In ihrem aktuellen Bericht zur Finanzstabilität warnt die Europäische Zentralbank (EZB) vor neuen Risiken am Goldmarkt. Seit 2023 hat sich der Goldpreis fast durchgehend auf Rekordniveau bewegt. Grund dafür sind wachsende geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten, die anhaltende Inflationsangst sowie wirtschaftspolitische Unsicherheiten.
Vor allem die unsichere geopolitische Lage hat viele Zentralbanken, insbesondere in Schwellenländern, dazu veranlasst, ihre Goldreserven aufzustocken. Das Ziel dabei: sich vor potenziellen Sanktionen schützen und die eigene Währung vor starken Marktschwankungen isolieren.
In solchen Zeiten gilt Gold auch bei privaten Investoren traditionell als «sicherer Hafen». Doch diese wollen laut EZB zurzeit oft nicht nur «Papiergold» – also Finanzprodukte, die den Goldpreis abbilden –, sondern echtes materielles Gold. In ungünstigen Szenarien kann dies für die generelle Marktstabilität ein Problem darstellen, wie die EZB erklärt.
So häufen sich zurzeit gerade an Terminbörsen wie der US-Börse COMEX sogenannte Lieferforderungen: Anleger, die Gold-Futures kaufen, verlangen vermehrt physische Auslieferungen des Goldes. Laut EZB war die Anzahl solcher Auslieferungsforderungen zuletzt so hoch wie seit 2007 nicht mehr.
Genau darin sieht die EZB ein potenzielles Risiko. Wenn zu viele Investoren gleichzeitig eine physische Lieferung fordern, kann es zu Engpässen kommen. Die Händler oder Finanzakteure, die das Gold eigentlich liefern müssten, könnten in Schwierigkeiten geraten, da sie es kurzfristig beschaffen müssten. Dadurch könnte der Preis stark steigen.
Die Volkswirte der EZB warnen deshalb auch vor einem sogenannten «Short Squeeze» – einem Marktmechanismus, bei dem Investoren auf fallende Preise spekulieren, der Kurs jedoch unerwartet steigt, zum Beispiel durch einen Anstieg der Gold-Auslieferungsforderungen. In diesem Fall sehen sich die Anleger gezwungen, ihre Short-Positionen hastig zu schliessen, was zusätzlichen Kaufdruck erzeugt und den Preis weiter nach oben treibt. Ein solcher «Short Squeeze» kann auch zu schweren Verlusten führen.
Aus Sicht der EZB ist auch besorgniserregend, dass ein grosser Teil des Goldhandels ausserhalb regulierter Börsen stattfindet. Dort fehlt es an Transparenz, was die Einschätzung systemischer Risiken deutlich erschwert. Wenn etwas schiefläuft, kann das sehr schnell und kaum kontrollierbar Auswirkungen auf andere Bereiche des Finanzsystems haben.
Trotz seiner Rolle als Krisenabsicherung ist Gold deshalb laut EZB-Bericht nicht risikofrei. Vor allem dann nicht, wenn es in grossem Umfang über komplexe Derivate mit unklaren Verantwortlichkeiten im Hintergrund gehandelt wird. (ear)