Es war ein Satz für die Geschichtsbücher: «Jetzt muss ein Ruck durch unser Land gehen», sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga am Abend des 16. März 2020. Zu viert war der Bundesrat nach einer langen Sitzung vor die Medien getreten, um die «ausserordentliche Lage» zu verfügen. In der Schweiz begann, was etwas salopp Lockdown genannt wurde.
«Dies ist ein Appell an die ganze Bevölkerung: Bleiben Sie zu Hause und meiden Sie den Kontakt mit anderen Personen», sagte Gesundheitsminister Alain Berset. Bleiben Sie zu Hause – auch diese Worte prägten die Pandemie. Sie standen auf Plakaten des Bundesamts für Gesundheit (BAG), das SRF machte daraus einen Song.
Auslöser war ein hoch ansteckendes Virus namens SARS-CoV-2, das sich von der chinesischen Millionenstadt Wuhan um die ganze Welt verbreitete. Erste Fälle der dadurch verursachten, potenziell tödlichen Lungenkrankheit wurden im Dezember 2019 registriert, weshalb sie von der Weltgesundheitsorganisation WHO die Bezeichnung Covid-19 erhielt.
In der Schweiz wurden die ersten Ansteckungen im Februar 2020 bestätigt, genauer im Tessin, das an die Lombardei grenzt, wo die Krankheit bereits wütete. Besonders schlimm war es in Bergamo. Am 28. Februar verbot der Bundesrat Anlässe mit mehr als 1000 Personen. Es wirkte wie der Versuch, einen Tsunami mit einem Regenschirm zu stoppen.
Der Lockdown kam vermutlich gerade noch rechtzeitig, um eine Katastrophe zu verhindern. Eine Überlastung der Spitäler wie in Bergamo blieb aus. Die Soldaten, die zur ersten Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg einrückten, hatten kaum etwas zu tun. Dabei war die Schweiz vergleichsweise liberal. Es gab nie Ausgangssperren, wie in anderen Ländern.
Dennoch war es eine heftige Erfahrung. Sie überforderte viele, wenn nicht die meisten. Nichts verdeutlichte dies besser als der komplett irrationale Run auf Toilettenpapier. Das war auch kein Wunder: Kaum ein lebender Mensch hatte eine globale Pandemie erlebt. Das letzte derartige Ereignis war die Spanische Grippe, die 100 Jahre zurücklag.
Oft hatten wir einfach Glück, denn immer wieder waren Viren aufgetaucht, die von Tieren (vor allem Fledermäusen) auf den Menschen übersprangen. Man spricht von Zoonosen. Die ARD-Dokumentation «Spillover – Planet der Viren» schildert dies anschaulich. Trotzdem glaubten manche, Corona sei nicht viel mehr als ein «Pfnüsel» oder existiere gar nicht.
Entsprechend kritisch wurden auch die Massnahmen beurteilt, die der Bundesrat in den ziemlich genau zwei Jahren bis zur definitiven Aufhebung Ende März 2022 wiederholt verhängt und zwischenzeitlich aufgehoben hatte. Das betrifft die Masken- und die Zertifikatspflicht, die Schliessung von Lokalitäten oder das Verbot von Veranstaltungen aller Art.
Zum fünften Jahrestag vernimmt man erneut Stimmen, die Politik und Wissenschaft von «Team Vorsicht» in anklagendem Ton vorwerfen, völlig übertrieben zu haben. Sie sind geprägt vom Besserwisser-Motto «Im Nachhinein ist man immer schlauer». Denn in der damaligen unberechenbaren Lage war Vorsicht das Gebot der Stunde.
Natürlich lief nicht alles rund, das räumt auch «Mr. Corona» Daniel Koch ein, eine durchaus kontroverse Figur. Als Beispiel erwähnte er gegenüber der Agentur Keystone-SDA etwa das Besuchsverbot in Alters- und Pflegeheimen. Kritisch werden im Rückblick auch die Schulschliessungen beurteilt. Sie führten bei manchen Kindern zu erheblichen Lerndefiziten.
Die Überforderung gab den «Extremen» auf beiden Seiten Auftrieb. Da waren jene realen oder hobbymässigen Experten, die eine maximale Eindämmung von SARS-CoV-2 forderten und den Bund sowie dessen Covid-Taskforce vor allem in den sozialen Medien schwere Vorwürfe machten. Deutlich lautstärker traten die Kritiker der Corona-Massnahmen auf.
Im Umgang mit ihnen zeigte sich einmal mehr der mässigende Einfluss der direkten Demokratie. Dreimal ergriffen sie das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz des Bundes, dreimal scheiterten sie. Ein veritabler Keulenschlag für sie war die zweite Niederlage im November 2021 nach einem intensiven und mit viel Aufwand geführten Abstimmungskampf.
