meist klar
DE | FR
Schweiz
Gesundheit

Coronavirus: Die Schweiz machte 2014 eine Pandemie-Übung 2014

Die Koerpertemperatur wird bei den Soldaten gemessen, anlaesslich des Zusammenzugs der Soldaten des Spitalbataillon 5 die aus verschiedenen Teilen der Schweiz einrücken, am Montag, 16. Maerz 2020 in d ...
Soldaten des Spitalbataillons rücken ein, um Schweizer Spitäler zu unterstützen. Vor dem Dienst wird ihnen die Körpertemperatur gemessen. Bild: KEYSTONE

Pandemie-Übung 2014: Die Schweiz war gewarnt – aber nicht alle machten ihre Hausaufgaben

Auf dem Papier waren alle Massnahmen gegen eine Pandemie vorhanden, doch nicht alle wurden umgesetzt.
28.03.2020, 19:04
andreas maurer / schweiz am wochenende
Mehr «Schweiz»

Szenario-Skizze: Ein neues Grippevirus, das erstmals in Zentralasien nachgewiesen werden konnte, breitet sich in acht Wochen weltweit aus. Das Virus überträgt sich von Mensch zu Mensch und weist im Vergleich zu Pandemien der letzten Jahrzehnte eine deutlich höhere Letalitätsrate auf.

Die Sätze stammen aus dem Jahr 2014. Damals fand die erste Krisenübung statt, in die alle 26 Kantone involviert waren. Mehrere tausend Personen standen im Einsatz. Organisiert wurde sie vom Sicherheitsverbund Schweiz, den Bund und Kantone 2010 gegründet hatten, um die Zusammenarbeit in einer Krise zu verbessern.

Ein Resultat der Übung von 2014: Die Vorsorgeplanungen der Kantone für eine Pandemie waren nicht auf dem neusten Stand. Die Erfahrungen flossen in den nationalen Pandemieplan ein. Darin sind seit Jahren alle Massnahmen beschrieben, die heute zur Anwendung kommen: von Schulschliessungen bis Veranstaltungsverboten. Festgehalten ist auch, dass die Kantone genügend medizinische Güter für den Pandemiefall lagern sollten. Explizit genannt wurden Schutzmasken und Desinfektionsmittel.

Im Mai 2018 beauftragte Verteidigungsminister Guy Parmelin den ehemaligen Direktor des Bundesamts für Gesundheit, Thomas Zeltner, mit einem Gutachten. Er sollte abklären, wie die Schweiz im Sanitätsbereich für die Bewältigung einer Krise aufgestellt sein sollte. Damit kannte sich Zeltner aus. Früher war er auch Sonderdelegierter der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Andre Duvillard, Delegierter Sicherheitsverbund Schweiz, spricht an einer Medienkonferenz der Taskforce TETRA ueber die Bekaempfung des dschihadistisch motivierten Terrorismus in der Schweiz, am Monta ...
Im November 2019 beauftrage Amherd den Delegierten des Sicherheitsverbunds Schweiz, André Duvillard, Lösungsvorschläge herauszuarbeiten.Bild: KEYSTONE

Im Dezember 2018 lieferte Zeltner seinen Bericht ab. Darin steht, dass die Kantone ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten. Sie lagerten in ihren Spitälern nicht wie vom Bund gefordert genügend Medikamente, Medizinprodukte und Labormaterialien für einen Notstand. Zeltner schlug vor, dies in die Leistungsvereinbarungen der Kantone mit den Spitälern aufzunehmen.

Weiter hielt er fest, dass schweizweit rund 70 Spitäler für etwa 20 Milliarden Franken neu gebaut oder umgebaut werden: «Es wäre höchst sinnvoll, im Rahmen dieser Bauprojekte die zusätzlichen Bedürfnisse für Notlagen zu berücksichtigen und in die Auftragserteilung aufzunehmen. Soweit ermittelbar, ist dies zurzeit nicht der Fall.»

Wenige Tage nachdem Zeltner seinen Bericht abgeliefert hatte, gab Parmelin sein Departement an Viola Amherd ab. Auf ihrer Prioritätenliste stand die Kampfjetbeschaffung zuoberst. Als grösste Bedrohung nahm der Bund den IS-Terror wahr. Das Pandemieszenario war aus den Köpfen verschwunden. Fast ein Jahr verstrich.

Mitten in der Planung wurde das Szenario Realität

Im November 2019 beauftrage Amherd den Delegierten des Sicherheitsverbunds Schweiz, André Duvillard, Lösungsvorschläge für die im Gutachten beschriebenen Probleme auszuarbeiten. Duvillard ist in seinem Berufsleben vielen Krisen begegnet: Er war Delegierter des Roten Kreuzes im Irak, in Israel und im Libanon. Später kommandierte er die Neuenburger Kantonspolizei.

«Die Experten haben sich die richtigen Überlegungen gemacht. Auf dem Papier ist alles vorhanden. Aber nicht alle Hausaufgaben, die dort aufgeführt sind, wurden erledigt.»
André Duivllard

Duvillard hatte Zeit für eine einzige Sitzung mit seiner Projektgruppe, bis das Szenario, auf das er die Schweiz vorbereitete, plötzlich Realität wurde.

Duvillard arbeitet im Home-Office in Colombier am Neuenburgersee und schildert seine Erkenntnisse in einem Telefongespräch. Er sagt: «Heute sieht man: Die Experten haben sich die richtigen Überlegungen gemacht. Auf dem Papier ist alles vorhanden. Aber nicht alle Hausaufgaben, die dort aufgeführt sind, wurden erledigt.»

