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Die Gehörnten: In diesem Dorf tragen sämtliche Kühe Hörner

In Urnäsch sehen Kühe noch aus wie Kühe. 
In Urnäsch sehen Kühe noch aus wie Kühe. 
Bild: WATSON

Dieses Appenzeller Dorf wird reich, wenn wir die Hornkuh-Initiative annehmen: Eine Visite

Heute wird in Bern die Hornkuh-Initiative eingereicht, die Kühe mit Hörnern subventionieren will. Im Ausserrhodischen Urnäsch kümmert das niemanden. In den Urnäscher Ställen tragen alle Kühe Horn. 
23.03.2016, 10:2331.03.2016, 12:24
Felix Burch
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Auf dem Dorfplatz stehen ein Mädchen und ein Bub mit einem Appenzeller Bläss. Es ist Mittag und etwas dunstig. Das rechte Bein des Hundes ist eingegipst. «Er ist unter ein Auto gekommen», sagt der Bub. Der Hund heisst Bärli. «Wenn er grösser ist nennen wir ihn Bär», sagt das Mädchen.

Heile Welt auf einem auf den ersten Blick ganz normalen Dorfplatz, wie es ihn in zig Schweizer Gemeinden gibt. Aber etwas ist besonders an diesem 2000-Seelen-Dorf im Appenzeller Hinterland: Es ist seiner Zeit politisch voraus, denn hier ist die Hornkuh-Initiative, die heute in Bern eingereicht wird, schon lange umgesetzt. 97 Prozent aller Kühe tragen Hörner. Ganz im Gegensatz zur Restschweiz, wo Grossbetriebe mit Laufställen voller enthornter Kühe Usus sind. Doch die Urnäscher Bauern lassen ihren Tieren die Hörner nicht des Geldes wegen stehen, sondern wegen der Tradition.  

«Es gibt Leben in den Hörnern.»
Johannes Schefer, Käsermeister

Der Hof der Frischknechts liegt an einem Hang etwas ausserhalb des Dorfes. Jürg Frischknecht führt den Betrieb mit seiner Frau, den drei Kindern und seinem Vater. Auf der Weide, auf der die 40 Stück Vieh der Frischknechts Auslauf haben, liegt noch eine dünne Schneeschicht.

«Sie sehen doch einfach schön aus mit ihren Hörnern», sagt Frischknecht, währenddessen er «Korea» an den Hörnern vor den Stall führt und ihr den Rücken tätschelt. Frischknecht kennt noch all seine Tiere beim Namen und sagt: «Jede Kuh hat ihren eigenen Charakter, ihre eigenen Marotten.» Einen Hof mit Hornkühen zu betreiben, brauche Zeit. Nur der regelmässige Kontakt zwischen Mensch und Tier bringe Ruhe in die Herde. Und die sei wichtig, wenn die Kühe Hörner tragen.

In den grossen Laufställen, in denen Roboter die Tiere melken und füttern, verbringen die Bauern wohl weniger Zeit mit ihren Kühen, wissen weniger über deren Befinden Bescheid. Frischknecht wendet sich «Fink» zu. Die sei etwas nervös heute.

Hornlose Kühe? Nein, daran hat Frischknecht nie einen Gedanken verschwendet. Schon nur wegen der Alpfahrten nicht, die in Urnäsch eine grosse Tradition haben. Kühe ohne Hörner auf die Alp zu führen, das kann sich Frischknecht schlicht nicht vorstellen. Aber das nicht ausschliesslich aus rein traditionellen Gründen, so viel sei verraten.

Bauer Jürg Frischknecht mit seiner «Korea».
Bauer Jürg Frischknecht mit seiner «Korea».
bild: watson
Kalb mit Hornführer.
Kalb mit Hornführer.
bild: watson

Denn Frischknechts Milch geht, wie die Milch beinahe aller Bauern des Dorfes, zur Urnäscher Milchspezialitäten AG. Und die weiss die behornten Kühe zu vermarkten. Im dazugehörigen Käse-Lädeli steht auf einem Schild: «Wir sind stolz auf unseren Vizeweltmeister Hornkuhkäse.»

