Es ist einer der wenigen Schweizer Läden, die in den vergangenen Jahren an der Zürcher Bahnhofstrasse eröffnet haben: Seit Ende November verkafut «Giada Ilardo» von der gleichnamigen Unternehmerin auf drei Stockwerken Piercings und Schmuck. Im Gespräch verrät sie ihr Erfolgsrezept, welche Promis sich bei ihr schon ein Tattoo stechen liessen und warum sie als weibliche Unternehmerin noch immer ein Sonderfall ist.
Vergangene Woche haben Sie einen dreistöckigen Laden für Piercings und Schmuck an der teuersten Schweizer Einkaufsmeile eröffnet. Ist das nicht grössenwahnsinnig?
Giada Ilardo: Mutig ja, aber nicht grössenwahnsinnig. Wir haben schon an unserem langjährigen Standort an der Löwenstrasse, an dem wir jetzt keine Piercings, sondern nur noch Tattoos anbieten, eine ähnlich grosse Fläche. Insgesamt hat sich die Grösse nicht geändert.
Die Miete an der Bahnhofstrasse ist aber viel teurer. Die Preise pro Quadratmeter betragen 8000 bis 9000 Franken. Das ist ein enormes Risiko, das Sie eingehen!
Klar, aber ich vertraue auf meine Erfahrung. Ich habe mir schliesslich 22 Jahre Zeit gelassen. Die Bahnhofstrasse war schon mein Traum, als ich mit 16 Jahren mein erstes Tattoo-Studio eröffnet habe. Und ich nehme ein gewisses Umsatzvolumen mit, sonst hätte ich den Schritt nicht gewagt.
Wie finanzieren Sie die Miete an dieser teuren Lage?
Ich bin zu 100 Prozent Alleininhaberin und wir bezahlen die Miete aus der eigenen Tasche, ohne Investoren im Hintergrund. Wir haben den Vertrag über 10 Jahre mit dem Vermieter abgeschlossen. Uns half sicher, dass wir eine Schweizer Firma sind, das gibt Vertrauen. Denn die Bahnhofstrasse hat leider in den vergangenen Jahren an lokalem Charme verloren. Wenn wir daran etwas ändern können, freut uns das.
Sie vermieten nun aber einen Teil der Ladenfläche an die Luxus-Uhrenmarke Breitling. Weil Sie sich übernommen haben?
Nein, wir wussten immer schon, dass wir diesen Teil der Ladenfläche nicht brauchen und einen Untermieter wollen. Mit Breitling war die Zusammenarbeit schnell unter Dach und Fach. Die Marke passt bestens zu uns.
Sie positionieren Ihren Laden im Luxus-Bereich. Warum?
Die Branche hat sich gewandelt und die Bahnhofstrasse erfordert einen gewissen Standard. Ich wusste immer: Wenn ich hier einen Laden eröffne, muss es im Luxus-Bereich sein. Wir verkaufen Piercings für 100 Franken, aber auch Schmuck für 13000 Franken. Der Fokus liegt auf unseren eigenen Kollektionen und Stücken aus Gold.
Die Eröffnung fällt auf einen ungünstigen Zeitpunkt. Die internationale Kundschaft fehlt noch immer und alle tragen Maske. Da kommen Piercings doch gar nicht zur Geltung.
Klar, die Touristen fehlen noch. Aber einen Masken-Effekt spüren wir nicht. Zudem sind wir auf das Ohr spezialisiert, da spielt die Maske nicht so eine Rolle. Und wir haben gelernt, mit der Krise zu leben. Als wir für das Projekt grünes Licht gaben, waren wir schon mitten in der Pandemie.
Sie haben kürzlich Ihre Giahi-Studios in Luzern und Winterthur geschlossen. Haben Sie sich übernommen?
Nein, wir haben einfach gemerkt, dass unsere Kunden ein gewisses Ambiente wollen. Das können wir in unserer 700 Quadratmeter grossen Filiale an der Zürcher Löwenstrasse und im neuen Laden an der Bahnhofstrasse bieten, aber in kleineren Studios nicht. An der Löwenstrasse und Bahnhofstrasse kommen Kunden von überall her, selbst aus Deutschland und Frankreich.
Wie viel Umsatz erzielen Sie?
(lacht) Fragen Sie mich in einem Jahr wieder.
Wie sieht die Vision für die nächsten fünf Jahre aus? Eine Filiale in New York?
Ich habe natürlich Ziele gesteckt, realistische, aber auch etwas träumerische, und dazu gehört auch eine Filiale in New York, Berlin oder London. Wenn wir ins Ausland expandieren, dann nur in internationale Metropolen.
Möchten Sie sich auch im Tattoo-Bereich höherpreisig positionieren?
