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5 Mal Unsinn auf so wenig Zeilen: Was am viralen Leserbrief über Sozialhilfebeiträge für Asylbewerber alles falsch ist

5 Mal Unsinn auf so wenig Zeilen: Was am viralen Leserbrief über Sozialhilfebeiträge für Asylbewerber alles falsch ist

10.06.2015, 09:3911.06.2015, 10:38
Daria Wild
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Über 30'000 Mal geteilt, verbreitet sich der Leserbrief über Sozialhilfebeiträge für Asylbewerber noch immer auf Facebook. Und obwohl das, was drinsteht, diskussionslos falsch ist, wirft er Fragen auf: Was genau ist so falsch an den kolportierten Zahlen? Warum soll man nicht die AHV-Beiträge mit den Sozialhilfebeiträgen für Asylbewerber vergleichen können? Und schon sind die Zweifel da. Vielleicht, ja vielleicht, ist da doch was dran. 

Nein, ist es nicht.

Die Erklärungen zu den Fehler gibt's unten.
Die Erklärungen zu den Fehler gibt's unten.bild: watson

Hier die Erklärungen:

1. Fehler: Alle Asylbewerber leben von Sozialhilfe

Kälin legt in ihrer Streitschrift gerade mal mit einer pauschalen Aussage los: «Die armen Asylanten der Schweiz bekommen Sozialhilfe in der Schweiz ...»

Das ist – in dieser Absolutheit – falsch. Das Bundesamt für Statistik zählt per 30. Juni 2014 19'815 Sozialhilfebeziehende im Asylbereich. Rund zwei Drittel davon sind Asylsuchende, ein Drittel vorläufig aufgenommene Personen mit weniger als 7 Jahren Aufenthalt in der Schweiz.  

Die Sozialhilfequote aller Sozialhilfeempfänger im Asylbereich belief sich dabei auf 83,5 Prozent. 16,5 Prozent der Asylsuchenden beziehen also keine Sozialhilfe, sondern Nothilfe.

Übrigens: Arbeiten dürfen Asylbewerber die ersten drei Monate nicht. Danach entscheiden die Kantone. Und selbst dann ist es ihnen fast unmöglich, einen Job zu bekommen: Der Inländervorrang legt fest, dass eine Person mit dem Schweizer Pass oder aus dem EU-Raum zuerst berücksichtigt werden muss. 

2. Fehler: 56 Franken Sackgeld!

Kälin schreibt weiter: «Die armen Asylanten der Schweiz bekommen Sozialhilfe in der Schweiz und dies sind gemäss aktuellen Medienberichten 56 Franken pro Person und Tag.»

Das ist falsch. Kälin bezieht sich auf den Pauschalbeitrag, den die Kantone pro Asylbewerber bekommen (damals etwas unglücklich in diesem Artikel als Unterstützungsbeitrag formuliert). 

Nochmals deutlicher formuliert: Für die Kantone gibt's 56 Franken, für den Asylbewerber einen Bruchteil davon. 

Dieser Bruchteil ist ein sehr viel kleinerer Betrag: Die zum Zeitpunkt von Kälins Leserbrief gültigen Unterstützungsgelder belaufen sich – je nach Kanton – auf circa 11 bis 15 Franken. 

3. Fehler: Asylsuchende bekommen alles geschenkt

«Zugegeben», schreibt Kälin, Rentner würden zwar zwei Franken mehr als die 56 Franken bekommen, jedoch mit dem Unterschied, dass die Schweizer davon Krankenkasse, Versicherungen, Mietzins, Zahnarzt und Kleider bezahlen würden. 

Das ist nicht richtig. Auch die Leistungen für Asylsuchende unterscheiden sich von Kanton zu Kanton. In Bern beispielsweise müssen die 15.40 Franken für sämtliche Lebenshaltungskosten reichen.

4. Fehler: Rentner werden nicht kriminell

«Und trotzdem», schreibt Kälin weiter, «werden auch die ärmsten Rentner, die lediglich 27'840 Franken in 12 Monaten bekommen (...) nicht kriminell».

Auch das ist eine leider kreuzfalsche Pauschalaussage. Die Kriminalitätsrate der über 50-Jährigen steigt seit Jahren. In diesem watson-Artikel gibt's anschauliche Grafiken dazu.

5. Fehler: Asylbewerber ohrfeigen Rentner

«Diese Sozialhilfekosten für Asylanten», kommt Kälin zum Finale,« ist eine Ohrfeige für alle Rentnerinnen und Rentner, die ein Leben lang gespart und gearbeitet haben.» Auch das ist Unsinn. 

Die Einzahlung in die Pensionskasse ist obligatorisch, neben der AHV stehen Rentnern also auch diese Gelder zu Verfügung. Der Vergleich zwischen den AHV-Beiträgen und Sozialhilfebeiträgen für Asylbewerber hinkt also schon aus dem Grund, dass die AHV-Rente «nur» die erste von drei Säulen der Altersrente ist.

Ausserdem können Pensionäre mit tiefen AHV-Renten Ergänzungsleistungen beantragen – zum Beispiel Leistungen für die Krankenkasse. 

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92 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tom Scherrer
10.06.2015 10:21registriert März 2014
ein kleines bild: du lebst im Kongo, bist ein mädchen von 15 Jahre und wirst gerade von einem Milizsoldaten vergewaltigt. du lässt es über dich ergehen, da du weist, dass wenn du es nicht machst, du in den Knast wanderst ( und somit noch mehr Misshandlungen ausgesetzt bist) oder du oder deine Familienmitglieder einfach mal so ermordet werden - sowas passiert dort - täglich. Die Dame verpasst es, einfach mal danke zu sagen, dass sie in der schweiz beschützt älter werden durfte. ich wünsche mir, dass ich im Alter nicht so werde und mich entspannt zurücklehnen und mich sozial engagieren kann.
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Kyle C.
10.06.2015 11:14registriert Oktober 2014
Das wirklich Falsche an diesem Leserbrief ist die Haltung - und damit repräsentiert sie leider einen Grossteil der Asylgegner - dass angesichts von menschenrechtswidrigen Zuständen in den Herkunftsländer der Schweizer (absichtlich pauschalisiert!) sehr oft nichts besseres weiss als das Elend egoistisch auszublenden und solche Kalkulationen aufzustellen. Sie soll doch einem Flüchtling ins Gesicht sagen, dass er/sie dieses bisschen Geld nicht verdient. Dass wir zwar auf Milliarden sitzen und weitere Milliarden für unnötiges Zeug verpulvern, ihm/ihr die 56 Fränkli aber trotzdem nicht zustehen.
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saukaibli
10.06.2015 10:00registriert Februar 2014
"...Ohrfeige für alle Rentnerinnen und Rentner, die ein Leben lang gespart und gearbeitet haben." Man könnte es in Bezug auf die Flüchtlinge auch anders ausdrücken. "Rentner, die ein Leben lang arbeiten konnten und genug verdienten um sich etwas anzusparen." Ich denke für die meisten Flüchtlinge klingt das nach dem Paradies auf Erden.
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