Wir treffen Tara Welschinger in einem Café und wir haben sie gebeten, alles mitzubringen, was sie jeden Tag mit sich schleppt. Denn das ist mehr, als andere herumtragen. Die 41-Jährige ist Mitglied der Zero-Waste-Bewegung, sie möchte so wenig Abfall produzieren wie nur irgendwie möglich.
Welschinger kreuzt auf mit einem normal grossen Rucksack. Dann breitet sie aus, was sie braucht, um unterwegs, beim Einkaufen keinen Abfall zu verursachen. Es ist überraschend wenig, das sie auspackt:
Ohne diese Utensilien geht die frühere Co-Leiterin einer Kommunikationsagentur nicht mehr aus dem Haus. Sie sind der Grundstock für eine der wichtigsten Zero-Waste-Regeln: Meide Verpackungen, suche nach Alternativen.
Welschinger versorgt sich auf Märkten, Bio- und Quartierläden. Supermärkte umgeht sie soweit wie möglich; ausser sie haben eine Offentheke. Früchte und Gemüse kommen in die Baumwollsäckchen und diese in den Rucksack. Sandwichbox und Besteck oder Stäbchen braucht sie bei jedem Besuch bei einem Take-Away-Laden, das Wachstuch für das Fleisch beim Dorfmetzger (oder an der Offentheke von Migros oder Coop), die Käserei füllt ihr den Joghurt in ihr Glas.
«Das Ganze ist zeitaufwändig, man muss den Verkäufern den Sinn von Zero Waste zuerst erklären», sagt Welschinger. Mit der Zeit werde das Ganze zu einem Spiel, dann zu einer Obsession. «Du versuchst überall noch mehr Abfall zu vermeiden.»
Allerdings ist die Bewegung in keiner Weise extrem. Willkommen ist, wer versucht, weniger Abfall zu produzieren – und sei es noch so eine kleine Menge.
Welschinger stösst in der Deutschschweiz immer wieder an Grenzen. So hat sie zwar mittlerweile einen Laden gefunden, der Pasta sowie wenige Hülsenfrüchte im Offenverkauf anbietet. Andere Esswaren gibt es jedoch nur verpackt. Schwierig ohne Verpackung zu bekommen seien:
Auch deshalb eröffnet sie im Februar in Zürich-West den ersten Zero-Waste-Laden «Foifi» der Stadt. Fast gleichzeitig öffnet auch der Laden «Chez Mamie» seine Tore. In der Westschweiz gibt es bereits mehrere Läden dieser Art.
In diesen Läden bekommt der Kunde sämtliche Esswaren sowie Hygiene- und Haushalt-Artikel ohne Eigenverpackung.
Der Kunde wägt die Ware selber und packt sie in seine mitgebrachten Baumwollsäckchen. Das gehe etwas länger als im Supermarkt, räumt Welschinger ein; es entschleunige jedoch.
«Durch Zero Waste lernte ich, unser Essen mehr wertzuschätzen, es hat meine Lebensqualität verbessert», sagt Welschiger. In ihrem Laden «Foifi» ist das Ziel, dass hauptsächlich Produkte aus Europa und möglichst viele aus der Region stammen. «Mangos oder Bananen wird es bei uns nicht geben, das macht ökologisch keinen Sinn.» Welschinger sucht deshalb nach naheliegenden Lösungen. So hat sie unter anderem einen Produzenten aus dem Zürcher Oberland gefunden, der Erdmandeln anbaut und ihr diese liefert.
Verpackungsfreies Einkaufen ist ein wichtiger Pfeiler von Zero Waste, die Idee geht jedoch viel weiter. Nach dem Motto «Weniger Besitz führt zu mehr Platz» leben zahlreiche Mitglieder der Organisation.
Allerdings verzichten einige von ihnen nicht auf das Fliegen. Auch Welschinger reist gerne in ferne Länder. «Dies ist mein wunder Punkt, das macht mich angreifbar», sagt sie. Einmal angekommen, bewege sie sich jedoch möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Inlandflüge sind Tabu. Sie hat kein Auto, in der Schweiz benutzt sie nur ÖV.
Die Wohnungen und Häuser von «Zero Wastlern» sind spartanisch eingerichtet. Sie besitzen von vielem nur etwas. Welschinger hat beispielsweise nur noch einen Schäler oder einen Suppenlöffel. Die überzähligen brachte sie ins Brocki oder verschenkte sie. So gelangen sie wieder in den Kreislauf statt Zuhause herumzuliegen.
Im Bereich Hygiene kann ebenfalls Abfall «gespart» werden. Statt Tampons benutzt Welschinger Menstruationstassen oder Stoffbinden. Die 41-Jährige wäscht ihre Haare mit Haarseife, ihre Schminke stellt sie selber her. Und auch beim Reinigen achtet sie auf die Verpackungen. Anstelle von verschiedenen Putzmitteln hält sie ihre Wohnung mit verdünntem Essig sauber.
Durch Zero Waste hat sich nicht nur Welschingers Abfallberg verkleinert – momentan füllt sie mit ihrem Partner einen 17-Kilo-Sack pro Monat – sie zog auch um. Wohnte sie früher in einer grosszügigen 7-Zimmerwohnung, reichen ihr heute 45 Quadratmeter.
Zudem kauft sie, wie Zero-Waste-Erfindern Bea Johnson, fast keine Kleider mehr. 15 Kleidungsstücke reichen – Unterwäsche nicht mitgezählt.
Welschinger versucht mit so wenigen Elektrogeräten auszukommen wie nur möglich. Braucht sie einen Mixer, besorgt sie sich diesen auf Ricardo, statt einen neuen zu kaufen. Einen Toaster hat sie nicht mehr, «toasten geht auch in der Pfanne». Sie telefoniert mit einem Secondhand-Handy. Was repariert werden kann, wird geflickt.
Zero Waste gilt auch beim Auswärtsessen. Tischset und Serviette sind nicht nötig. «Bestelle ich einen Eistee, verlange ich ihn ohne Röhrli.»
Je länger das Gespräch mit Welschinger dauert, desto besser ist ihre Lust an Zero Waste zu spüren. Ist das Ganze nie mühsam, wo stösst sie an? «Fast nie», antwortet sie. Es brauche Geduld. Oft seien die Menschen hinter der Theke überrascht, wenn sie ihnen ihre Sandwich-Box zum Auffüllen hinhalte. Nach einer kurzen Erklärung hätten sie Verständnis für ihr Anliegen. Verzichten müsse sie auf wenig – Zweifel-Chips gehören dazu. Und sie nimmt keine Geschenke mehr an. Stattdessen wünscht sie sich Erlebnisse.