Davon haben sich die «Schwurbler» nie wirklich erholt. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind sie nur noch Randfiguren, auch wenn sich einzelne Exponenten radikalisiert haben und andere nach wie vor ins Rampenlicht drängen. Der in allen drei Abstimmungen relativ hohe Nein-Anteil von rund 40 Prozent deutet aber auf ein verbreitetes Unbehagen hin.
Liegt es an einer helvetischen Abneigung gegenüber staatlichen Eingriffen? Oder gibt es ausgerechnet in unserem Land, in dem Bildung gerne als einziger Rohstoff angepriesen wird, ein breites Misstrauen gegenüber der Wissenschaft? Vermutlich spielte beides eine Rolle, doch eine Aufarbeitung der Pandemie fand nicht statt. Man will sie einfach vergessen.
Dabei gäbe es einiges zu klären. So profitierten gerade Gutverdienende vom Homeoffice, im Gegensatz zu Menschen mit oft tiefen Löhnen, die notwendige Dienstleistungen erbringen. Corona war auch ein Ungleichmacher. Die psychischen Folgen etwa für junge Leute sind kaum erforscht, und Opfer von Long Covid fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.
Ernsthafte Bestrebungen, die Pandemie und ihre Bewältigung zu untersuchen, gibt es nicht. Das verleiht den Impfgegnern Auftrieb (einer von ihnen ist Gesundheitsminister in der Regierung Trump). Dabei ist es offenkundig, dass wir nur dank der mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna nach zwei Jahren zur Normalität zurückkehren konnten.
Für ihre «Entdeckung» hat die Biochemikerin Katalin Karikó 2023 den Medizin-Nobelpreis erhalten, dennoch werden sie als «Genspritze» verunglimpft. Impfschäden sind real, doch der Impfnutzen ist unverkennbar. Nur so konnten die letzten Massnahmen ausgerechnet dann aufgehoben werden, als sich die extrem ansteckende Omikron-Variante ausbreitete.
Immerhin ist die Schweiz nicht das einzige Land, das sich mit dem Aufarbeiten von Corona schwertut. Das gilt besonders für China, das mutmassliche Ursprungsland des Virus. Nachdem sich die Volksrepublik mit der knallharten Zero-Covid-Politik völlig verrannt hatte, ist maximale Verdrängung und Vertuschung angesagt. Das lässt Spekulationen erblühen.
Ist das Coronavirus auf dem Wildtiermarkt in Wuhan entstanden, oder doch durch einen Laborunfall, wie der deutsche Bundesnachrichtendienst BND offenbar schon früh vermutet hat? «Genau diese Unsicherheit öffnet Geraune und Verdächtigungen Tür und Tor. Sie schürt das Misstrauen gegen Wissenschafter ebenso wie Politiker», meint die NZZ.
Rund um Corona ist fünf Jahre nach Beginn der Lockdowns noch immer vieles unklar. Dabei stellt sich bei der nächsten Pandemie nicht die Frage, ob sie kommt, sondern wann. Die «Spillover»-Doku zeigt dies sehr anschaulich. 2020 waren wir zu wenig vorbereitet, auch weil die Empfehlungen aus einer Pandemie-Übung des Bundes ignoriert worden waren.
Hat die Schweiz die Gesundheitskrise gut bewältigt? Es ist letztlich Ansichtssache. Die unbürokratische Vergabe von Covid-Krediten wurde anfangs gefeiert, doch sie hat Betrüger angezogen, und viele können das Geld nicht zurückzahlen. Und ob die 30 Milliarden Franken Corona-Schulden bis 2035 im Bundesbudget abgetragen werden können, ist äusserst fraglich.
Mit fünf Jahren Abstand lässt sich bilanzieren: Simonetta Sommarugas «Ruck» ist damals durch das Land gegangen. Mit den Folgen der Pandemie, ob finanzieller oder gesundheitlicher Natur, werden wir uns jedoch noch lange herumschlagen müssen.
Wäre es anders gekommen (und das kann es immer noch mit H5N1 zum Beispiel) und man hätte nichts oder wenig gemacht, wäre der Staat auch wieder in der Kritik, wieso er denn die Bürger nicht geschützt hätte.
Der schmale Grat zwischen Sicherheit und Freiheit. Die einen verlangen mehr von dem einen, die anderen mehr vom anderen und dies bei unterschiedlcihen Dingen.
Fragt euch nicht, was der Staat für euch tun kann sondern was ihr für den Staat tun könnt!