Wer das Parteifest der SVP am Samstag in Sattel (SZ) suchte, musste nur seinen Ohren folgen. Auf die inbrünstig gesungene Nationalhymne folgte der dröhnende Sound von Treicheln, mit denen die Volkspartei die heisse Phase des Wahlkampfs im wahrsten Sinne einläutete. An der Spitze marschierte Partei-Übervater Christoph Blocher, mit Brissago im Mundwinkel.
Es war eine Szene mit Symbolwert. Im EWR-Abstimmungskampf 1992 hatte Blocher einen praktisch identischen Auftritt, der fotografisch dokumentiert ist und noch heute häufig gezeigt wird. Die Botschaft war eindeutig: Der damalige Feind ist auch der heutige. Es ist die Europäische Union, nur dass nicht mehr der EWR bekämpft wird, sondern das institutionelle Abkommen.
Der «Unterwerfungsvertrag» bildete so etwas wie den roten Faden der Reden und Einspielungen im prallvollen Festzelt. Die Laune bei den rund 800 Parteimitgliedern war gut, teilweise ausgelassen. Es herrschte eine Art trotzige «Jetzt erst recht!»-Stimmung, denn die Umfragen verheissen der SVP für die Wahlen am 20. Oktober kein schönes Ergebnis. Sie muss mit Verlusten rechnen.
Der Einsatz der Basis beim Motivieren und Mobilisieren sei deshalb besonders wichtig, mahnte Parteipräsident Albert Rösti: «Es geht uns allen sehr gut, das macht träge!» Einen ersten Treffer hat die SVP mit ihrer umstrittenen Wurm-Kampagne bereits gelandet. Es gelang ihr, verschüttet geglaubte Empörungs-Reflexe wiederzubeleben. Sogar aus den eigenen Reihen gab es Kritik.
Genüsslich zählte Rösti auf, was aus seiner Sicht wirklich unanständig und respektlos sei: Eine neue Überbrückungsrente, um die Begrenzungsinitiative zu bodigen. Der Bau von E-Tankstellen ohne Ausbau des Autobahnnetzes. Und natürlich die angeblichen Bemühungen, die Entscheide über Rahmenvertrag und Kohäsionsmilliarde bis nach den Wahlen zu verschieben.
Die SVP braucht eine knallige Botschaft, denn der Zeitgeist meint es nicht gut mit ihr. Ihren Kernthemen Asyl und Zuwanderung fehlt die Zugkraft ausserhalb des «harten Kerns» ihrer Wählerschaft. Mit anderen Themen tut sie sich schwer. Das SVP-Schiff befindet sich nicht in einem perfekten Sturm, sondern in einer totalen Flaute. Ihm fehlt der Rückenwind für die Wahlen.
Also beschwört man den Zusammenhalt. Und trifft sich in Sattel, das Christoph Blocher als «Kraftort» bezeichnete. In keinem Kanton ist die SVP mächtiger als in Schwyz, und unterhalb von Sattel befindet sich jener Ort, an dem 1315 die Schlacht am Morgarten gegen die Habsburger stattgefunden haben soll. Blocher stellte sie ins Zentrum seiner Rede.
Was damals die Habsburger waren, seien heute die Eurokraten in Brüssel. Und die «Linken und Netten» im Land, die es letztlich auf den EU-Beitritt abgesehen hätten. Sein «Ziehsohn» Roger Köppel attackierte die Parteispitzen von FDP, CVP und SP, die sich in einem «wurmstichigen Manöver» darauf geeinigt hätten, «das wichtigste Geschäft hinter die Wahlen zu verschieben».
Der bald 80-jährige, aber nicht nur beim Treicheln bemerkenswert fitte Blocher wurde mit einer Standing Ovation gefeiert, und auch Köppel erhielt viel Applaus, etwa als er die SVP als «letzte politische Verteidigungslinie in Bern» bezeichnete. Tags darauf aber könnte dem einen oder anderen SVP-Politiker beim Zmorge das Gipfeli im Hals stecken geblieben sein.
Ausgerechnet die beiden Bundesräte der Partei schossen via Sonntagspresse einige kräftige Breschen in den Verteidigungswall. Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der das Parteivolk in Sattel mit seiner auf Französisch gehaltenen Rede gelangweilt hatte, ging im Interview mit der «SonntagsZeitung» von einem Abschluss des Rahmenvertrags «frühestens im nächsten Jahr» aus.
Damit stellte sich der Waadtländer hinter das «wurmstichige Manöver» von FDP, CVP und SP. Noch weiter ging Bundespräsident Ueli Maurer. An der jährlichen Botschafter-Konferenz soll er das Rahmenabkommen letzte Woche gemäss Sonntagsblick und NZZ am Sonntag für gescheitert erklärt haben. Der Vertrag werde ohnehin nicht unterzeichnet, es müssten Alternativen gesucht werden.
Mag sein, dass der Finanzminister damit in erster Linie die Diplomaten provozieren und seinem Bundesratskollegen Ignazio Cassis eins auswischen wollte. Die via Sonntagsmedien verbreitete Botschaft könnte für seine Partei aber zu keinem dümmeren Zeitpunkt kommen. Wie soll man den SVP-Wahlkampf bezeichnen, wenn der Rahmenvertrag angeblich tot ist? Als Nekrophilie?
Oder anders gesagt: Wozu braucht man «linke und nette» Feinde, wenn man solche Bundesräte hat?
Der SVP steht ein schwieriger Herbst bevor. Mit Altersvorsorge und Krankenkassenprämien tut sie sich traditionell schwer. Ausgerechnet bei diesen wichtigen «Sorgenthemen» ist die Partei, die gerne gegen die Classe politique polemisiert, mit einem (h)ausgemachten Elite-Basis-Konflikt konfrontiert. Hier die neoliberalen Taktgeber, dort eine tendenziell staatsgläubige Wählerschaft.
Und beim Topthema Klimawandel wirkt die SVP wie von der Rolle. Einerseits versucht sie, jenen Teil der Bevölkerung anzusprechen, der sich seinen hedonistischen Lebensstil nicht durch rotgrüne «Miesmacherei» verderben lassen will. Gleichzeitig muss sie Rücksicht auf ihre bäuerliche Basis nehmen, die den Klimawandel wesentlich direkter erfährt als die Anzugträger an der Spitze.
Die Zeiten sind vorbei, in denen die SVP als disruptive Kraft die Schweizer Politlandschaft umgepflügt hat. In den letzten Jahren war sie primär eine Stimmungspartei. Vor vier Jahren profitierte sie von der Flüchtlingskrise, seither aber läuft es nicht mehr rund. Und wenig deutet darauf hin, dass sich dies bis zum 20. Oktober ändern wird, trotz flotter Stimmung in Sattel.
In den letzten Wochen sei ein Ruck durch die SVP gegangen, meinte Christoph Blocher im Gespräch mit Journalisten. Gleichzeitig räumte er ein, dass die Partei eine Niederlage einkalkulieren müsse. Entscheidend sei, dass man glaubwürdig bleibe. Was nicht ganz einfach ist, wenn man aus den eigenen Reihen sabotiert wird.
Einer mehr von dieser Sekte der den rechtzeitigen Abgang verpasst hat bevor es peinlich für ihn wurde.