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Auf dem Dorfplatz stehen ein Mädchen und ein Bub mit einem Appenzeller Bläss. Es ist Mittag und etwas dunstig. Das rechte Bein des Hundes ist eingegipst. «Er ist unter ein Auto gekommen», sagt der Bub. Der Hund heisst Bärli. «Wenn er grösser ist nennen wir ihn Bär», sagt das Mädchen.
Heile Welt auf einem auf den ersten Blick ganz normalen Dorfplatz, wie es ihn in zig Schweizer Gemeinden gibt. Aber etwas ist besonders an diesem 2000-Seelen-Dorf im Appenzeller Hinterland: Es ist seiner Zeit politisch voraus, denn hier ist die Hornkuh-Initiative, die heute in Bern eingereicht wird, schon lange umgesetzt. 97 Prozent aller Kühe tragen Hörner. Ganz im Gegensatz zur Restschweiz, wo Grossbetriebe mit Laufställen voller enthornter Kühe Usus sind. Doch die Urnäscher Bauern lassen ihren Tieren die Hörner nicht des Geldes wegen stehen, sondern wegen der Tradition.
Der Hof der Frischknechts liegt an einem Hang etwas ausserhalb des Dorfes. Jürg Frischknecht führt den Betrieb mit seiner Frau, den drei Kindern und seinem Vater. Auf der Weide, auf der die 40 Stück Vieh der Frischknechts Auslauf haben, liegt noch eine dünne Schneeschicht.
«Sie sehen doch einfach schön aus mit ihren Hörnern», sagt Frischknecht, währenddessen er «Korea» an den Hörnern vor den Stall führt und ihr den Rücken tätschelt. Frischknecht kennt noch all seine Tiere beim Namen und sagt: «Jede Kuh hat ihren eigenen Charakter, ihre eigenen Marotten.» Einen Hof mit Hornkühen zu betreiben, brauche Zeit. Nur der regelmässige Kontakt zwischen Mensch und Tier bringe Ruhe in die Herde. Und die sei wichtig, wenn die Kühe Hörner tragen.
In den grossen Laufställen, in denen Roboter die Tiere melken und füttern, verbringen die Bauern wohl weniger Zeit mit ihren Kühen, wissen weniger über deren Befinden Bescheid. Frischknecht wendet sich «Fink» zu. Die sei etwas nervös heute.
Hornlose Kühe? Nein, daran hat Frischknecht nie einen Gedanken verschwendet. Schon nur wegen der Alpfahrten nicht, die in Urnäsch eine grosse Tradition haben. Kühe ohne Hörner auf die Alp zu führen, das kann sich Frischknecht schlicht nicht vorstellen. Aber das nicht ausschliesslich aus rein traditionellen Gründen, so viel sei verraten.
Denn Frischknechts Milch geht, wie die Milch beinahe aller Bauern des Dorfes, zur Urnäscher Milchspezialitäten AG. Und die weiss die behornten Kühe zu vermarkten. Im dazugehörigen Käse-Lädeli steht auf einem Schild: «Wir sind stolz auf unseren Vizeweltmeister Hornkuhkäse.»
Der Urnäscher Käse aus der Milch der Urnäscher Hornkühe hat sich in der offiziellen Käse-Weltmeisterschaft gegen beinahe 3000 Sorten aus aller Welt durchgesetzt. Mitte April wird Käser-Meister Johannes Schefer in Milwaukee die Auszeichnung abholen. «Dieser Preis ist die Krönung», sagt Schefer leise. Er bleibt bescheiden im Erfolg, stellt sein Team in den Vordergrund, erzählt davon, wie konstantes und sauberes Arbeiten das Wichtigste sei. Dann spricht er von der Milch. «Sie muss frisch und sauber sein. Die Milch, mit der wir arbeiten dürfen, ist so hochstehend, dass wir als Käser eigentlich gar nichts falsch machen dürfen.»
