Eine Frau, ein Mann und zwei kleine Kinder auf der Marbachegg in Luzern – das illustriert ein Werbeplakat der Bahngesellschaft BLS. Darüber der Slogan «Heimatland: Isch das schön hie». Einem Dozenten und eifrigen Twitterer stösst das Bild sauer auf.
«Wie kann Werbung 2018 mit diesem Familienbild arbeiten?», fragt er seine rund 8000 Follower. Auf den Tweet folgte eine rege Diskussion.
In der Kommentarspalte ergänzt er später: «Solche Familien erfüllen die Norm – weshalb sollte man sie zeigen?»
Auf Anfrage erklärt der Dozent im Telefongespräch, das Foto stelle nur eine ganz bestimmte und veraltete Vorstellung der Familie dar, die heute in vielen Fällen nicht mehr der Realität entspreche. Darauf müsse die Werbung Rücksicht nehmen, um keine Gefühle zu verletzen.
Werbung müsse verschiedene Familienkonstrukte zeigen, meint Wampfler weiter – «also hier zum Beispiel drei Erwachsene mit vier Kindern.» Auch gut wäre ein Kind im Rollstuhl oder eine dunkelhäutige Person.
Doch Werbungen mit der klassischen Familie verdammen zu wollen – das ist Schwachsinn.
Tatsache ist, in drei Vierteln der Familienhaushalte wohnen verheiratete Eltern mit ihren gemeinsamen Kindern. Einer von sieben Haushalten ist ein Einelternhaushalt und in einem von zwanzig Haushalten lebt eine Patchworkfamilie, führt der Familienbericht 2017 des Bundesamts für Statistik aus. Und auch wenn die Zahl der binationalen Ehen steigt, bleibt sie in der Minderheit: 2016 waren insgesamt 36,3 Prozent der eingegangenen Ehen gemischt-national. Die Mehrheit der Familien sieht also ähnlich aus wie auf dem Bild der BLS-Werbung. Die traditionelle Familie hat somit genauso ihre Berechtigung wie andere Familienformen auch.
Ich selbst komme aus einer Patchwork-Familie und hätte mir nie etwas anderes gewünscht. Doch moderne Familienmuster und Diversität bedeuten nicht, dass die konventionelle Familie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden muss.
Wer so argumentiert, schürt im Gegenteil Ressentiments zwischen den verschiedenen Familienformen – und vertieft bestehende Gräben. Traditionalisten werden den Steilpass dankbar aufnehmen: Haben sie doch immer gewarnt, dass die «Political-Correctness» uns alles nehmen will, was unsere abendländische Kultur ausmacht.
Die Kritik an der Werbung entlarvt ausserdem das Weltbild des Absenders. Wer sagt denn, dass die beiden Erwachsenen auf dem Bild die leiblichen Eltern der Kinder sind? Das Werbeplakat lässt genügend Interpretationsspielraum. Es könnte eine Patchwork-Familie zeigen. Oder ein Geschwisterpaar mit den Kindern des Einen. Was man darin sieht, kommt auf die eigene Haltung an. Stellt man die Gleichung auf: Frau plus Mann mit zwei Kindern gleich klassische Familie, hängt man möglicherweise mehr am konventionellen Familienbild, als man sich eingestehen möchte.
Man kann bedauern, dass die BLS auch auf ihren weiteren Kampagnen-Sujets keine Diversität darstellt, auch bezüglich Regenbogenfamilien. Doch ein einziges Werbeplakat zu beurteilen, weil es ein traditionelles Bild vermittelt, ist ein No-Go. Die Medienstelle der BLS erklärt auf Anfrage übrigens, sie wolle mit ihrem Plakat kein Familienbild vermitteln. Es handle sich lediglich um «eine aus dem Leben gegriffene Situation, die tatsächlich so vorkommen kann.»
Tatsächlich tragen Werber eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung. Und es gibt genug Werbungen, die ein antiquiertes Rollenbild transportieren, das man kritisieren darf und soll. So wurde Ende letztes Jahr in der Schweiz eine Werbung für das Waschmittel Ariel ausgestrahlt, die aus den 50ern hätte stammen können. «Unterstützt alle Mütter mit strahlend reiner Wäsche», hiess es darin. Klartext: Frauen seien für den Haushalt verantwortlich. Die Schlagzeilen überschlugen sich – zu recht.