Fast jeder hat sie schon getrunken, und doch ist die Muttermilch erstaunlich wenig erforscht. Deshalb entsteht an der Universität Zürich nun der weltweit erste Medizin-Lehrstuhl für Muttermilchforschung. Eine Stiftung finanziert ihn mit 20 Millionen Franken.
Muttermilch schütze Frühgeborene vor gefährlichen Darmerkrankungen, lasse Babys und Kleinkinder besser gedeihen und beuge Infektionen, plötzlichem Kindstod, Allergien und auch Mittelohrentzündungen vor, erklärte Dirk Bassler, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich, am Dienstag vor Medien in Zürich.
Stillende Mütter litten zudem weniger unter Kindbettdepressionen, rheumatoider Arthritis, Herzkrankheiten sowie Brust- oder Gebärmutterkrebs. Dies zeigten Beobachtungsstudien, die aber weniger aussagekräftig seien als kontrollierte Doppelblindstudien. Warum und wie die Muttermilch all dies leistet, darüber wisse man noch zu wenig, sagte Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich.
Diese Wissenslücken will die Familie Larsson-Rosenquist Stiftung beheben und stiftet dazu zwei Professuren für Muttermilchforschung: Der klinische Medizinbereich ist an der Universität Zürich angesiedelt, die biochemische Grundlagenforschung an der University of Western Australia (UWA) in Perth.
Der Familie Larsson gehört das Unternehmen Medela für Brust- und andere medizinische Pumpen mit Sitz in Baar ZG. Die 2013 gegründete Stiftung fokussiere sich als weltweit einzige auf die Themen Muttermilch und Stillen, teilte die UZH mit.
Der Lehrstuhl an der UZH wird in enger Zusammenarbeit zwischen der Neugeborenenklinik (Neonatologie) am Unispital und dem Kinderspital Zürich (Kispi) geführt werden. «Die neue Professur erlaubt es, die Wirkungen von Muttermilch und Stillen bei Mutter und Kind in Langzeitstudien über das ganze Kindesalter hinweg zu beschreiben und erforschen», sagte Felix Sennhauser, Ärztlicher Direktor des Kispi.
«Wir verstehen unter Gesundheit auch das psychische Wohlbefinden und ein soziales Gelingen des Lebens», fügte er hinzu. «Muttermilch trägt zu vielen dieser Aspekte bei.» Mit der neuen Professur könne man diese günstigen Einflüsse untersuchen und versuchen zu optimieren. Auf die künftige Besetzung der Professur sowie die Forschungsfragen habe die Stiftung keinen Einfluss.
Mit der Doppelprofessur in der Schweiz und in Australien wolle die Stiftung garantieren, dass die Muttermilchforschung multidisziplinär angegangen wird. Die UWA erforscht die biochemischen Grundlagen der Zusammensetzung, Produktion und auch die Genetik der Muttermilch bereits seit vielen Jahren.
An der Universität Zürich könnten diese Erkenntnisse in die klinische Anwendung einfliessen. Dies nütze direkt den Frauen und Kindern, sagte die stellvertretende Prorektorin der UWA, Robyn Owens: «Frauen mit Problemen beim Stillen werden mehr Hilfe erhalten, und Babys sowie Mütter vermehrt von den Vorteilen des Stillens und der Muttermilch profitieren.»
Vor allem in den USA gibt es derzeit einen regelrechten Hype um Muttermilch. Spezialisierte Firmen kaufen Müttern überschüssige Milch ab und verarbeiten diese zu einem Konzentrat, das sie an Neugeborenen-Intensivstationen verkaufen. Aber auch Bodybuilder schwörten auf die Protein-, Fett- und Mineralienmixtur, sagte Basseler.
«Es gibt keinen Hinweis darauf, dass diese kommerziellen Produkte funktionieren», betonte Larsson. «Hier soll die Forschung ansetzen.» Die Kommerzialisierung ist umstritten, weil eine Bezahlung sozial schlecht gestellte Mütter dazu verleiten könnte, ihre Milch zu verkaufen und dem eigenen Kind Fertigmilch zu geben.
Die Universität Zürich fokussiere sich auf das natürliche Stillen und die Milch einer Mutter für ihr eigenes Kind, sagte Sennhauser. Es werde keine Industriezusammenarbeit geben. Die Grundlagenforschung an der UWA könnte potenziell in alle Richtungen eingesetzt werden, auch um Industrieprodukte zu optimieren, erklärte Owens. Ziel sei es, möglichst vielen Müttern und Kindern bessere Optionen zu bieten.
Die Lehrstühle sollen das neu gewonnene Wissen auch an Medizinstudenten sowie Hebammen und Stillberaterinnen weitergeben. «Es gibt viel Pseudowissen um die Muttermilch», sagte Sennhauser. «Unser Ziel ist es, evidenzbasiertes Wissen in die Gesellschaft zu bringen.» (viw/sda)