Der Urnäscher Käse aus der Milch der Urnäscher Hornkühe hat sich in der offiziellen Käse-Weltmeisterschaft gegen beinahe 3000 Sorten aus aller Welt durchgesetzt. Mitte April wird Käser-Meister Johannes Schefer in Milwaukee die Auszeichnung abholen. «Dieser Preis ist die Krönung», sagt Schefer leise. Er bleibt bescheiden im Erfolg, stellt sein Team in den Vordergrund, erzählt davon, wie konstantes und sauberes Arbeiten das Wichtigste sei. Dann spricht er von der Milch. «Sie muss frisch und sauber sein. Die Milch, mit der wir arbeiten dürfen, ist so hochstehend, dass wir als Käser eigentlich gar nichts falsch machen dürfen.» 

Käsermeister Johannes Schefer.
Käsermeister Johannes Schefer.
bild: zvg

Schmeckt die Milch und der daraus produzierte Käse so gut, weil die Kühe Hörner haben? «Das kann ich schlicht nicht sagen», sagt Schefer. Allerdings wisse er, den Kühen in Urnäsch gehe es gut, die Bauern kümmerten sich überdurchschnittlich gut um sie. Und dem Marketing schadet es auch nicht, wenn man auf unenthornte Kühe verweisen kann, die der Postkartenidylle der ländlichen Schweiz alle Ehre machen.

«Nimmt man einer Kuh das Horn, nimmt man ihr die Würde.»
Gustav Schmid, Bauer aus Urnäsch

Von der Hornkuh-Initiative, die mehr Geld für Kühe mit Hörner fordert, halten die Urnäscher deshalb wenig. Geld sei der falsche Anreiz. Es seien aber nicht Marketing-Gründe, die nebst Tradition verantwortlich dafür sind, dass in Urnäsch die Kühe immer Hörner trugen und dies auch in Zukunft immer tun werden: Ein sturer Schlag Menschen seien sie, die sich nicht gerne irgendwelchen Trends anpassten, meint Schefer. Weiter sind die Urnäscher Bauern von drei Punkten überzeugt: 1. Enthornungen sind unangenehm für die Kühe. 2. Hörner haben eine Funktion als Sinnesorgan. 3. Es gibt Leben in den Hörnern.  

Der Urnäscher Bauer Gustav Schmid im Stall bei seinen Kühen.
Der Urnäscher Bauer Gustav Schmid im Stall bei seinen Kühen.
bild: watson 
Kühe mit gerichteten Hörnern in Gustav Schmids Stall.
Kühe mit gerichteten Hörnern in Gustav Schmids Stall.
bild: watson

Immer wieder fällt das Wort Stolz. Auch Bauer Gustav Schmid, der auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes von Frischknecht wohnt, redet viel davon. «Mein Stolz würde nie eine Enthornung zulassen», sagt er. Er kenne nichts anderes als die Arbeit mit Hornkühen. Nehme man einer Kuh das Horn, nehme man ihr die Würde. 45 Kühe stehen in seinem Anbinde-Stall. Probleme, oder Verletzungen – weder unter den Tieren noch mit Menschen hatte Schmid noch nie. Damit die Hörner schön wachsen, verwendet er wie alle Bauern hier Hornführer aus Leichtmetall für seine Kälber. Von der Hornkuh-Initiative oder dem «Hornfranken», wie er es nennt, hält er nicht viel.  «Wir brauchen kein Geld, um den Kühen ihre Hörner zu lassen.» 

Traditionen und Marketing verschmelzen

Die Urnäscher pflegen ihre Traditionen unbestritten. Allerdings haben sie auch begriffen, dass sich diese Traditionen – und nicht zuletzt die vielen Kühe mit den Hörnern – wunderbar vermarkten lassen und dies nicht erst, seit der Vizeweltmeister-Käse aus ihrem Dorf kommt. Schon länger schreiben die Ausserrhoder Bauern ihren Bergkäse gross mit Hornkuhkäse an. Touristen, die fasziniert vor Kühen mit Hörnern auf den Weiden Urnäschs stehenbleiben und Stadtkinder, die noch nie Kühe mit Hörnern gesehen haben, fallen den Urnäschern immer wieder auf.

