandates geklärt. Man befinde sich in einer immer unsichereren Welt, die Demokratien gingen zurück, der Autoritarismus nehme zu, man habe wieder Krieg in Europa und eine Klimakrise.
Molina beantwortete die Frage dann doch noch und betonte, die SP und die Gewerkschaften würden ausgezeichnet zusammenarbeiten.
Damit waren auch die Gewerkschaften im Spiel, in der «Arena» vertreten von Vania Alleva. Vor zwei Wochen noch hoch erfreut über das deutliche Ja zur 13. AHV-Rente, zeigte sich die Unia-Präsidentin über das Verhandlungsmandat mit der EU «sehr besorgt».
Die Unia sei Mitglied des europäischen Gewerkschaftsbundes, so Alleva, gemeinsam mit den Schwester-Gewerkschaften kämpfe man für gute Arbeits- und Lohnbedingungen.
Es gebe Punkte, in denen der Bundesrat klare Kante zeige – beim Lohnschutz sei dies nicht der Fall, so Alleva. Roland A. Müller, Direktor des Schweizerischer Gewerbeverbands, entgegnete, es handle sich bei diesem Thema lediglich um die für einen bestimmten Zeitraum in die Schweiz entsendeten Arbeitnehmer. «Dies ist ein relativ kleiner Teil, etwa 70'000 von 5,2 Millionen Beschäftigten», rechnete Müller vor.
Der Gewerbeverband stehe unbestritten hinter dem Lohnschutz, wolle ihn im Unterschied zu den Gewerkschaften jedoch nicht ausbauen. Rückendeckung erhielt Müller von Elisabeth Schneider-Schneiter.
Sie verstehe nicht, weshalb die Gewerkschaften nun pokern würden, so die Mitte-Nationalrätin. In den Sondierungsgesprächen sei, was den Lohnschutz betreffe, sehr viel erreicht worden. Die EU sei der Schweiz entgegengekommen.
Schneider-Schneiter führte aus: «Dass die Gewerkschaften die europafreundliche Allianz nun verlassen, kann ich nicht verstehen. Sie begeben sich damit in den Seitenwagen der SVP. Dies schadet dem bilateralen Weg, ich hoffe, dass die Gewerkschaften zurückkommen an den Verhandlungstisch.»
SP-Nationalrat Molina schloss den Kreis, indem er sich – die Argumente von Unia-Präsidentin Alleva unterstützend – Gewerbeverbands-Direktor Müller vorknöpfte. Die Gewerkschaften hätten sich in den letzten zwei Jahren massiv bewegt. Von Seiten Gewerbeverband hingegen gebe es keine Bereitschaft für ein Entgegenkommen. «Damit gefährden Sie den Erfolg dieser Verhandlungen», so Molina.
In der Folge wurden weitere Bestandteile des Verhandlungsmandates durchgekaut. Von der Spesenregelung über den Strom bis zum Schiedsgericht und dem Europäischen Gerichtshof erhielten diverse Elemente einige Minuten der Sendezeit.
Zum Schluss wollte Moderator Brotz von den Beteiligten wissen, ob ein Abschluss der Verhandlungen bis im Herbst möglich sei.
Michel und Schneider-Schneiter antworteten kurz und knapp mit «Ja», von Molina kam ein «Ich hoffe es sehr», Martullo-Blocher meinte: «Ich hoffe es nicht.» Auf einen Verhandlungsabschluss hofft auch Gewerbeverbands-Direktor Müller, Unia-Präsidentin Alleva glaubt nicht daran, dass es bis im Herbst reichen wird.
Dänemark zB wächst deutlich besser als die CH Wirtschaft. Dänemark ist in der EU. Erklärung?
Faktencheck:
Durchschnittliches Reallohn Wachstum:
2002-2022: 0.44%
1982-2002: 0.59%
Durchschnittliches BIP Wachstum pro Kopf:
2002-2022: 1.28%
1982-2002: 2.24%
Datenquellen:
- The World Bank Database
- BFS: Entwicklung der Nominallöhne und der Reallöhne