Wir sind dort schon lange im Premium-Bereich. Wir decken zudem nicht jeden Stil ab, sondern vor allem «Fineline und Microrealism», also kleine, sehr detaillierte Tattoos.
Gefallen Ihnen grossflächige, bunte Tattoos mit Haien- oder Löwen-Motiven für die Brust oder den Oberarm nicht?
Doch, ich bin damit aufgewachsen und ich habe selber solche grossen Tattoos, wenn auch ohne Haie und Löwen. Meine Motive sind eigentlich nicht mehr zeitgemäss, sie gefallen mir aber natürlich immer noch. Bei uns im Geschäft bieten wir diese Art von Tattoo trotzdem nicht mehr an.
Was ist denn vor allem gefragt?
Insbesondere minimalistische, kleine Tattoos. Das können etwa Monde, Sterne oder Schriften sein, die heutzutage viel feiner und aufwendiger sind. Die Zeit der grossflächigen Bunt-Tattoos ist etwas vorbei. Zumindest unsere Kunden bevorzugen dezente Tattoos, mit sehr persönlichen Bedeutungen für sie selbst, und an Stellen, wo man sie nicht ständig sieht. Rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat ein Tattoo.
Tatsächlich scheint es, als stünde fast an jeder Ecke ein Piercing- und Tattoo-Studio. Wie stark ist der Preiskampf?
Sehr stark. Es gibt aber sehr viele Studios, die es nicht einfach haben. In den letzten Jahren haben zwar unzählige Studios aufgemacht, viele mussten aber auch wieder schliessen. Wir lassen uns bewusst nicht auf diesen Preiskampf ein. Wir haben ein anderes Konzept.
Die Branche ist wenig professionalisiert. Es gibt etwa keine einheitlichen Ausbildungen. Bräuchte es eine anerkannte Lehre?
Das wäre sicher ideal, aber es ist schwierig, den Beruf in einen Lehrgang zu passen. Ich weiss nicht, ob das jemals passieren wird. Wir sind sowieso weit weg vom Ideal.
Wie meinen Sie das?
In unserer Branche kann immer noch jeder machen, was und wie er möchte. Es ist zwar besser geworden, aber die Standards sind noch nicht dort, wo sie sein sollten. Darum haben auch Personen ein anrüchiges Bild von Tattoo- und Piercingstudios. Der Bund sollte viel mehr machen, aber ihm fehlt die Expertise. Wir haben mehrfach unsere Hilfe angeboten. Da geschieht leider viel zu wenig.
Konkret: Fordern Sie mehr Kontrollen?
Ja, es braucht mehr Richtlinien, mehr Kontrollen und mehr einheitliche Standards. Heute erfolgt die Hygienekontrolle nur einmal im Jahr. Das reicht nicht. Deshalb verstehe ich, dass es immer noch viele Kunden gibt, die verunsichert sind.
Auch in Ihren Giahi-Studios können Kundinnen und Kunden aber auswählen zwischen Künstlerinnen und Künstlern, die mehr oder weniger Erfahrung haben.
Wir haben drei Kategorien, je nach Erfahrungswert. Die einen sind schon 20 Jahre im Beruf tätig, die anderen erst vier. Aber die Qualität stimmt bei allen.
Wie viel verdienen Ihre Mitarbeitenden?
Das ist Geschäftsgeheimnis. Man kann sich als Tattoo-Künstlerin und Piercing-Artist bei uns aber ein gutes Leben leisten. Wer mehr Erfahrung hat, sehr beliebt ist bei Kunden und damit mehr Umsatz generiert, verdient auch mehr.
Sie sprechen von Künstlern.
Ja, das sind unsere Mitarbeitenden auch. Ein Maler bringt sein Werk auf die Leinwand, unsere Künstlerinnen und Künstler bringen es auf die Haut.
Wie erklären Sie sich eigentlich den Tattoo-Boom der letzten Jahre?
Tattoos sind im Mainstream angekommen. Angefangen hatte es in den 90ern, als zum Beispiel Pamela Anderson ihr berühmtes Arm-Tattoo stolz präsentierte. Aber in den letzten zwei Jahrzehnten nahm der Trend dann an Fahrt auf, sicher auch dank Social-Media, wo Stars ihre Tattoos zeigen. Je mehr Menschen tätowiert sind, desto mehr sehen das andere. Heute hat auch fast jedes Model ein Tattoo. Das gab es früher praktisch nie.
Verstehen Sie denn, dass bei Airlines oder Banken, aber auch bei vielen Polizeikorps, Tattoos noch immer unerwünscht sind?
