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Wirtschaft

Keller-Sutters Vance-Eklat: Die Schweiz und die neue Weltunordnung

epa11842132 Swiss Federal President Karin Keller-Sutter (R) shakes hands with China's Vice Premier Ding Xuexiang (L) after their bilateral meeting on the sidelines of the 55th annual World Econom ...
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter mit dem chinesischen Vizepremier Ding Xuexiang am WEF in Davos: Die Schweiz möchte mit allen ins Geschäft kommen. Bild: keystone
Analyse

Die Schweiz schlingert durch die neue Weltunordnung

Die Schweiz hat wie kaum ein anderes Land von der regelbasierten Weltordnung profitiert. Jetzt kehrt die (Gross-)Machtpolitik zurück, und in Bern tut man sich schwer damit.
17.02.2025, 16:3117.02.2025, 17:29
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Karin Keller-Sutter hat am Wochenende für einen gröberen Shitstorm gesorgt. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz hatte sich die Bundespräsidentin in einem Interview mit «Le Temps» lobend zur Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance vom Freitag geäussert. Sie sei «sehr liberal» und «in einem gewissen Sinn sehr schweizerisch» gewesen, so Keller-Sutter.

Mit sehr viel gutem Willen kann man die Äusserungen von Vance zur Meinungsfreiheit so interpretieren. Doch die meisten Anwesenden in München sahen darin eine Kampfansage, wenn nicht gar eine Kriegserklärung an die Europäer. Denn für Vance ist die vermeintliche Einschränkung der Meinungsfreiheit eine grössere Bedrohung als Russland und China.

United States Vice-President JD Vance addresses the audience during the Munich Security Conference at the Bayerischer Hof Hotel in Munich, Germany, Friday, Feb. 14, 2025. (AP Photo/Matthias Schrader)
Die Ansprache von J.D. Vance in München wurde als Kampfansage an Europa interpretiert.Bild: keystone

Was das mit einem «Plädoyer für die direkte Demokratie» zu tun haben soll, weiss wohl nur Keller-Sutter. Die Kritik im Inland für die FDP-Bundespräsidentin war jedenfalls deutlich. «Liberalismus ist mehr als eine Wirtschaftsdoktrin», sagte Alt-Bundesrat Pascal Couchepin im «Sonntagsblick» an die Adresse seiner Parteikollegin. Er trifft damit einen wunden Punkt.

Gesetze des Dschungels

Die Schweiz als kleine und exportorientierte Volkswirtschaft hat wie wenige Länder von der regelbasierten Weltordnung profitiert, die als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs etabliert wurde, mit der UNO, der EU oder der Welthandelsorganisation WTO. Doch die Erinnerung verblasst, es gelten zunehmend die Gesetze des Dschungels.

Dazu trägt derzeit niemand so stark bei wie die Trump-Regierung, als deren Abgesandter J.D. Vance in München aufgetreten war. Sie tritt aus internationalen Organisationen aus, kündigt Verträge und droht der Welt mit Strafzöllen. Widerstand wird nicht geduldet. Vize Vance selbst hat betont, die Justiz solle sich gefälligst nicht in die Arbeit der Regierung einmischen.

Mit Liberalismus hat dies nicht das Geringste zu tun. «Ich sehe in Washington aktuell keine liberale Haltung, sondern eine Facette von Amerika mit imperialistischen Zügen», sagte Pascal Couchepin. Das wird zur Herausforderung für die Schweiz, die sich – oft unter dem Deckmantel der Neutralität – bemüht hat, mit allen ins Geschäft zu kommen.

Beispiel USA

Die Vereinigten Staaten sind für die Schweizer Wirtschaft der zweitgrösste Absatzmarkt nach der EU. Ihre Bedeutung hat stetig zugenommen. Gleichzeitig liefert die Schweiz deutlich mehr Waren (vor allem Medizinalprodukte) in die USA, als sie von dort bezieht. Solche Ungleichheiten nerven Donald Trump und könnten Strafzölle zur Folge haben.

Das will die Schweiz unbedingt verhindern. Sie träumt von einem Freihandelsabkommen, obwohl dies im Widerspruch steht zu Trumps «America First»-Doktrin. Gleichzeitig jedoch hat die Biden-Regierung die Schweiz kurz vor dem Machtwechsel in Washington von einer Liste vertrauenswürdiger Länder für den Zugang zu Hochleistungs-Computerchips gestrichen.

Die Aufregung darüber ist gross, nicht zuletzt bei der ETH, denn solche Chips sind für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) unverzichtbar. Weshalb Wirtschaftsminister Guy Parmelin versucht, den US-Entscheid umzustossen. Der Grund für den «Boykott» ist unklar, doch die Schweiz könnte zum Spielball zwischen den USA und China geworden sein.

Beispiel China

Die Schweiz ist stolz auf ihre guten Beziehungen zu China. Vor 75 Jahren anerkannte sie die Volksrepublik als eines der ersten westlichen Länder, was Peking bis heute schätzt. Seit mehr als 10 Jahren existiert ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Staaten. Im letzten Herbst wurden Verhandlungen über eine «Optimierung» aufgenommen.

