Seltsame Dinge ereignen sich auf der Welt. In Deutschland gingen an den beiden letzten Wochenenden Hunderttausende auf die Strasse. Sie protestierten gegen den CDU-Chef Friedrich Merz, der im Bundestag in Kauf genommen hatte, dass seine Forderungen für eine Verschärfung der Asylpolitik von der rechten AfD unterstützt wurden.
Merz mag einen fragwürdigen Tabubruch begangen haben, doch er hat seither wiederholt betont, es werde nach der Bundestagswahl am 23. Februar keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Er hat ein wenig an der Brandmauer gegen rechts gerüttelt, doch das Fundament der deutschen Demokratie ist intakt und wurde zuletzt sogar noch verstärkt.
Ganz anders sieht es im einstigen Demokratie-Leuchtturm USA aus. In den drei Wochen seit seiner Vereidigung haben sich Präsident Donald Trump und sein Vollstrecker Elon Musk daran gemacht, das stolze Gebäude der amerikanischen Demokratie mit der Abrissbirne zu zertrümmern. Mittel zum Zweck ist eine Flut an grenzwertigen bis offen illegalen Dekreten.
Rechtsexperten sind konsterniert. «Wir befinden uns in einer Verfassungskrise», sagte Erwin Chemerinsky, Dekan der juristischen Fakultät an der University of California in Berkeley, der «New York Times». Derart viele verfassungswidrige und illegale Handlungen wie in den ersten Tagen der Trump-Präsidentschaft habe man «noch nie gesehen».
Gleich an seinem ersten Tag annullierte Trump das in der US-Verfassung verankerte Recht, wonach in den USA geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen. Er erlaubte Elon Musk und seinem «Department of Government Efficiency» Zugriff auf sensible Daten des Finanzministeriums. Und er feuert willkürlich Leute, die ihm nicht passen.
Das sind nur einige Beispiele. «Die ersten Entscheide der Regierung scheinen darauf ausgerichtet zu sein, eine maximale Verachtung für die Grundwerte der Verfassung zu demonstrieren – Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz», sagte die Rechtsprofessorin Kate Shaw von der University of Pennsylvania der «New York Times».
Wie reagiert die Bevölkerung? Anders als in Deutschland halten sich die Proteste in einem überschaubaren Rahmen. Es gibt keine Grossdemos wie zu Beginn von Trumps erster Amtszeit. Mehr noch: Die SRF-Korrespondentin in New York stellte in der «Tagesschau» fest, dass manche Leute «schlicht Angst haben, sich öffentlich gegen Trump zu äussern».
Es ist kaum zu fassen: Die Rede ist vom linksliberalen New York, einer Hochburg der Demokraten. Selbst hier scheint Trumps «Shock and Awe»-Muskelspiel die Menschen zu verängstigen. National ist die Zustimmung zu seiner Politik laut einer Umfrage von CBS so hoch wie nie in seiner ersten Präsidentschaft: 53 Prozent finden seine Amtsführung gut.
Dafür gibt es Gründe, allen voran eine abgrundtiefe Abneigung vieler Amerikanerinnen und Amerikaner gegen die Politik in Washington. Daraus erwächst die Sehnsucht nach einem «starken Mann», der einmal richtig aufräumt. Möglich ist das nur, weil die amerikanische Demokratie anders als die deutsche auf einem erschreckend schwachen Fundament steht.
Das knallharte Zweiparteiensystem ist darauf angewiesen, dass beide Seiten die Spielregeln einhalten. Davon ist keine Rede mehr. Die Demokraten haben sich von der Niederlage im November nicht erholt und finden kein Rezept gegen das Treiben von Trump und Musk. Und die Republikaner sind eingeschüchtert und leisten dem Präsidenten keinen Widerstand.
Eine Mini-Revolte im Senat gegen die Bestätigung von Verteidigungsminister Pete Hegseth scheiterte am Stichentscheid von Vizepräsident JD Vance. Nun zeichnete sich ab, dass auch andere höchst zweifelhafte Ernennungen wie jene von Tulsi Gabbard, Robert Kennedy oder von Kash Patel als FBI-Direktor von der kleinen Kongresskammer durchgewinkt werden.