Airlines lockern ihre Regeln je länger je mehr. Der Fokus sollte sein, gute Mitarbeitende zu haben, nicht untätowierte. Aber ja, es gibt auch für mich Grenzen. Ein Spinnen-Tattoo auf dem Hals fände ich für einen Bankangestellten am Schalter etwas gar speziell. Aber ein dezentes auf dem Vorderarm ist doch kein Ding!
Gibt es auch Motive, die Sie nicht stechen lassen würden?
Natürlich. Manche wollen vulgäre, sexuelle Sprüche, die ich gar nicht aussprechen möchte (lacht). Auch an gewissen Stellen machen wir keine Tattoos, etwa im Gesicht. Bei unter 18-Jährigen müssen zudem die Eltern das Einverständnis geben. Wir hatten auch schon 16-Jährige, die unbedingt den Namen des Freundes tätowiert haben wollten mit dem Einverständnis der Eltern. Das machen wir aber nicht.
Keine Altersgrenze gibt es im Bereich der Piercings. Sie haben sich sogar auf Kleinkinder spezialisiert.
Wir machen Ohrenschüsse für Babys. Das nimmt sehr stark zu. Eltern kommen mit Mädchen im Alter von vier bis fünf Monaten. Buben kommen eher im Alter von fünf, sechs Jahren.
Was ist die Motivation der Eltern für ein Piercing am Kleinkind?
Viele Mütter wollen ihre Kinder schmücken und Ihnen schöne Ohrringe anziehen. In vielen, vor allem südländischen Kulturen ist das verbreitet.
Sie haben mal gesagt, Tattoos würden mittlerweile gleichmässig von Männern und Frauen nachgefragt, bei Piercings seien es 70 Prozent Frauen. Bleibt das so?
Ich denke schon. Piercings und Schmucks werden immer eher etwas für Frauen sein.
Sie produzieren die Piercings und anderen Schmuck selbst. Wie geht das vonstatten?
Wir haben drei Goldschmiede im Haus. Von der Idee bis zur 3D-Zeichnung und den Mustern machen wir alles selbst. Ein Drittel der Kollektion produzieren wir an der Bahnhofstrasse, und unsere Güsse und Einfassungen lassen wir ebenfalls in der Schweiz produzieren. Für den Rest setzen wir auf verschiedene Fertigungsstätten.
Möchten Sie auch mehr Schmuck selbst produzieren, etwa Hochzeitsringe?
Ja, das ist unser Fokus.
Dann gehen Sie mit Bucherer in Konkurrenz.
Oder in Partnerschaft. Wer weiss.
Sie möchten Ihren Schmuck auch in anderen Geschäften verkaufen?
Ja, wir sind auch schon in Gesprächen. Mit wem, verrate ich nicht.
Die «Bilanz» führt Sie als eine der reichsten jungen Frauen der Schweiz mit einem Vermögen von rund 20 Millionen Franken. Stimmt die Zahl?
Die Bilanz hat sicher glaubwürdige Quellen (lacht).
Was bedeutet Ihnen denn Luxus?
Freiheit und die Möglichkeit, meinen Tag selbst zu gestalten. Ich bin leidenschaftliche Unternehmerin und überglücklich, dass ich meine eigene Chefin bin.
Und was ist mit materiellem Luxus?
Ich leiste mir sehr gerne schöne Ferien und regelmässig schöne Blumen. Ansonsten würde ich meine Ausgaben aber als relativ normal bezeichnen. Wir haben eine schöne Wohnung, aber kein Schloss.
Gönnen Sie sich selbst regelmässig neue Tattoos und Piercings?
Tattoos habe ich genug, etwa ein Dutzend, vor allem grossflächige. Aber bei Piercing-Schmuck kann ich mich fast nicht zurückhalten, wenn ich etwas Schönes sehe was frisch aus unserer Produktion kommt.
Ihr Werdegang mit 22 Jahren Erfahrung und langsamem, organischen Wachstum tönt sehr schweizerisch und entspricht nicht unbedingt der heutigen, raschen Start-up-Mentalität. Sind Sie eine altmodische Unternehmerin?
Vielleicht. Ich baue auf jeden Fall gerne etwas gründlich auf, das nachhaltig Erfolg hat. Es ging mir nie um das schnelle Geld. Das hier ist mein Lebenswerk und ich möchte etwas in der Branche bewegen. 22 Jahre lang habe ich versucht, das Metier aus dieser etwas verruchten Ecke herauszuholen, und daran arbeite ich weiter.
Unternehmerinnen sind nach wie vor in der Minderheit in der Schweiz gegenüber männlichen Firmenchefs. Wie erklären Sie sich das?
