Am Sonntag wurde in Winterthur demonstriert. Für Frieden, Neutralität, Souveränität und Freiheit. Der sogenannte «Freiluft-Kongress» wurde durchgeführt.
Die Organisatoren: das Verfassungsbündnis Schweiz unter Leitung von Urs Hans, Landwirt aus Turbenthal und ehemaliger Kantonsrat (parteilos).
Das Ziel: Eine «breite Palette von in den Mainstream-Medien kaum gehörten Fakten» zum Ukraine-Krieg zu präsentieren.
Der Stargast: Ken Jebsen alias Kayvan Soufi-Siavash.
Und dann war da noch die Gegendemo: «No Nazis, no AFD, no Trychler: Winti bleibt stabil.»
Urs Hans kommt aus dem linken Spektrum. So wurde er 2020 aus der Grünen Partei herausgeworfen, weil er während der Pandemie Verschwörungstheorien verbreitet hatte.
Momentan beschäftigt er sich aber mit dem Ukraine-Krieg. Genauer: der Kritik an dessen Darstellung in den westlichen Medien. Er scheut sich nicht, das Narrativ des Kremls zu übernehmen, wonach der Westen die Schuld am Krieg trage.
Mittlerweile wird dem ehemaligen Politiker der Grünen vorgeworfen, dass er mit dem ganz rechten Spektrum sympathisiere und dieses auch anspreche mit seinen Demos. Denn bei Corona-Massnahmen-Demos, die Hans während der letzten Jahre organisierte, war fast immer mit dabei: die Junge Tat. Er grenzt sich allerdings von diesem Vorwurf ab. Gegenüber dem Landboten erklärt er, wer ihn kenne, wisse, dass er mit Rechtsextremismus nichts am Hut habe.
Item: Corona sollte am Sonntag nicht der Aufhänger für die Kundgebung sein. Diesmal war es der Krieg in der Ukraine. Eingeladen waren weder Nazis noch «andere Linksextreme».
Unsere Kundgebung gilt es zu schützen. Nazis und andere Linksextreme sind nicht eingeladen. pic.twitter.com/Bjpd8AVAWt
— Verfassungsbündnis Schweiz (@VB_Schweiz) May 4, 2023
Das Verfassungsbündnis Schweiz plante am vergangenen Sonntag also einen grossen Umzug. An der Spitze des Umzuges hätten die Freiheitstrychler laufen sollen. Mit ihren Kuhglocken und Sennenhemden sind sie zum Symbol für die Corona-Skeptiker geworden.
Sowieso tummelt sich am Sonntag in Winterthur ein ähnliches Publikum wie bei den Corona-Massnahmen-Demos, die Hans in der Vergangenheit organisierte. Rund 250 Menschen haben an der Kundgebung teilgenommen, sagt die Polizei. Hans spricht von bis zu 700 Menschen.
Der Neumarkt – wo die Kundgebung stattfand – war von allen Seiten eingezäunt. Menschen wurden nur nach prüfendem Blick durchgelassen. Rund um den Stadtpark postierten sich weitere Polizisten. Ein Durchkommen war kaum möglich.
Kurz nach 12 Uhr trafen die Freiheitstrychler dann endlich ein. Sie wurden durch ein eigenes, offizielles Sicherheitsteam begleitet. Doch auch sie waren schon zahlreicher erschienen. Das war auch schon fast der gesamte Aufritt der Trychler. Zu einem Umzug kam es schlussendlich nicht. Um 12.30 Uhr sagte es Organisator Urs Hans seinen Mitstreitern in der Altstadt. Man habe sich aus Sicherheitsgründen gegen einen Umzug entschieden.
Und so wurde der «Freiluft-Kongress» zu einer unfreiwilligen geschlossenen Gesellschaft mit ein paar hundert Verschworenen, die hier ihr Wiedersehen feiern. Man kennt sich ja. Dazu gab es Pizza und Dosenbier.