Schmeckt die Milch und der daraus produzierte Käse so gut, weil die Kühe Hörner haben? «Das kann ich schlicht nicht sagen», sagt Schefer. Allerdings wisse er, den Kühen in Urnäsch gehe es gut, die Bauern kümmerten sich überdurchschnittlich gut um sie. Und dem Marketing schadet es auch nicht, wenn man auf unenthornte Kühe verweisen kann, die der Postkartenidylle der ländlichen Schweiz alle Ehre machen.
Von der Hornkuh-Initiative, die mehr Geld für Kühe mit Hörner fordert, halten die Urnäscher deshalb wenig. Geld sei der falsche Anreiz. Es seien aber nicht Marketing-Gründe, die nebst Tradition verantwortlich dafür sind, dass in Urnäsch die Kühe immer Hörner trugen und dies auch in Zukunft immer tun werden: Ein sturer Schlag Menschen seien sie, die sich nicht gerne irgendwelchen Trends anpassten, meint Schefer. Weiter sind die Urnäscher Bauern von drei Punkten überzeugt: 1. Enthornungen sind unangenehm für die Kühe. 2. Hörner haben eine Funktion als Sinnesorgan. 3. Es gibt Leben in den Hörnern.
Immer wieder fällt das Wort Stolz. Auch Bauer Gustav Schmid, der auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes von Frischknecht wohnt, redet viel davon. «Mein Stolz würde nie eine Enthornung zulassen», sagt er. Er kenne nichts anderes als die Arbeit mit Hornkühen. Nehme man einer Kuh das Horn, nehme man ihr die Würde. 45 Kühe stehen in seinem Anbinde-Stall. Probleme, oder Verletzungen – weder unter den Tieren noch mit Menschen hatte Schmid noch nie. Damit die Hörner schön wachsen, verwendet er wie alle Bauern hier Hornführer aus Leichtmetall für seine Kälber. Von der Hornkuh-Initiative oder dem «Hornfranken», wie er es nennt, hält er nicht viel. «Wir brauchen kein Geld, um den Kühen ihre Hörner zu lassen.»
Die Urnäscher pflegen ihre Traditionen unbestritten. Allerdings haben sie auch begriffen, dass sich diese Traditionen – und nicht zuletzt die vielen Kühe mit den Hörnern – wunderbar vermarkten lassen und dies nicht erst, seit der Vizeweltmeister-Käse aus ihrem Dorf kommt. Schon länger schreiben die Ausserrhoder Bauern ihren Bergkäse gross mit Hornkuhkäse an. Touristen, die fasziniert vor Kühen mit Hörnern auf den Weiden Urnäschs stehenbleiben und Stadtkinder, die noch nie Kühe mit Hörnern gesehen haben, fallen den Urnäschern immer wieder auf.
Das Reka-Dorf etwa bietet Ausflüge zu den Urnäschern Bauernhöfen an. Unter anderem auf dem Programm: Hornkühe melken. So können Touristen Landwirtschaft und Umwelt von «einer ganz anderen Seite kennenlernen». Und die Kindern lernen, dass die Kühe hier in ihrer ursprünglichen Form leben. Und dass Kühe ohne Hörner keine richtigen Kühe sind.
Diese heile Welt herrscht allerdings nicht überall. Die grossen Landwirtschaftsbetriebe, die hauptverantwortlich für die Milchproduktion in unserem Land sind, können es sich schlicht nicht leisten, Kuh für Kuh mit einer einzelnen Melkmaschine zu melken. Laufställe mit Robotern sind unumgänglich. Solche Grossställe gibt es in Urnäsch nicht, alle Höfe befinden sich in der Bergzone und profitieren deshalb von zusätzlichen Subventionen.
Die Sonne steht bereits tief, im Verlaufe des Tages hat sie in die am morgen noch überall weisse Hügellandschaft zahlreiche grüne Flecken gebrannt. Auch wird die Sicht jetzt etwas besser. Hinter dem Dorf zeigt sich der Säntis. Zu den Alpen am Fusse des massiven Bergs werden die Urnäscher Bauern Ende Mai wieder aufbrechen mit ihrem Vieh – selbstverständlich mit Hörnern.