Weil in den Schulen das Unternehmertum nicht gelernt wird. Das finde ich jammerschade. Viele Frauen werden auch zu wenig ermutigt, Karriere zu machen. Andere suchen lieber Stabilität, und die gibt es bei einer Unternehmensgründung nun mal nicht. Das braucht Mut, aber auch Unterstützung in schwierigen Zeiten. Ich habe dies dank meiner Familie und Freunden. Als Unternehmerin oder als Unternehmer braucht man einen starken Partner, der da ist, wenn es mal nicht perfekt läuft.
Sie haben mit 16 Jahren die Schule abgebrochen, um Ihren Unternehmenstraum zu starten. Was, wenn eines Ihrer Kinder mit 16 Jahren dasselbe vorhat?
Mein Unternehmerinnenherz würde vor Freude platzen, und ich würde meine Kinder auf jeden Fall ermutigen, den Schritt zu wagen, eine eigene Firma zu gründen. Aber ich gebe zu, dass mir der Schulabschluss schon wichtig wäre. Ich habe später auch einige Weiterbildungen nachgeholt, unter anderem an der HSG.
Arbeiten Sie immer noch 60 Prozent?
Nein, es sind nun 100 Prozent insgesamt, manchmal auch mehr oder weniger. Meine oberste Priorität ist die Zeit mit meinen Kindern. Aber klar, als Unternehmerin bin ich fast immer erreichbar. Wobei ich mich auch sehr auf meine Angestellten verlassen kann.
Worauf kommt es Ihnen an, wenn Sie jemanden einstellen?
Die Grundeinstellung. Wenn jemand das Herz und den Willen hat, etwas zu bewegen, ist das mehr als die halbe Miete. Denn die Skills, die es für die Arbeit an sich braucht, kann ich beibringen.
Immer wieder heisst es, dass es der jüngeren Generation an Einsatzwille fehlt. Stimmt das?
Die heutige Generation denkt anders, und das ist auch gut so. Als Arbeitgebende muss man solche Veränderungen ernstnehmen und darauf reagieren. Es braucht mehr Freiheiten, mehr Mitspracherecht und auch mehr Wertschätzung für das Personal. Deshalb hat mein Büro keine Türe, sondern einen Vorhang. Ich habe immer ein offenes Ohr.
Wie sehr helfen Influencerinnen und Influencer Ihrem Geschäft?
Die sind sehr wichtig für uns, wir führten vergangene Woche auch einen Anlass nur für Influencer durch. Auch viele Stars waren schon bei uns, Fussball-Nati-Spieler zum Beispiel und US-Rapper wie Kendrick Lamar. Wenn sie dann ein Foto von ihrem neuen Tattoo oder ihrem Piercing auf den sozialen Medien zeigen und unser Geschäft erwähnen, hilft uns das natürlich.
Influencer können mit ihren Social-Media-Fotos aber auch zu psychologischem Druck bei Teenagern führen, die das Gefühl haben, genauso gestylt, gestählt – oder eben tätowiert und gepierct sein zu müssen. Beunruhigt Sie das?
Nein. Influencer sind heute das, was früher Film- und Musikstars waren. Beunruhigender finde ich die Filter, die online und bei Fotoshootings angewandt werden, die ein völlig unrealistisches Körperideal vermitteln. Da höre ich manchmal von Kollegen, die in der Schönheitschirurgie arbeiten, Schockierendes, mit welchen Wünschen junge Kundinnen zu ihnen kommen.
Zuletzt gab es Berichte, wonach das berühmt-berüchtigte «Arschgeweih» ein Comeback feiert, weil unter anderem die US-Sängerin Miley Cyrus sich so ein Tattoo auf der unteren Rückenhälfte hat stechen lassen. Zurecht?
Ja, mich freut das, ich bin ein totaler Arschgeweih-Fan! Aber ich bin natürlich ein Kind der 90er-Jahre, als sich das fast alle Frauen stechen liessen.
Haben Sie mal ein Tattoo bereut?
Ich habe mir nie eins weglasern lassen, aber bei manchen habe ich mir auch schon mal gesagt, ach, der Stil hätte mir im Nachhinein besser gefallen. Aber ich habe keine Fauxpas auf meinem Körper, wie den Namen eines Ex-Freundes oder so (lacht).
Wie sieht das Tattoo der Zukunft aus?
Ich denke, in Zukunft werden vermehrt digitale Tattoos gefragt sein. Heute kauft man ein Tattoo und lässt es sich in die Haut stechen. Künftig wird man es vielleicht digital kaufen und es auf sozialen Medien verwenden.
Aber da verliert ja das Tattoo auf der Haut seinen Sinn und Zweck.
Nein, es erhält einfach einen neuen Zweck, denn die Bedürfnisse verändern sich. Wir werden deshalb schon bald auch digitale Tattoos verkaufen – ganz ohne Schmerz (lacht). (bzbasel.ch)
Muss nun wirklich nicht sein.