Kater Johnnys Tod war besiegelt. Seine Diagnose: FIP – eine Krankheit, die innerhalb von wenigen Tagen zum Tod führt.
FIP ist eine der häufigsten infektiösen Todesursachen bei jungen Katzen überhaupt. Dabei gibt es eine Therapie mit beachtlichen Heilungschancen. Doch die ist nicht zugelassen. Denn eine US-Pharmafirma stellt sich quer.
Um ihr Tier zu retten, gingen Johnnys Besitzer also einen Deal mit dem Teufel ein – und zwar in Form von Tabletten, die sie auf dem Schwarzmarkt besorgten.
Johnny ist ein aufgewecktes und neugieriges Wesen. Tina* und Stephan* haben den Maine-Coon-Kater zusammen mit seiner Schwester Jeannie von einer zertifizierten Zucht in der Schweiz angeschafft.
Johnny ist noch kein Jahr alt, als er plötzlich lethargisch wird und an Gewicht verliert. Der Anfang eines fast dreimonatigen Ausnahmezustands.
Johnnys Besitzer melden ihr Tier bei ihrer Tierärztin an, die den Verdacht auf FIP äussert. Um dies zu bestätigen und eine schnelle Behandlung zu ermöglichen, leitete die Ärztin Johnny an eine grosse Veterinärklinik im Aargau weiter. Dort kommt Johnny unverzüglich auf die Intensivstation, denn er ist dem Tod bereits näher als dem Leben. Die Veterinäre der Tierklinik versuchen unter Hochdruck, einen Grund für Johnnys Zustand zu finden – und bestätigen den Verdacht: Johnny hat FIP.
Gemäss den tierärztlichen Lehrbüchern gilt er damit als nicht mehr zu retten.
FIP ist die Abkürzung für Feline Infektiöse Peritonitis – eine Form von Infektion, die ausschliesslich bei Katzen vorkommt und von einem Virus ausgelöst wird.
FIP zu diagnostizieren, ist für die Veterinäre keine einfache Aufgabe. Denn je nachdem, welche Organe von der Krankheit befallen sind, unterscheiden sich auch die Symptome, erklärt Stefan Schellenberg, Veterinär an der Tierklinik Aarau West und Spezialist für Innere Medizin. Für die Diagnose müssen Symptome, Röntgenbilder, Laborergebnisse und Gespräche mit den Besitzern kombiniert und interpretiert werden.
Die Krankheit kann in der feuchten und der trockenen Form auftreten. Bei der feuchten Form sondern entzündete Gefässe eine Flüssigkeit in den Brustkorb oder Bauchraum der Katze ab, während sich bei der trockenen Form die inneren Organe entzünden. Eine auffällige Manifestation der trockenen Form befällt die Augen, bei einer weiteren zeigen sich neurologische Störungen, zum Beispiel im Gangbild. Häufig tritt eine Mischung beider Formen auf.
Johnny wird mit der feuchten Form von FIP diagnostiziert. Bei ihm sammelt sich die Flüssigkeit im Brustkorb. Mehrere Entzündungsherde wüten im einstmals stolzen Kater. Er hat Mühe mit der Atmung.
Tina und Stephan müssen jetzt eine Entscheidung treffen: Soll ihr Johnny eingeschläfert werden oder wollen sie das Risiko einer langwierigen, teuren und nicht zugelassenen Therapie auf sich nehmen – und sich so in eine gesetzliche Grauzone begeben?
Die beiden entschieden sich für Letzteres.
Johnny ist nicht die einzige Katze in der Schweiz, die mit FIP diagnostiziert worden ist. Im Gegenteil. «FIP ist eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Katzen», erklärt Schellenberg. Er ergänzt:
Dass dem nicht mehr unbedingt so ist, ist einem Wirkstoff zu verdanken, der gute Heilungschancen verspricht. Das Problem ist nur: Der Wirkstoff ist weltweit nicht zugelassen – weder für die Human- noch für die Tiermedizin. «Es gibt ihn für uns nur auf dem Schwarzmarkt», so der Veterinär.
Dass dieser Wirkstoff tatsächlich anschlägt bei FIP, zeigt nicht nur der Praxisalltag, sondern das untermauern auch mehrere Studien eindrücklich (mehr dazu unten). Schellenberg klärt darum alle seinen Kunden, deren Katzen mit FIP diagnostiziert werden, über diese nicht zugelassene Therapie auf. Mittlerweile wurden in der Tierklinik Aarau West zwischen 30 und 40 Katzen erfolgreich geheilt.
