Das Verbot von Waffenexporten in Kriegsländer soll gelockert werden. Nach der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats stimmte auch jene des Ständerats dem Schritt zu.
Konkret soll Kriegsmaterial künftig unter bestimmten Bedingungen auch in Länder geliefert werden dürfen, die in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Die Politiker reagieren damit auf die Klagen der Rüstungsindustrie, wonach die wirtschaftliche Situation in der Branche angespannt sei und die Exporte zurückgingen.
Doch: Welche Krisenregionen wird die Schweiz damit künftig mit Kriegsmaterial beliefern? Eine einfache Antwort auf die Frage gibt es nicht, denn die Bestimmungen des Bundesrats sind vage. Beim zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) heisst es auf Anfrage: «Zu einzelnen Staaten können wir nicht spekulieren». Allerdings gibt es zahlreiche Indizien:
Wenn es um Kriegsmaterialexporte geht, hat die Schweiz ziemlich klare Vorstellungen davon, wer die «Guten» und wer die «Bösen» sind. Die Kriegsmaterialverordnung enthält eine Art Whitelist von insgesamt 25 Staaten, welche die Schweizer Rüstungsindustrie vereinfacht beliefern darf. Dazu zählen zahlreiche europäische Länder, genauso wie zum Beispiel die USA, Kanada, Japan oder Argentinien. Es findet aber auch hier eine Einzelprüfung des Waffenexports statt.
Weiter existiert auch eine Blacklist mit Ländern, in die Waffenlieferungen heute in jedem Fall tabu sind. Es handelt sich um Staaten, die von der UNO oder der OSZE mit Sanktionen belegt wurden. Dazu zählen etwa der Irak, der Sudan, Libyen, Syrien, der Jemen und Nordkorea. Insgesamt sind gut 20 Staaten betroffen.
Damit verbleiben weltweit rund 150 Staaten, die sich in einer Grauzone dazwischen befinden. Will ein Schweizer Rüstungshersteller in eines dieser Länder exportieren, braucht er in jedem Fall eine Bewilligung. Das Seco prüft jedes Gesuch einzeln – mit der Unterstützung des Aussendepartements EDA. Je nach Fall sind auch weitere Verwaltungsstellen beteiligt, über Gesuche mit erheblicher aussen- oder sicherheitspolitischer Tragweite kann der Bundesrat entscheiden. Es sind die Staaten in dieser Kategorie, die potenziell von der Änderung betroffen sind.
«In Länder, die mit UNO-Sanktionen belegt sind, werden auch künftig keine Kriegsmaterialexporte bewilligt», hält Fabian Maienfisch vom Seco fest. Exporte in klassische Bürgerkriegsländer wie Jemen oder Syrien bleiben damit tabu.
Die Rüstungsindustrie pocht zwar seit geraumer Zeit auf eine Lockerung der Exportregeln. Auf Anfrage von watson wollte der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag jedoch keine Angaben dazu machen, welche Märkte man dabei im Kopf hat. Eine Anfrage beim Kreuzlinger Hersteller Mowag blieb unbeantwortet.
Aufschlussreich ist hingegen ein Blick auf die Deals, die der Bund in jüngster Vergangenheit verhindert hat. Das Seco hat vergangenes Jahr 16 Ausfuhrgesuche (von total 2677) und 48 sogenannte Voranfragen (von total 65) abgelehnt, wie aus einer Liste hervorgeht, die watson vorliegt.
Der Bund hat unter anderem in folgenden Fällen die rote Karte gezückt:
Mehrere der abschlägigen Entscheide begründete das Seco unter anderem mit Artikel 5, Absatz 2 der Kriegsmaterialverordnung – das ist jener Paragraph, der nun geändert werden soll. Bei den gepanzerten Fahrzeugen für die Türkei waren die Bestimmungen zu den internen Konflikten der einzige Ausschlussgrund.
Wie die «SonntagsZeitung» im April berichtete, nannten die Rüstungsfirmen die Mowag-Fahrzeuge in einem Schreiben an die Sicherheitspolitiker im Bundeshaus gar explizit als Beispiel eines «defensiven Rüstungsguts», dessen Export dank einer Lockerung der Kriegsmaterialverordnung künftig eher möglich sein soll.
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) bekämpft die Änderung der Kriegsmaterialverordnung an vorderster Front. GSoA-Sekretär Lewin Lempert rechnet damit, dass künftig viele Deals erlaubt werden, die bisher mit Verweis auf interne Konflikte verboten wurden. «Ein Paradebeispiel sind die gepanzerten Fahrzeuge, die die Mowag letztes Jahr in die Türkei liefern wollte.»
Er gehe davon aus, dass insbesondere die Exporte in die Türkei und nach Saudi-Arabien zunehmen dürften, so Lempert. Mit Sicherheit lasse sich dies derzeit allerdings nicht sagen: «Das Seco allein kann entscheiden, wo es die Grenze zieht. Diese Willkür ist aus unserer Sicht gefährlich.»
Lempert verweist darauf, dass schon heute Kriegsmaterial nach Saudi-Arabien geliefert wird, obwohl das Land am Jemenkrieg beteiligt ist. «Mit der Änderung der Verordnung würden solche Geschäfte, die heute rechtlich kritisch sind, legitimiert. Das ist verheerend, denn die Gefahr, dass Waffen in solchen Ländern in falsche Hände geraten, ist enorm.»
Ausfuhrbewilligungen sollen künftig im Einzelfall erteilt werden, «wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt wird», teilte der Bund mit.
Seco-Sprecher Fabian Maienfisch betont, Exportgesuche würden auch weiterhin nur bewilligt, wenn dabei das Völkerrecht, die internationalen Verpflichtungen und die Grundsätze der schweizerischen Aussenpolitik gewahrt werden können.
Bei den Exporten nach Saudi-Arabien handle es sich heute grösstenteils um Kriegsmaterial für die Flugabwehr, «also um Material, bei welchem kein Grund zur Annahme besteht, dass es im Jemenkonflikt zum Einsatz kommen könnte». Daran werde sich auch nach einer Anpassung der Kriegsmaterialverordnung nichts ändern.
Auch an Exporte in die Türkei im grossen Stil sei nicht zu denken, so Maienfisch. Bereits seit 2005 bewillige die Schweiz Kriegsmaterial-Ausfuhren in das Land nur sehr restriktiv. «Anfang 2017 wurden die Bestimmungen aufgrund der gesteigerten Intensität der Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) noch einmal verschärft – seither ist die Bewilligung neuer Ausfuhrgesuche grundsätzlich ausgeschlossen.»
Exporte in die Türkei werden aktuell lediglich erlaubt, wenn es sich um Ersatzteile für bereits geliefertes Kriegsmaterial handelt, oder um einzelne Hand- und Faustfeuerwaffen, die für den Privatgebrauch von Diplomaten bestimmt sind.
Ruag-Sprecher Clemens Gähwiler teilt mit, der Konzern nehme zu laufenden politischen Prozessen keine Stellung. Nur so viel: Man halte sich strikt an die schweizerische Exportgesetzgebung – auch im Ausland.
Disclaimer: Der Artikel erschien in einer ersten Version bereits am 25. August 2018 auf watson.ch