Die wohl elitärste Siedlung der Schweiz und warum du sie nicht betreten solltest
«Wir waren völlig verdattert, wussten nicht, was wir falsch gemacht hatten», sagt Seraina Steiner* (*Name von der Redaktion geändert). Mit ihrem Partner spazierte die Zürcherin kürzlich durch das Quartier Oerlikon und kam an der Eggbühlstrasse vorbei, an der neue Häuser stehen. «Wir hatten uns einst für eine Wohnung in der damals in Bau befindlichen Überbauung interessiert und wollten nun sehen, wie es heute dort aussieht.» Also lief das Paar in den Innenhof, besichtige den Spielplatz - und da passierte es.
«Der Hauswart fauchte uns an, fragte, ob wir hier Mieter seien, was wir verneinten», sagt Steiner. «Dann müssten wir das Areal sofort verlassen, schliesslich stehe draussen ein Verbotsschild, meinte er.» Sie hätten sich wie Schwerverbrecher behandelt gefühlt, so unfreundlich sei der Hauswart gewesen.
Tatsächlich steht beim Eingang in den Innenhof eine entsprechende Tafel: Unberechtigten sei das Betreten und Befahren des Innenhofs untersagt, heisst es darauf. Berechtigt seien nur Mieter sowie deren Besucher. Und: «Wer dieses Verbot missachtet, wird auf Antrag mit einer Busse bis zu Fr. 2'000.00 bestraft.» Unterzeichnet ist das Schild vom Stadtammann vom Zürcher Stadtkreis 11. Dieses Amt ist unter anderem zuständig für Beglaubigungen, gerichtliche Zustellungen oder eben Verbote,
Pole-Dance-Studio im Erdgeschoss
«Wir hatten das Schild nicht gesehen, und wären auch nie auf die Idee gekommen, nach einem solchen Ausschau zu halten», sagt Steiner. Tatsächlich zeigt ein Augenschein vor Ort, dass die 2021 entstandene Siedlung mit ihren 135 Mietwohnungen wie jede andere wirkt: Keine Abschrankungen beim Innenhof, kein Gitter und im Erdgeschoss hat es eine Kinderkrippe und ein Studio für Yoga, Pole Dance und Pilates.
Brigit Wehrli-Schindler hält das Verbotsregime an der Eggbühlstrasse für «einen absurden Einzelfall». Die heutige Beraterin weiss, wovon sie spricht: Sie baute im Präsidialdepartement die Abteilung «Stadtentwicklung Zürich» auf und leitete diese von 1997 bis 2011 als Direktorin.
Die Idee einer belebten, sozialen Stadt sei es, dass sich die Gesellschaft durchmische, und dass es dafür möglichst überall eine Durchwegung, also für die Öffentlichkeit zugängliche Wege gebe, sagt Wehrli-Schindler. «Dass sich eine Siedlung so abzukapseln versucht und Passanten mit lächerlich hohen Bussen droht, ist bedenklich.» Ein ähnlicher Fall sei ihr in Zürich nicht bekannt. Gerade die Spielplätze sollten jeweils allen Kindern aus der umliegenden Nachbarschaft offenstehen. Und was ist mit dem Lärmargument? «Das scheint mir fadenscheinig, schliesslich können auch die eigenen Bewohner im Innenhof lärmig sein.»
Ist die Eggbühl-Siedlung somit eine Vorbotin für sogenannte Gated Communities, also geschlossene Wohnanlagen, wie man sie aus dem Ausland kennt, in denen sich Reiche vom Rest der Bevölkerung baulich abkapseln? In der Werbebroschüre wirbt die Verwalterin Intercity mit dem modernen Ausbau und einem «aussergewöhnliche Wohngefühl»: Der edle Innenausbau widerspiegle sich unter anderem bei den Bodenbelägen, «die mit Natursteinplatten sowie geölten Eichenparkettbelägen mit Würfelflechtmuster oder englischer Verlegeart ausgeführt werden».
Im beliebten Genfer Quartier Pâquis, in dem sich auch das Rotlichtmilieu befindet, sind in den vergangenen Jahren vermehrt Luxus-Apartmentkomplexe entstanden - inklusive Lobbys, die an 5-Sterne-Hotels erinnern, und teuren Duplex-Wohnungen, während sich um die Ecke Randständige im Denner mit Alkohol eindecken. Auch dort werden Passanten von den Conciergen beim Betreten aufgefordert, das Areal zu verlassen. Allerdings steht dort kein Verbotsschild mit Bussen-Androhung.
Yves de Mestral, Präsident der Konferenz der Stadtammänner von Zürich, nimmt zum konkreten Verbotsschild an der Eggbühlstrasse keine inhaltliche Stellung. Er betont, dass es sich dabei um ein sogenanntes audienzrichterliches Verbot handle. Solche würden dort ausgesprochen, wo ein privates Grundstück - häufig sind dies Parkplätze - öffentlich zugänglich sei, also ohne bauliche Abtrennung zum Beispiel. Die Beschilderung mit dem Text muss von einem Gericht bewilligt werden. Der zuständige Stadtammann vollziehe lediglich dieses Urteil - im Kanton Zürich jenes des Bezirksgericht. Eine Änderung des Textes sei nicht möglich.
Bussen über 500 Franken werden in Zürich vom Statthalteramt auf Antrag der Verwaltung oder des Gebäudeeigentümers ausgefällt. Eine Statistik dazu führe man aber nicht, sagt der städtische Statthalter Mathis Kläntschi. Zudem sei ihm unbekannt, wie viele solche Schilder mit einer derart hohen Bussandrohung in Zürich existierten.
Zum Schutz der Anwohner und Anwohnerinnen
Markus Kuhn, zuständig für die Region Zürich bei der Firma Intercity, welche die Eggbühl-Überbauung bewirtschaftet, verteidigt die Tafel. Zum Schutz der Anwohner, zum Beispiel vor Vandalismus oder auch spontanen, unerwünschten Grill-Partys - erachte man das Verbotsschild präventiv als sinnvoll. Eine ausschliessliche Nutzung von objekteigenen Grünflächen durch Anwohner und Mieter sei zudem durchaus üblich.
Wie viele solche Problemfälle es in der neuen Siedlung denn schon gegeben hat, lässt er unbeantwortet. Auch die Frage, wer für die Überwachung zuständig ist und wie viele Bussen bereits verteilt worden sind. «In der Regel erfolgt in Einzelfällen die Aufforderung, das private Grundstück zu verlassen, was die meisten Fremdbesucher verstehen und respektieren.»
Reiche Konzern-Erben als Eigentümer?
Der geschilderte Fall der CH-Media-Leserin Seraina Steiner* ist der Firma hingegen unangenehm: «Es tut uns leid, dass der Hausabwart offenbar einen Besucher brüskiert hat», sagt Intercity-Manager Kuhn. Man werde dies mit dem Angestellten besprechen.
Wer Eigentümerin der Überbauung ist, will Kuhn nicht verraten. In einem Branchenportal wird allerdings die Diethelm Keller Holding AG als private Bauherrin genannt. Diese ist Teil des Grosskonzerns DKSH mit über 33'000 Angestellten in 36 Ländern und einem Umsatz von über 11 Milliarden Franken. Die Tochterfirma gehört mehrheitlich den Erben der Gründerfamilien.