Auf den «Freilufts-Kongress» wurde auch die linksextreme Seite aufmerksam – obwohl sie explizit nicht erwünscht waren. Sie riefen zur Gegendemonstration auf. Unter dem Motto: «Gemeinsam gegen Rechts!»
Nach den Demos gegen die Corona-Massnahmen hätte die gleiche Klientel jetzt mit dem Krieg in der Ukraine ein neues Thema gefunden, hiess es in einem Aufruf. Weiter hiess es im Vorfeld: An der Rednerliste sei die rassistische und antisemitische Ausrichtung klar zu erkennen.
Und so versammelten sich die Gegendemonstrierenden am Sonntag im Stadtpark. Auf diese Gegendemo war die Polizei vorbereitet: Kurz vor 13 Uhr fuhr die Polizei am Sonntag mit einem Wasserwerfer vor und kesselte die Menschen ein. Doch anstatt Steine zu werfen, machten die Demonstrierenden Yoga. Die Polizei brachte den Yogis Wasser in PET-Flaschen und eine Toilette.
Kurz nach 16 Uhr konnte die letzte Person den Polizeikessel im Stadtgarten verlassen. Die Polizeikontrolle lief gesittet ab. Wie viele Personen kontrolliert wurden, ist noch nicht ganz klar.
Der Wasserwerfer kam nicht zum Einsatz.
Der wahrscheinlich umstrittenste Redner, den das Verfassungsbündnis Schweiz eingeladen hatte, war Kayvan Soufi-Siavash. Besser bekannt als Ken Jebsen.
Der Deutsche gilt als Verschwörungsideologe. Mit seinem Youtube-Kanal KenFM erreichte der ehemalige Radiomoderator während der Pandemie zeitweise Millionen von Menschen. Er sprach auf grossen Querdenker-Demos in Deutschland und nannte die Massnahmen zu Bekämpfung der Pandemie ein «Gehorsamkeitsexperiment».
Jebsen verbreitet aber nicht erst seit der Pandemie Verschwörungserzählungen. 9/11 nannte er einst eine «Terrorlüge». Der preisgekrönte Podcast «Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?» zeichnete seinen Werdegang detailliert nach.
Auch am Sonntag zog er seine übliche Show ab: Ganz in Schwarz gekleidet, sprach er auf der Bühne – wie immer – schnell und am liebsten über öffentlich-rechtliche Medien und die USA. Doch seine Rede bekam teils nur zögerlichen Applaus. Laut dem «Landboten» entstanden unangenehme Stillen während künstlichen Applaus-Pausen.
Am Tag zuvor hielt der Verschwörungsideologe einen Vortrag im Raum Zürich. Der etwas kryptische Titel: «Angst essen Freiheit auf!» Die Beschreibung der Veranstaltung lautet auf Eventfrog:
Wo der Vortrag genau stattgefunden hat, wurde nicht öffentlich gemacht. Der einzige Hinweis: in einem Hotel im Raum Zürich. Videos zufolge war der Raum gut gefüllt.
Ken Jebsen hält zur Zeit einen Vortrag im Raum Zürich
— die Betonmalerinnen (@farbundbeton) May 6, 2023
Der Raum scheint dem Video zufolge gut gefüllt zu sein.
Das ist sehr bedenklich. pic.twitter.com/MsOgOjqwrh
Und so ging auch dieser etwas andere Sonntag in Winterthur zu Ende. Friedlich.
Keine 300 Nasen sind am ersten sonnigen Sonntag dieses Jahres nach Winterthur gepilgert, um ihre Meinung ohne Ahnung Kund zu tun. Dafür wurden mit dem Neumarkt ein zentraler Platz und dazu weitere Routen in der Stadt abgesperrt.
Urs Hans soll seine nächste Querdenker-Versammlung bitte sehr weit hinten im Tösstal durchführen, wo keine Stadtbewohner eingeschränkt werden.