In den Augen der USA könnte dies ein Grund für Misstrauen gegenüber der Schweiz sein, denn das Verhältnis zwischen China und dem Westen hat sich in den letzten Jahren stark abgekühlt. Die Schweiz versucht, sich zwischen den Blöcken durchzumogeln. So bemüht sie sich, Kritik an der Menschenrechtslage in China möglichst zu vermeiden.

Das zeigt sich anhand eines Berichts zur Bespitzelung und Drangsalierung von Tibetern und Uiguren in der Schweiz durch «Akteure offizieller chinesischer Vertretungen». Der Bundesrat hat ihn letzte Woche nach langem Zögern veröffentlicht und Massnahmen angekündigt. Eine Einbestellung des chinesischen Botschafters in Bern aber ist offenbar nicht vorgesehen.

Beispiel Ukraine

Russlands Angriff auf die Ukraine vor drei Jahren war der schlimmste Regelbruch in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Schweiz tat sich schwer damit. Die EU-Sanktionen übernahm sie erst mit Verzögerung, und bis heute weigert sie sich, anderen Ländern die Weitergabe von Kriegsmaterial an die Ukraine zu erlauben, mit Verweis auf die Neutralität.

Mit der Konferenz auf dem Bürgenstock im letzten Jahr konnte sie ihr Image aufpolieren, doch letztlich war sie eine Sackgasse, weil der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Beteiligung Russlands von Anfang an ausgeschlossen hatte. Nun hat US-Präsident Trump einen «Friedensprozess» mit Russland angestossen, ohne Ukraine und Europa.

epa11415722 Ukrainian President Volodymyr Zelensky (C) on his way during bilateral talks at the Summit on Peace in Ukraine in Stansstad near Lucerne, Switzerland, 16 June 2024. International heads of  ...
Wolodymyr Selenskyj letztes Jahr auf dem Bürgenstock. Inhaltlich war die Konferenz eine Sackgasse.Bild: keystone

Während die Europäer konsterniert sind (der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einer «Schande»), kommen aus der Schweiz andere Töne. Die durch die USA angestossene neue Dynamik sei «grundsätzlich zu begrüssen», teilte das EDA der «Sonntagszeitung» mit. Allerdings müsse die Ukraine «von Anfang an» einbezogen werden.

Die Schweiz setze sich «für einen umfassenden, dauerhaften und gerechten Frieden» in der Ukraine ein, betonte das Aussendepartement. «Das bedeutet einen Frieden, der alle relevanten Aspekte miteinbezieht, nachhaltig ist, die Sicherheit der Ukraine gewährleistet und auf der UN-Charta basiert.» Ob das die Trump-Regierung beeindruckt, ist zweifelhaft.

Beispiel Europa

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell, sprachlich, geografisch und politisch ist die Europäische Union der mit Abstand wichtigste Partner der Schweiz. Seit Jahrzehnten profitiert sie als «Trittbrettfahrerin» von der durch die EU geschaffenen Stabilität. Und doch bleibt das Verhältnis schwierig, wie das Ende letzten Jahres vorgelegte neue Vertragspaket zeigt.

Die Gegner schiessen bereits aus vollen Rohren gegen das «Rahmenabkommen 2.0», obwohl der volle Text erst in diesem Frühjahr veröffentlicht wird. Von den Befürwortern kommt bislang wenig, was Karin Keller-Sutter im «Le Temps»-Interview bemängelte. Der Bundesrat erwarte, dass die Wirtschaft «aus der Deckung herauskomme», sagte sie.

Die Äusserungen der Bundespräsidentin lassen auf eine ziemliche EU-Skepsis schliessen. Es ist so bedenklich wie typisch für das Schlingern der Schweiz in der neuen Weltunordnung. Sie will sich bei der Trump-Regierung «einschleimen», so SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, und China nicht verärgern. Gleichzeitig geht man auf Distanz zur EU.

Ob das eine tragfähige Strategie ist in einer Zeit, die immer weniger von gemeinsamen Regeln geprägt ist, sondern von der Rückkehr einer skrupellosen (Gross-)Machtpolitik, darf man bezweifeln. Am Ende könnte die Schweiz zwischen Stuhl und Bank fallen.

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230 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gen X
17.02.2025 17:19registriert August 2023
Auf Distanz gehen mit der EU ist nachgerade das Falscheste, was die Schweiz machen kann! Als ob die Schweiz kein Teil von Europa wäre!
Europa ist offensichtlich die letzte Bastion freier Demokratien und die Schweiz, die angeblich so stolz auf ihre Demokratie ist, biedert sich feige und rückgratlos den grossen autokratischen Kräften USA und China an.
Aus wirtschaftlichen Gründen lässt unsere Regierung sämtliche Werte, welche die Schweiz ausmachen, fallen.
Also ob sich die beiden Bulldoggen um die Belange einer kleinen Ratte kümmern würden.
Es ist beschämend.
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Massalia
17.02.2025 16:40registriert Juni 2021
Klar, Kohle kommt für unsere Bürgerlichen im Bundesrat und Parlament immer vor der Moral. Da spielen Dinge wie Menschenrechtsverletzungen keine Rolle.
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Poly Tick
17.02.2025 16:58registriert Oktober 2023
"schlingern durch die Weltordnung"? Nö, Rosinenpickerei und Opportunismus pur! Thats it!
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