Das Problem ist nur, dass den Tierärzten bei der Beschaffung des benötigten Wirkstoffs die Hände gebunden sind, wenn sie sich nicht in die Illegalität begeben wollen. Darum raten einige Veterinäre ihren Kunden, sich mit Facebook-Gruppen in Verbindung zu setzen.
Die Mitglieder dieser Gruppen haben immer wenige Dosen des benötigten Wirkstoffes vorrätig und versorgen die Katzenbesitzer dann mit einem «Starterpaket». Darin enthalten ist der Wirkstoff für die ersten zwei bis vier Tage und häufig auch ein Therapieplan, Aufbaufutter, Vitamine oder andere Kleinigkeiten, um Besitzer und Katzen während der ersten Stunden nach der Diagnose über die Runden zu bringen. Die Gruppen ermöglichen den Katzenbesitzern so, dass der Wirkstoff für die betroffenen Katzen innerhalb von wenigen Stunden nach der Diagnose zugänglich ist — denn «bei der Behandlung von FIP zählt jede Minute», wie ein Mitglied einer FIP-Facebook-Gruppe gegenüber watson bekräftigt.
Weiter vermitteln die Facebook-Gruppen die Kontakte, damit sich die Katzenbesitzer die Pillen für die restliche Therapie selbstständig besorgen können. Die Pillen stammen dabei vorwiegend aus dem arabischen oder asiatischen Raum – von spezialisierten, aber nicht offiziellen Herstellern. In den sozialen Medien treten diese Hersteller der Pillen ohne Geheimniskrämerei auf und bewerben ihre Produkte in ausführlichen Info-Posts oder mit Rabatt-Codes.
Die Unsicherheit dabei: Die so beschafften Pillen werden nicht mit 100-prozentiger Sicherheit unter kontrollierten und standardisierten Bedingungen produziert, abgefüllt und vertrieben. Dass wirklich das drin ist, was drin sein sollte, dafür gibt es keine Garantie. Im Tierarztmittelverzeichnis warnt die wissenschaftliche Redaktion:
Auch Tina und Stephan kontaktieren nach ihrem Entschluss, Johnny zu therapieren, auf Anraten ihrer Tierärzte eine solche Facebook-Gruppe. Von den Mitgliedern der Facebook-Gruppe bekommen sie Ampullen ausgehändigt – darin enthalten ist der Wirkstoff für die ersten Tage. Dem Paket liegen neben Leckerlis unter anderem auch Spritzen bei, um den Wirkstoff zu verabreichen.
Im Internet bestellen die beiden grüne und pinke Pillen mit dem Wirkstoff zur oralen Verabreichung für die Dauer der restlichen Therapie – der Hersteller wird ihnen von der Facebook-Gruppe empfohlen. Die Mitglieder der Facebook-Gruppe stehen den beiden in den kommenden schweren Wochen immer zur Seite, vor allem auch dann, wenn sie jemanden brauchen, der ihnen Trost oder Rat spendet.
In den Schweizer FIP-Gruppen wirken neben den erfahrenen Mitgliedern auch Tierärzte oder Laborspezialistinnen ehrenamtlich mit, um die betroffenen Katzenbesitzer optimal begleiten zu können. Im Positionspapier der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK+ASMPA) werden die Facebook-Gruppen achtungsvoll erwähnt:
Schellenberg schätzt das Angebot der Facebook-Gruppen, die den Wirkstoff organisieren. Doch er kritisiert, dass in den Gruppen teilweise von Nicht-Veterinären eine Diagnose auf eigene Faust gestellt und im Anschluss eine sehr kostspielige Behandlung in Form einer nicht zugelassenen Therapie mit unsicheren Pillen empfohlen werde. «Das kann gefährlich sein.»
Sobald die Tierbesitzer den Wirkstoff auf dem Schwarzmarkt besorgt haben, weisen einige Veterinäre ihre Kunden an, wie der Wirkstoff zu spritzen oder oral zu verabreichen ist. Selbst Hand anlegen dürfen sie aber nicht, da die Therapie nicht zugelassen ist.
Das erleben auch Tina und Stephan in der Tierklinik im Aargau so: «Johnny liegt auf der Intensivstation und wir müssen ihm selbst seine Spritzen geben. Der Arzt steht daneben, um uns zu zeigen, wie das geht, und Johnny im Notfall medizinisch zu betreuen.»
Eine absurde Situation. Für Tierbesitzer und Veterinäre gleichermassen.
Einige Kollegen würden sich denn auch weigern, nach der Erstdiagnose mitzuwirken. Andere würden bei der Verabreichung und der Überwachung der Therapie beistehen – wie in Johnnys Fall. Und wieder andere würden eine Verzichtserklärung verlangen, die sie von rechtlichen und ethischen Verpflichtungen befreit. Das berichtet Schellenberg über den Flickenteppich, den betroffene Tierbesitzer in der Schweiz antreffen. Meistens, ohne dass sie jemals zuvor von der Krankheit FIP gehört hätten.
