Die Zahl der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung liegt laut Bundesamt für Statistik (BFS) am 1. Januar 2016 bei 2'048'667 Personen. Total leben in der Schweiz 8'419'550 Personen. Das macht einen Ausländeranteil von 24,3 Prozent aus.
Ebenfalls grundsätzlich richtig ist, dass die Schweiz nach Luxemburg den höchsten Anteil an ausländischer Bevölkerung hat.
Aber: Der Vergleich mit anderen europäischen Staaten ist mit Vorsicht zu geniessen. Denn die Höhe des Ausländeranteils in den jeweiligen Ländern hat mit deren Einbürgerungspraxis zu tun. Diese ist in der Schweiz strenger, was automatisch dazu führt, dass es hierzulande auch mehr Ausländer gibt.
Die Einbürgerungsziffer, also die Zahl der Einbürgerungen im Verhältnis zur ausländischen Bevölkerung ist in der Schweiz tief. 2015 erhielten über sechs von hundert Ausländern in Schweden die Staatsbürgerschaft. In der Schweiz waren es zwei Personen.
Die obige Aussage der SVP ist darum inhaltlich zwar nicht falsch, verschweigt aber einen Teil der Wahrheit.
2016 gab es in der Schweiz 273'273 Personen, die Sozialhilfe bezogen. Davon waren 47 Prozent Ausländer.
Arbeitslos waren in der Schweiz im selben Zeitraum 238'000 Personen, wovon 47 Prozent ausländische Staatsbürger waren.
Die Aussage stimmt also.
Die SVP lancierte die Zuwanderungsinitiative, weil die Einwanderung in die Schweiz mit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit «komplett aus dem Ruder gelaufen» sei. 2008, ein Jahr nach der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit betrug die Nettozuwanderung – Einwanderung minus Rückwanderung – 98'974. Seither nimmt sie konstant ab. 2017 betrug die Nettozuwanderung aus der EU und Efta noch 30'799. Vom Schreckgespenst der 80'000 Personen, um das die Schweiz mit der PFZ jährlich wachse sind wir momentan weit entfernt.
Fazit: Die Nettozuwanderung stieg zwar seit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit, wurde aber in den letzten Jahren wieder gebremst.
«Die Personenfreizügigkeit hat uns eine deutlich höhere Ausländerquote und mehr Arbeitslose gebracht», schreibt Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. Die Ausländerquote stieg in den letzten Jahren tatsächlich, und auch die absolute Zahl an Arbeitslosen nahm zu. Die Arbeitslosenquote hingegen blieb stabil. 2003, ein Jahr nach der Einführung der PFZ lag die Arbeitslosenquote gemäss Seco bei 3,7 Prozent, 2017 bei 3,2.
Ob die Zunahme der Einwanderung direkt auf die Personenfreizügigkeit zurückzuführen ist, ist allerdings nicht klar. Die Personenfreizügigkeit habe keinen grossen Einfluss auf die Zuwanderung, sagt der renommierte Arbeitsmarktökonom George Sheldon in der Thurgauer Zeitung. Entscheidender Faktor sei vielmehr die Konjunktur. «Der starke Anstieg hat Mitte der 1990er-Jahre eingesetzt – also noch unter dem alten Kontingentsystem.»
Sheldon relativiert die starke Zuwanderung seit 2007, als die Schweiz die volle PFZ einführte und die Finanzkrise Europa schüttelte. Diese Statistik berücksichtige nur die ständige Wohnbevölkerung und lasse diejenigen Ausländer weg, die weniger als ein Jahr im Land sind.
Eine Kündigung der PFZ, wie sie die SVP mit der «Begrenzungsinitiative» in Kauf nimmt, würde zwar die Zuwanderung gemäss Sheldon bremsen. Allerdings nicht wegen des Kontingentsystems, sondern weil die Konjunktur abkühlen und die Schweiz somit weniger attraktiv für ausländische Arbeitnehmer würde.
Fazit: Die Arbeitslosenquote blieb seit der Einführung der PFZ stabil. Die Zuwanderung stieg zwar an. Ob diese der PFZ oder der Konjunktur geschuldet sind, ist aber unklar.
«Ohne Kontrolle und Begrenzung erstickt die Schweiz an zu vielen Einwohnern», warnt Nationalrat Thomas Matter im SVP-Extrablatt. Eine 10- oder 11-Millionen-Schweiz sei bald realistisch. «Das Bundesamt für Statistik berechnet für 2035 die runde Zahl von 10 Millionen Einwohnern». Tatsächlich veröffentlicht das BFS regelmässig Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung. In der neusten Ausgabe von 2016 prognostiziert das BFS in seinem Referenzszenario – das heisst der plausibelsten Voraussage – für für 2035 9'856'971 Personen und für 2040 eine ständige Wohnbevölkerung von etwas mehr als 10 Millionen. Im sogenannten «hohen Szenario» geht das BFS von 10'459'605 Einwohnern aus, im «tiefen Szenario» von 9'280'322. Die massgebenden Faktoren sind dabei der Geburtenüberschuss sowie die Zuwanderung. Die in der Fragestellung im Titel insinuierten 11 Millionen kommen allerdings nur im «hohen Szenario» vor – und auch dort erst 2045.
Nationalrat Thomas Matter graust es davor, «eines Tages als Fremde[r] im eigenen Land» zu erwachen. Seine paradiesische Vision für die Schweiz: Eine grössere Abwanderung. «Wenn wir weniger würden, gäbe es weniger Stau auf den Strassen und weniger überfüllte Züge. Wir fänden sogar in den Städten wieder Parkplätze und müssten weniger lang Schlange stehen, sei es vor dem Kino, im Swisscom-Shop oder im Einkaufscenter.» Die NZZ meint dazu süffisant, offenbar sei Matter schon lange nicht mehr im Kino gewesen. Tatsächlich nahmen die verkauften Kinoeintritte laut BFS in den letzten Jahren massiv ab. Und auch beim Dichtestress in den Einkaufszentren handelt es sich gemäss NZZ um ein Phantom – Online-Shopping und Einkäufe im grenznahen Ausland sei Dank.
Eher eine «gefühlte Wahrheit» als Fakt.
(sar/wst)