Das Reka-Dorf etwa bietet Ausflüge zu den Urnäschern Bauernhöfen an. Unter anderem auf dem Programm: Hornkühe melken. So können Touristen Landwirtschaft und Umwelt von «einer ganz anderen Seite kennenlernen». Und die Kindern lernen, dass die Kühe hier in ihrer ursprünglichen Form leben. Und dass Kühe ohne Hörner  keine richtigen Kühe sind.

Bild
Urnäscher Hornkuhkäse 
Der Hornkuhkäse der Urnäscher Milchspezialitäten AG belegte an den diesjährigen Weltmeisterschaften der Käser im Madison, im US-Bundesstaat Wisconsin, den zweiten Platz. 2955 verschiedene Käsesorten aus aller Welt bewertete die Jury. Der Urnäscher Hornkuhkäse machte 99,4 von 100 möglichen Punkten. Käsermeister Johannes Schäfer verwendet kein Geheimrezept. Sein Käse habe einen reinen, kräftigen und würzigen Geschmack – dank der Milch. Die Milch, mit welcher der Hornkuhkäse produziert wird, stammt von 35 Bauernbetrieben rund um das Dorf Urnäsch. Die Bauern sind alle Aktionäre der Milchspezialitäten AG. Sie müssen sich verpflichten, keine Kühe und Kälber zu enthornen. (feb) 

Diese heile Welt herrscht allerdings nicht überall. Die grossen Landwirtschaftsbetriebe, die hauptverantwortlich für die Milchproduktion in unserem Land sind, können es sich schlicht nicht leisten, Kuh für Kuh mit einer einzelnen Melkmaschine zu melken. Laufställe mit Robotern sind unumgänglich. Solche Grossställe gibt es in Urnäsch nicht, alle Höfe befinden sich in der Bergzone und profitieren deshalb von zusätzlichen Subventionen. 

Urnäsch am Mittag unter der Woche. Es ist ruhig, die Strassen sind beinahe menschenleer.
Urnäsch am Mittag unter der Woche. Es ist ruhig, die Strassen sind beinahe menschenleer.
bild: watson

Die Sonne steht bereits tief, im Verlaufe des Tages hat sie in die am morgen noch überall weisse Hügellandschaft zahlreiche grüne Flecken gebrannt. Auch wird die Sicht jetzt etwas besser. Hinter dem Dorf zeigt sich der Säntis. Zu den Alpen am Fusse des massiven Bergs werden die Urnäscher Bauern Ende Mai wieder aufbrechen mit ihrem Vieh – selbstverständlich mit Hörnern. 

Seit rund 20 Jahren werden Kühe enthornt. Was das bedeutet, zeigt dieses Video.

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schmiedrich
23.03.2016 10:33registriert Dezember 2015
So din Blödsinn! Nicht die Idee an sich, es wäre ja von Natur aus normal, dass Kühe Hörner haben, ob das besser oder schlechter ist... Kann ja egal sein. Aber sowas gehört doch nicht in die Verfassung...
Ich schwöre bei Gott, dass .... Kühe mit Hörner subventioniert werde.?!?😂
Falls das anliegen berechtigt ist (kann ich nicht beurteilen)macht man einfach ein kleines Gesetz und die Sache ist erledigt... Momentan wird halt immer mehr Zeug in die Verfassung geschrieben, die nicht dorthin gehören...
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meili
23.03.2016 10:49registriert Mai 2015
ich bin gelernter landwirt und ich kann nur sagen das kühe mit hörnern einen bauern mit stolz und freude erfüllen wenn si dich anschauen und sie einfach das glück fürmlich austrahlen nich so bei den tieren die in ein stall gequetscht werden und reine produktions tiere sind ohne körperlichen kontakt zu dem bauern
6410
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cucaita
23.03.2016 10:41registriert Juni 2015
"Wenn er grösser ist nennen wir ihn Bär".... ich kann nicht mehr.
514
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