Der Veterinär stellt klar: Damit sich solche Szenen in Tierkliniken nicht mehr abspielen und damit kranke Katzen endlich sicher gepflegt und betreut werden können, müsse die Therapie zugelassen werden.
Um eine FIP zu entwickeln, muss sich eine Katze mit dem felinen Coronavirus (FCov) anstecken. Schätzungen zufolge kommen etwa 85 Prozent aller Katzen im Laufe ihres Lebens mit FCoV in Kontakt. Während die meisten Tiere die Infektion unbeschadet überleben, mutiert das Virus bei etwa 5 Prozent der infizierten Katzen und löst so eine FIP aus.
Wo sich Johnny mit dem felinen Coronavirus angesteckt hat, ist für Stephan und Tina nicht rekonstruierbar, vielleicht bereits in der Zucht? Was hingegen klar ist: Das Virus ist in Johnnys Körper mutiert, denn die mutierte Form des Virus ist nicht übertragbar.
Behandelt werden die Katzen von den Facebook-Gruppen und Tierärzten mit GS-441524. Dieser Wirkstoff ist ein sogenannter Metabolit – also ein Zwischenprodukt, das bei einem Stoffwechselvorgang in einem Körper entsteht.
Genau genommen ist GS-441524 ein Stoffwechselprodukt des Wirkstoffes Remdesivir, der von der US-Pharmafirma Gilead patentiert worden ist und gegen eine Reihe von RNA-Viren eingesetzt werden kann – unter anderem gegen Coronaviren.
Doch Gilead hat nicht nur Remdesivir, sondern auch das im Körper entstehende GS-441524 patentieren lassen. Warum, lässt sich nur vermuten, wahrscheinlich geht es um Geld. Gilead hat auf Anfrage von watson nicht reagiert.
Darum ist klar: Solange Gilead keine Zulassung eines Arzneimittels mit GS-441524 beantragt, kann der Wirkstoff weder in der Schweiz noch in einem anderen europäischen Land als Tierarzneimittel auf den Markt gebracht werden. Die Schweizer Zulassungsstelle Swissmedic ist sich dieser Zwickmühle bewusst. Allerdings habe Swissmedic keinen direkten Einfluss darauf, dass eine Firma die Zulassung eines Wirkstoffes beantrage. Sondern könne nur Dossiers prüfen, die von Firmen eingereicht werden, die in der Schweiz ansässig sind.
Dabei würde es den Katzen schon helfen, wenn GS-441524 für einen anderen Zweck, zum Beispiel in der Humanmedizin, zugelassen würde. Der Mediensprecher von Swissmedic, Alex Josty, erläutert gegenüber watson, dass es die Möglichkeit gebe, Medikamente von der Humanmedizin auf die Tiermedizin umzuwidmen, ohne dass extra eine Zulassung oder Genehmigung für diesen Zweck beantragt werden muss. Theoretisch könnte ein Veterinär also Remdesivir als Umwidmung bei einer Katze anwenden – allerdings wirke Remdesivir bei Katzen viel schlechter als die direkte Verabreichung von GS-441524, so ein Mitarbeiter der Abteilung Tierarzneimittel von Swissmedic.
Die Situation scheint also aussichtslos. Doch seit Anfang Jahr gibt es in der Schweiz für an FIP erkrankte Katzen und ihre Besitzer eine grosse Chance: So ist im Rahmen einer kontrollierten Therapiestudie am Universitären Tierspital Zürich der Einsatz von GS-441524 nun legal möglich.
Geleitet wird die Studie von Professorin Regina Hofmann-Lehmann. Hofmann-Lehmann ist vom Einsatz von GS-441524 bei an FIP erkrankten Katzen überzeugt – und genau wie Schellenberg sieht sie die Notwendigkeit für einen sicheren und legalen Einsatz des Wirkstoffes.
Denn der Erfolg der Therapie sei «wirklich durchschlagend», so die Leiterin des Veterinärmedizinischen Labors und Zentrums für klinische Studien der Universität Zürich. Sie sagt gegenüber watson:
Für ihre Therapiestudie haben die Forschenden aus Zürich extra eine Bewilligung beantragen müssen, damit sie das Medikament mit dem Wirkstoff GS-441524 ausschliesslich zu wissenschaftlichen Zwecken legal importieren und einsetzen können in der Schweiz.