Auf den Intensivstationen und in den Notlagern zeichnen sich Engpässe ab. Duvillard sagt: «Im Kalten Krieg hatten wir für alles Reserven, vom Brot bis zu Medikamenten. Dann dachte man, dass mit der Globalisierung alles immer sofort geliefert werden kann. Jetzt fehlt es uns plötzlich an einfachen Mitteln wie Ethanol für Desinfektionsmittel und an Schutzmasken.» Zuständig für die Lager wären vor allem die Kantone. Die Gesundheitsdirektoren beschäftigten sich in den vergangenen Jahren mit der Spitalplanung und Krankenkassenprämien. «Eine Krise im Gesundheitswesen war nie ein grosses Thema», sagt Duvillard.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass sich in der Schweiz 26 Kantone um genügend Material und Ressourcen für den Krisenfall bemühen müssen. Duvillard unterstützt einen Lösungsvorschlag, der auf dem Papier schon lange existiert: Die Kantone teilen sich in vier Gesundheitsregionen auf und bereiten sich gemeinsam auf Krisen vor. Duvillard: «In der Westschweiz ist die regionale Zusammenarbeit schon weit, nicht aber in der Deutschschweiz.» Der Rückblick auf die Pandemie planung zeigt also: Die Schweiz hatte die richtigen Pläne erstellt, aber nicht konsequent umgesetzt.

«Eine Krise im Gesundheitswesen war nie ein grosses Thema.»
André Duvillard

Duvillard, der Mann, der die Planung bis Ende Jahr hätte verfeinern sollen, räumt ein, dass auch er die Ausbreitung des Coronavirus unterschätzt habe: «Obwohl ich selber sehr nah an der Pandemieplanung dran war und Erfahrungen mit Krisen im Ausland hatte, ging ich bis im März davon aus, dass die Schweiz auch diesmal verschont werden wird.» Er nahm an der ersten Sitzung des Bundesstabs für Bevölkerungsschutz teil, am 24. Februar, als erste Fälle in Italien auftauchten. Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit, der inzwischen berühmt geworden ist, habe schon an dieser Sitzung betont: «Was heute gilt, gilt vielleicht schon morgen nicht mehr.» Duvillard erinnert sich: «Die meisten gingen aber davon aus, dass wir noch viel Zeit haben werden.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Smartphone-Tracking in Pandemie-Zeiten
1 / 11
Smartphone-Tracking in Pandemie-Zeiten
Die US-Firma X-Mode trackt gemäss eigenen Angaben über 60 Millionen Smartphone-User weltweit. Über ein Visualisierungs-Tool lassen sich Menschenströme beobachten, was in Pandemie-Zeiten sehr aufschlussreich sein kann ...
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Coronavirus: So hat der Bund diesen Risikopatient enttäuscht
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
37 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Zauggovia
28.03.2020 19:14registriert April 2018
Die Schweiz (und wohl auch viele andere Länder) braucht immer einen Schuss vor den Bug um Massnahmen zu ergreifen. Viele solche Szenarien sind von den Armee- und Kantonsstäben ausgearbeitet und durchgespielt worden (Pandemien, terroristische Angriffe, langandauernder Stromausfall etc.), jedoch hat sich in den Köpfen der Politik und der Bevölkerung eine Art ewiger Frieden und Wohlstand breit gemacht, sodass diese Szenarien als unrealistisch abgetan werden. Evtl. führt die jetzige Krise zu einem Überdenken.
22615
Melden
Zum Kommentar
avatar
Heini Hemmi
28.03.2020 19:55registriert November 2017
Warum um alles in der Welt muss man sich auf einen nationalen bzw. globalen Gesundheitsnotstand kantonal bzw. regional vorbereiten?! Es hat ja auch nicht jeder Kanton seine eigene F/A-18. Föderalismus in Ehren, aber hier ist Zentralismus gefragt. Eine Pandemie kommt statistisch gesehen alle paar Jahrzehnte vor, mit der zunehmenden Überbevölkerung sogar noch öfter. Wir täten gut daran, uns adäquat zu wappnen, und zwar nicht jeder Kanton für sich.
673
Melden
Zum Kommentar
avatar
Posersalami
28.03.2020 22:16registriert September 2016
MMn. ist das Delegieren an Kantone, Gemeinden oder Spitäler der Kern des Übels.

Der Pandemieplan ist für die ganze Schweiz, also sollte auch die Lagerhaltung zentral geschehen. Der Bund soll sofort wieder damit anfangen, Material für den Krisenfall einzulagern das für 3-4 Monate genügt!

Dinge mit Ablaufdatum als Pflichtkonsum an geeignete Stellen ausgeben und regelmässig auffüllen. Wir wissen, wie das geht!
602
Melden
Zum Kommentar
37
Das sind 8 der wohl speziellsten Unterkünfte der Schweiz
Ferien in einem Baudenkmal machen? An einem Ort, der gerade so gut ein Museum sein könnte – oder einer, der Geschichte mit einmaliger Unterkunft kombiniert? Das ist bei diesen Ferienwohnungen in der Schweiz möglich.

Die Stiftung Ferien im Baudenkmal ermöglicht seit 2005 genau das, was sie sagt: Ferien im Baudenkmal. Das kann eine alte Scheune sein, eine alte Bahnhofstation oder sonst ein historisches Gebäude in der Schweiz.

Zur Story