Schweiz
Zürich

Messer-Angriff auf Juden in Zürich: Familie des Täters gibt Auskunft

Familie des Zürcher Attentäters gibt Einblick in sein Leben

30.04.2024, 10:1430.04.2024, 14:37
Mehr «Schweiz»

Die Tat schockierte. Anfang März stach ein 15-Jähriger in Zürich auf einen Juden ein. Es war dem beherzten Eingreifen zufällig anwesender Kampfsportler zu verdanken, dass der 50-Jährige schwer verletzt überlebte.

Schnell wurde klar, dass es sich beim Angriff um dschihadistisch-antisemitischen Terror handelte. Der Täter ist tunesischer Herkunft, seine Familie gab gegenüber dem Tages-Anzeiger Auskunft, der ihn «Anis T.» nennt. Auch die Familie kann sich nicht erklären, wie der Jugendliche zu so einer Tat fähig war.

der Attentäter von Zürich
Der 15-Jährige radikalisierte sich online.Bild: pd

Anis kommt im September 2008 in Bülach zur Welt. Er ist das älteste von fünf Geschwistern. Seine Eltern kommen beide aus Tunesien. Mit drei Jahren wird Anis zusammen mit seinem Vater eingebürgert, seine Mutter hat bis heute keinen Schweizer Pass.

Kindheit in Tunesien

Sein Vater arbeitet als Taxifahrer, doch das Geschäft läuft nicht gut. Aus finanziellen Gründen entscheiden die Eltern, dass die Kinder mit der Mutter nach Tunesien ziehen, während der Vater weiter in der Schweiz arbeitet. Die Kinder sollen so Arabisch lernen und mit der tunesischen Kultur vertraut werden.

Zuerst besucht Anis eine öffentliche Schule, dann eine staatlich anerkannte Privatschule. Der «Tages-Anzeiger» hatte Zugang zu Fotos aus dieser Zeit. Die Lehrerinnen unterrichten teilweise ohne Kopftücher, die Klassen sind gemischt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Anis' Umfeld in Tunesien streng religiös oder gar extremistisch war.

Während seiner Zeit in Tunesien sieht Anis seinen Vater selten. Er besucht seine Frau und die Kinder nur sporadisch, in den Sommerferien reist die Familie zu ihm in die Schweiz.

Rückkehr in die Schweiz

2021 kehrt die Familie wegen der Coronakrise in die Schweiz zurück, früher als geplant. Eigentlich hätten die Kinder die gesamte Schulzeit in Tunesien verbringen sollen. Anis ist zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Er verbrachte sieben Jahre in Tunesien, also wesentlich mehr als die mindestens vier Jahre, die von den Zürcher Behörden genannt wurden.

Wie Anis' Mutter schreibt, sei er sehr glücklich gewesen, als die Familie die Rückkehr in die Schweiz beschloss.

Die siebenköpfige Familie zieht in eine enge 3-½-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Zürich, wo sie sich wohlfühlt. Anis kommt in eine Aufnahmeklasse und zeigt gute Leistungen. Er wird in die Sek A eingestuft, das höchste Oberstufenniveau im Kanton.

Doch im Sommer 2022 muss die Familie auf Druck des Migrationsamts in eine grössere Wohnung umziehen. Die Mutter müsste sonst die Schweiz verlassen. Sie ziehen ins Zürcher Unterland, im Wohnblock sind sie die einzige Familie mit Kindern. Bald schon entstehen Probleme mit einer Nachbarin, die sich von dem Lärm der Kinder gestört fühlt. Die Kinder hätten Angst vor ihr gehabt, wie die Mutter schreibt. Die Nachbarin schreit die Kinder an, Anis ist sehr aufgebracht.

An der neuen Schule wird er gemobbt. Einige Jugendliche haben sich zu einer Bande zusammengeschlossen, Anis hat sogar Angst, in der Schule aufs WC zu gehen. Seine Leistungen verschlechtern sich und er wird in die Sek B eingeteilt, fällt in ein Loch.