Der Vorteil der Tabletten, die in der Studie am Tierspital eingesetzt werden, im Gegensatz zu den Pillen vom Schwarzmarkt liegt auf der Hand: Der Wirkstoff wurde unter kontrollierten und standardisierten Bedingungen hergestellt. Die Dosis lässt sich exakt überwachen und anpassen. Nebenwirkungen können bei der engmaschigen Begleitung frühzeitig registriert und behandelt werden.
Die Forschenden möchten den Einsatz von GS-441524 bei an FIP erkrankten Katzen vorantreiben.
Hofmann-Lehmann erklärt, wie GS-441524-Moleküle die Vermehrung der Virus-Erbinformation unterbrechen, indem sie als «falsche Basen» in den genetischen Bauplan des Virus eingebaut werden. Dadurch können sich Viren in den Zellen nicht mehr vermehren.
Und genau so rettet GS-441524 wohl auch dem siechenden Johnny das Leben. Schon wenige Tage nach Beginn der Therapie auf der Intensivstation ist der Kater auf dem Weg der Besserung. Die Infektionsherde in seinem Körper gehen zurück.
Stephan und Tina dürfen ihn nach einer Woche in der Sauerstoffbox wieder nach Hause nehmen. 84 Tage lang verabreichen sie ihrem Tier nun strikt nach Anweisung der Facebook-Gruppe und der Tierärzte seine Pillen. Denn wenn die Therapie nach 84 Tagen erfolgreich war und innert drei Monaten kein Rückfall verzeichnet werden kann, gelten die Katzen als genesen.
Mehrfach bringen Stephan und Tina Johnny während dieser Zeit wieder in die Klinik für Kontrollen. Zweimal muss der Kater wegen Magenentzündungen behandelt werden. Dreimal wird ein grosses Blutbild – eine teure Laboranalyse – gemacht. Um Gewissheit zu haben, dass das aufwendige Prozedere auch tatsächlich anschlägt und es noch sinnvoll ist, Mensch und Tier weiter diesem Höllenritt auszusetzen.
Johnny scheint FIP besiegt zu haben. Doch zu welchem Preis? Zum einen mussten Stephan und Tina viel Zeit und Liebe in Johnny investieren. Zum anderen lässt sich der Preis, den die zwei gezahlt haben, auf den Rappen genau beziffern. Denn die Krankheit von Johnny hat bislang insgesamt 10'753 Franken gekostet.
Die Kosten setzten sich aus Rechnungen für die Tierärzte, die Tierklinik, Aufbaufutter, aber auch für die grünen und pinken Pillen mit dem Wirkstoff GS-441524 zusammen. Allein die Pillen kosteten den stolzen Betrag von rund 2500 Franken. Das liege wohl auch daran, dass Johnny als Maine-Coon-Kater zu den mächtigsten Rassen gehört und Grösse und das Gewicht auf die benötigte Wirkstoffmenge Einfluss hätten, wie ein erfahrenes Mitglied einer Schweizer FIP-Gruppe gegenüber watson erklärt.
Damit diese riesige Summe einfacher zu stemmen ist, haben die zwei eine GoFundMe-Kampagne ins Leben gerufen, wo sie auf Unterstützung hoffen. Das Spendenziel ist bei 5500 Franken angesetzt.
Johnny hat es geschafft. Vorläufig zumindest. Im Juni dieses Jahres war klar, dass seine Blutwerte sich nach 90 Tagen mit dem Wirkstoff GS-441524 normalisiert haben. Heute tobt der Kater wieder durch die Gegend und hält seine Menschen auf Trab. Doch Stephan und Tina können noch nicht endgültig aufatmen.
Ob ihr Deal mit dem Teufel wirklich ein Leben wert war, wird sich in wenigen Wochen zeigen, wenn das finale Blutbild ansteht.
* Tina und Stephan sind Pseudonyme. Johnny ist der echte Name des Katers.
Ich kann es vollkommen verstehen und freue mich für die Halter, dass sie Ihre Katze retten konnten.
Wenn ich aber daran denke, wie Tiere speziell gezüchtet werden nur um Menschen davon zu überzeugen sie zu kaufen. Die Tiere dann Spezialfutter bekommen, Medikamente usw. Ist es schon abstrakt. Was denken sich wohl Menschen die Hungern, wenn Sie so etwas hören?
Dass es jetzt eine Möglichkeit gibt, ist natürlich super! Es bleibt dann für die Katzenbesitzer vor allem die Frage, ob sie eine solch aufwändige Behandlung zeitlich und finanziell stemmen mögen.
Das ist alles gut und recht, aber solch eine Behandlung könnten wir uns nicht leisten..... das heisst es wäre ganz einfach das Todesurteil für das Tier... Das ist nun mal auch eine ( traurige) Realität, auch wenn es ein Familienmitglied ist...