Schiffstation Brunnen SZ, kurz nach 10 Uhr morgens: SVP-Präsident Albert Rösti lächelt zufrieden und schüttelt Hände. 21 Medienvertreter – Journalistinnen, Fotografen, Kameraleute – sind gekommen, um ihn auf einem «Spaziergang mit Hintergrundgesprächen» aufs Rütli zu begleiten. Eine stolze Zahl für einen Anlass mit beschränktem Nachrichtenwert. Das Sommerloch lässt grüssen.
Neben den Pressevertretern haben auch eine handvoll einfache Parteimitglieder vom Anlass erfahren. Sie lassen sich von SVP-Generalsekretär Emmanuel Waeber ein Retourbillet aushändigen und schliessen sich dem Ausflug an. Sonnenschein, eine Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee, die Aussicht auf ein Glas kühlen Weisswein bezahlt aus der Parteikasse? Wer pensioniert ist, Zeit hat und ein Halbtax, der kann einen strahlenden Donnerstag im Juli auf unangenehmere Weise verbringen.
Der Parteipräsident der kriselnden SVP mache sich Sorgen um die «Widerstandsfähigkeit» des Landes, hiess es in der Einladung. Die Kulisse und das Datum – der Jahrestag des Rütli-Rapports von General Guisan am 25. Juli 1940 – machten klar: Rösti versucht, die ins Hintertreffen geratenen Themen der SVP – das Rahmenabkommen mit der EU, die Souveränität der Schweiz – in geschichtsträchtiger Umgebung in Szene zu setzen.
Die rund zehnminütige Schiffahrt vom Brunnen zum Rütli nutzt Albert Rösti, um in aller Eile die Gedanken loszuwerden, die er sich zum historischen Tag und zum historischen Ort gemacht hat. Denn die Hüterin über die Rütliwiese, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG, duldet dort keine politischen Veranstaltungen. Die SVP-Equipe achtet darauf, nicht gegen den Buchstaben dieser Vorschrift zu verstossen – auch wenn Röstis «Medienspaziergang» dem Geist nach natürlich vom ersten bis zum letzten Moment eine politische Veranstaltung ist.
An der Wand im Innern der MS Schwyz, wo Rösti seine Kurzrede hält, steht der Rütlischwur aus Friedrich Schillers «Willhelm Tell»:
Rösti versucht in seiner Rede den Kampf der SVP gegen das institutionelle Abkommen mit der EU in eine Reihe zu stellen mit dem Freiheitswillen der alten Eidgenossen und der Widerstandskraft, auf die General Guisan seine Offiziere vor genau 79 Jahren eingeschworen hatte.
Klar, seien die Umstände von 1940 nicht vergleichbar mit den heutigen. «Damals war die Schweiz angesichts der drohenden Gefahr eines kriegerischen Angriffs bereit, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen», so Rösti. Heute drohten dem Land, wenn die Schweiz das Rahmenabkommen ablehne, höchstens «ein paar Nadelstiche durch die EU». Und trotzdem wollten Gewerkschaften, Economiesuisse, der Bundesrat und die anderen Parteien mit dem Rahmenabkommen das aufgeben, was Guisan vor 79 Jahren vertedigt hat: «Die Freiheit und die Unabhängigkeit der Schweiz».
Nach dem kurzen Spaziergang vom Schiffsteg hoch zur Rütliwiese – immer wieder unterbrochen von Fernseh- und Radiointerviews – stellt sich Rösti unter die grosse Schweizer Flagge und lässt einen Juchzer los. Ein paar Wanderer, mit denen er kurz zuvor ein paar freundliche Worte gewechselt hat, antworten mit einem Juchzer. Ebenso eines der mitgereisten Parteimitglieder.
Rösti strahlt ab dem gelungenen Überraschungsmoment verschmitzt – dann zieht er ein Taschentuch hervor und tupft sich den Schweiss von der Stirn. Er sei auch hierhergekommen, um Kraft zu sammeln für die Wahlen im Herbst, sagt Rösti den mitgereisten Journalisten. Ob es sich beim Juchzer um Röstis Kraftschrei handelt, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Er bittet zum Apéro ins Restaurant Rütlihaus.
Für seinen Medienspaziergang hat sich Albert Rösti nicht nur einen symbolträchtigen Ort ausgesucht – er hat auch den bisher heissesten Tag des Jahres erwischt. Fast in jedem Gespräch mit Journalisten wird Rösti nach den Rezepten seiner Partei im Kampf gegen den Klimawandel gefragt.
Dass dieser stattfindet, stellt er nicht in Frage. Doch was konkret dagegen zu tun sei, kann Rösti nicht im Detail verraten. Man müsse in die Forschung investieren, die Bewässerung verbessern. Die Rezepte von linksgrün seien falsch. Wenn man die Landwirtschaft mit höheren Abgaben belaste, würden die Produkte der Schweizer Bauern teurer und in der Folge würde mehr importiert: «Dann steigt der CO2-Ausstoss und wir bestrafen jene, die diese wunderschönen Landschaften intakt halten!»
Später, in einem ruhigen Moment, sagt Rösti im Restaurant Rütlihaus zu watson, die Themenlage – Klimadebatte statt «Asylchaos» wie 2015 – mache ihm keine Sorge: «Der Zweck der der SVP ist es nicht, sich nach der aktuellen Themenlage zu richten. Es geht darum, den Wohlstand und die Interessen unseres Landes zu verteidigen.»
In der aktuell positiven Wirtschaftslage mit wenig Arbeitslosen und sprudelnden Steuereinnahmen sei es normal, dass der Ruf nach zusätzlichen Segnungen vom Staat – «Vaterschaftsurlaub, Frühförderung, 35-Stunden-Woche» – lauter ertöne. Es sei die Aufgabe der SVP, als« warnende Stimme» darauf hinzuweisen, dass sich die Lage in Zukunft auch wieder verschlechtern werde. «Wir müssen erklären, was die Grundlagen dieses Wohlstandes sind: unsere Freiheit und unsere Unabhängigkeit.»
Albert Rösti ist im Gespräch mit watson wie schon während des ganzen Ausflugs bemüht, die Konversation auf die Themen zu lenken, bei denen sich seine Partei wohlfühlt. Und trotz der schönen Bilder, die sein Medienspaziergang produziert hat, merkt man ihm an: Die Klimadebatte kommt für seine Partei ungelegen. Rösti hätte gerne weniger über Greta und mehr über Guisan geredet.
Zur Motivation ihrer verbliebenen Wählern im Herbst empfehlen wir der svp eine Jodelmaschine falls es mit den "Büezer Bubis" nicht klappt.
Und natürlich Vaterschaftsurlaub ist zu teuer. Aber gleichzeitig mit der EO die WK-Ferien finanzieren geht wieder.
Armer Rösti!
Der schwitzt ja, wie ein Raclette-Käse!