Anis sehnt sich nun nach seiner Familie in Tunesien. Die Mutter schreibt, er habe zu dieser Zeit das Haus nicht mehr oft verlassen und sei immer am Handy gewesen.

Gut ein Jahr vor der Tat beginnt er täglich zu beten. Laut seiner Mutter habe er jedoch nicht mal im Ramadan gefastet, nichts habe auf eine Radikalisierung hingewiesen. Doch Anis hat keine Freunde in der Schweiz, nur online. Er beschäftigt sich zuerst exzessiv mit Games und wendet sich dann islamistischen Inhalten zu.

Autismus-Verdacht

Auch als Kind hat Anis gemäss seiner Familie gezeigt, dass er sich intensiv mit etwas beschäftigen kann. Über Dinosaurier, Astronomie und den Zürcher ÖV-Fahrplan habe er alles gewusst, bis ins Detail.

In den Monaten vor der Tat sollen sich bei Anis verstärkt «autistische Züge» gezeigt haben. Er sei in der Wohnung ständig hin und her gelaufen, schreibt seine Mutter. Sein Onkel nennt es eine «innere Unruhe».

Anis verhalte sich in der Öffentlichkeit, als wäre er allein, spreche mit lauter Stimme und grüsse niemanden, so die Mutter. Weiter habe er motorische Schwierigkeiten, könne sich nicht die Schuhe binden und habe Mühe, Brot zu schneiden. Darum konnte die Familie zunächst nicht glauben, dass er für das Attentat verantwortlich ist.

Schulpsychologisch wurde Anis nie abgeklärt. In Haft wird er nun forensisch-psychiatrisch begutachtet. Er befindet sich in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche.

(rbu)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
96 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jimmy Dean
30.04.2024 10:45registriert Juli 2015
also wenn mein sohn plötzlich mit 15 nicht mehr in der lage ist seine schuhe zu zubinden, brot zu schneiden und in der öffentlichkeit laut spricht, wäre doch eine sofortige therapie oder eine abklärungssitzung das allererste was man machen muss.
1436
Melden
Zum Kommentar
avatar
ingmarbergman
30.04.2024 11:02registriert August 2017
Wir haben ein massives Problem mit Radikalisierung durch Social Media.
TikTok ist da nicht alleine - das gilt auch für Facebook, X, oder auch nur broadcast-Funktionen bei Telegram.
Und es betrifft sowohl christliche wie auch islamische Fundamentalisten, ebenso wie von Putin orchestrierter Propaganda.

Diktatoren und Terroristen wissen genau was sie tun - die Demokratien müssen sich dem bewusst sein, und Anfangen die Plattformen zu regulieren.
1038
Melden
Zum Kommentar
avatar
KLERUS
30.04.2024 11:21registriert Oktober 2021
Ich wurde in der zweiten Klasse ins Bubenheim „Knaben Heim auf der Grube“ gesteckt und hatte wohl eine der traurigeren Kindheiten zu dieser Zeit. Ich wüsste aber nicht, dass einer von uns Menschen aufgrund ihrer Religion abgestochen hätte. Verstehen ok, aber Mitleid mit diesem Terroristen und Mörder muss niemand haben und es gibt immer Menschen, die noch tiefer in der Scheisse aufgewachsen sind.
10022
Melden
Zum Kommentar
96
«Ein Entscheid im September ist definitiv zu spät»: SRG vergeigt sich die guten Locations
Die SRG sucht einen Austragungsort für den Musikwettbewerb im Jahr 2025. Dafür könnte sie sich zu viel Zeit nehmen, befürchten Hallenbetreiber. Sie wollen nicht monatelang auf Buchungen fürs nächste Jahr verzichten.

«Voraussichtlich im September» will die SRG kommunizieren, in welcher Stadt und Halle der Eurovision Song Contest (ESC) nächstes Jahr stattfinden wird. So berichtete es kürzlich das SRG-Medium SRF - und mit ihm verschiedene andere Titel. Denn nach dem Sieg von Nemo ist die Schweiz daran, die grösste Musikshow der Welt mit etwa 180 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern vor dem TV auszurichten.

Zur Story