Probleme könnte Trump allenfalls im Repräsentantenhaus haben, wo die Republikaner nur über eine ultraknappe Mehrheit verfügen. Doch eine echte Opposition der Legislative gegen den Machtmissbrauch der Exekutive ist nicht zu erwarten. Bleibt die Justiz als dritte Gewalt. Bereits wurden erste Erlasse des Präsidenten von den Gerichten gestoppt.
Zu viel Hoffnung aber ist nicht angebracht. JD Vance, ein Absolvent der elitären Yale Law School, feuerte am Sonntag via soziale Medien eine Breitseite gegen die Justiz ab: «Richter dürfen die legitime Macht der Exekutive nicht kontrollieren», hielt der Vizepräsident fest. Mit anderen Worten: Der vom Volk gewählte Präsident darf sich so ziemlich alles erlauben.
Es ist eine Meinung, die auch von einigen Rechtsexperten in den USA vertreten wird. Und die letztes Jahr vom Supreme Court in Washington bestätigt wurde. Das Oberste Gericht des Landes urteilte, dass ein Präsident für Amtshandlungen eine praktisch absolute Immunität geniesst. Nun scheint Donald Trump diese «Carte Blanche» auszunutzen.
Einige seiner Anordnungen könnten schon bald vor dem Obersten Gerichtshof landen. Trump hat ihn mit seinen drei Ernennungen in der ersten Amtszeit auf einen strammen Rechtskurs getrimmt. Und selbst wenn die obersten Richterinnen und Richter einige Dekrete kassieren sollten, ist es fraglich, ob der Präsident sich an das Urteil halten wird.
Ein «Präzedenzfall» wird derzeit häufig zitiert. Als der Supreme Court 1832 unter dem Vorsitz von John Marshall in einem Rechtsstreit zwischen dem Staat Georgia und den Cherokee zugunsten der Indigenen urteilte, soll der damalige US-Präsident Andrew Jackson gesagt haben: «John Marshall hat eine Entscheidung getroffen. Jetzt soll er sie durchsetzen.»
Jackson, ein Ex-General und Sklavenhalter, war der erste Populist im Weissen Haus. Trump bewundert ihn, sein Porträt hängt im Oval Office. Sein damaliger Ausspruch, auf den sich JD Vance schon berufen hat, illustriert das ganze Dilemma: Wie lässt sich ein Urteil gegen eine Regierung durchsetzen, wenn sie alle dafür notwendigen Instanzen und Organe kontrolliert?
Es zeigt, wie naiv es ist, auf das Funktionieren der Institutionen zu hoffen. Widerstand ist derzeit am ehesten durch den Föderalismus zu erwarten, und zwar nicht nur von demokratischen, sondern auch von republikanisch dominierten Bundesstaaten, etwa wenn Farmer kein Getreide mehr an die von Elon Musk zerlegte Entwicklungsbehörde USAID verkaufen können.
Derzeit aber befinden sich die USA aufgrund von Donald Trumps Powerplay in einer veritablen Verfassungskrise. «Man muss deutlich sagen: So regieren Diktatoren», sagte Manfred Berg, Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg, gegenüber tagesschau.de. Für ihn ist klar: «Die Trump-Administration spielt mit dem Feuer.»
Als Folge einer jahrhundertelangen Entwicklung habe das Präsidentenamt inzwischen eine Machtfülle, die von den Gründervätern nie vorgesehen war, erklärte Berg: «Sie läuft darauf hinaus, dass ein skrupelloser Präsident – und den haben wir gerade im Amt – eine Art Diktaturgewalt für sich reklamiert: Regieren durch Exekutiverlass.»
Die liberale Richterin Sonia Sotomayor hatte das Immunitätsurteil des Supreme Court in einer abweichenden Meinung scharf kritisiert. Es mache das Prinzip, dass niemand über dem Gesetz steht, zur Farce: «Der Präsident ist nun ein König.» Jetzt herrscht tatsächlich King Trump im Weissen Haus. Und knipst den einstigen «Leuchtturm der Demokratie» aus.