Nur zwei Hockey-Nationen ist seit 1970 der Aufstieg von der Bedeutungslosigkeit zur Weltspitze gelungen. Finnland und der Schweiz. Finnland hat 1988 die erste Medaille (olympisches Silber) seiner Geschichte gewonnen und 1992 in Prag erstmals WM-Edelmetall geholt (Silber). Die Schweiz gehört seit 1998 wieder dauerhaft zur höchsten WM-Gruppe. 2013 holten die Schweizer die erste Medaille (Silber) seit 1953.
Das Potenzial der Finnen mag bei 71'063 registrierten Spielerinnen und Spielern ungleich grösser sein als das der Schweiz (30'655). Aber es gibt bei beiden einen Schlüsselfaktor: Die Torhüter spielen eine zentrale Rolle.
Finnland gilt heute als das Land mit der stärksten Torhüter-Kultur. 11 der 52 Finnen, die diese Saison in der NHL gespielt haben, sind Goalies. Zum Vergleich: Von 439 NHL-Kanadiern standen lediglich 48 im Tor. Neben den Kanadiern hatten nur noch die Amerikaner mehr Goalies in der NHL (27 von 318 NHL-Spielern) als Finnland.
Bei der WM sind die finnischen Goalies Jahr für Jahr Extraklasse: Juho Olkinuora (WM-Allstar-Team 2022 und 2021), Mikko Koskinen (WM-Allstar-Team 2016) oder Pekka Rinne (2015 und 2014 bester WM-Goalie). Juho Olkinuora spielt nächste Saison für Biel, Mikko Koskinen für Lugano.
Den Aufstieg in die Weltelite verdanken wir zu einem schönen Teil den Torhütern, die in der NHL zum Zuge gekommen sind: bis 2007 David Aebischer, bis 2014 Martin Gerber und seit 2012 auch Reto Berra. David Aebischer und Martin Gerber haben den Stanley Cup gewonnen.
Wir hatten diese Saison nur noch einen NHL-Torhüter. Wobei Akira Schmid seine sechs Einsätze dem Verletzungspech seiner Konkurrenten in New Jersey verdankt: Er ist vorerst formidabel im Farmteam und Hinterbänkler in der NHL. Die Schweiz hat seit der Rückkehr von Reto Berra in die Schweiz (2018) keinen gestandenen NHL-Goalie mehr.
Seit 2013 sind 16 finnische Goalies im NHL-Draft berücksichtigt worden. Aber nur drei Schweizer: Gilles Senn, Joren van Pottelberghe und Akira Schmid. Dass die Schweiz keine NHL-Goalies mehr «produziert», hat noch keine gravierenden Folgen. Weil Leonardo Genoni in unserer National League zum Weltklassetorhüter gereift ist. Er ist ein Beispiel dafür, dass einer auch ohne NHL-Erfahrung Weltklasse werden kann.
Das bedeutet, dass im «Biotop National League» durchaus Weltklasse-Goalies reifen können. Gerade weil die Karrieren von Reto Berra und Leonardo Genoni in absehbarer Zeit auslaufen, wäre es umso wichtiger, sich in der heimischen Liga intensiv um die Hege und Pflege unserer Goalies zu kümmern. Aber unsere Klubgeneräle machen das Gegenteil.
Bei vier Ausländern pro Team wagten es die Sportchefs und Trainer bisher nur in Ausnahmefällen, eine Ausländerlizenz für einen Torhüter einzusetzen. Nun ist die Anzahl Ausländer auf sechs erhöht worden – und ab sofort vertrauen immer mehr Klubs auf ausländische Goalies: Kloten, Lugano, Ambri, die ZSC Lions und Biel haben bereits einen Ausländer als letzten Mann verpflichtet und Lausannes Ivars Punnenovs hat eine Schweizer Lizenz, aber einen lettischen Pass.
Die Ausländer sind so gut, dass sie die Nummer 1 sein werden. Unter diesen neuen Bedingungen hätte es die Karrieren von Reto Berra und Leonardo Genoni mit ziemlicher Sicherheit gar nicht gegeben.
Nächste Saison vertrauen noch Bern, Gottéron, Zug, Ajoie, Servette, die Lakers, Davos und Langnau bedingungslos auf Schweizer Goalies. Ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir vermuten: Sollte es in Bern oder Genf zur Krise kommen, werden auch dort ausländische Torhüter verpflichtet.
Die höchste finnische Liga kennt keine Ausländerbegrenzung. Aber der Durchschnittslohn in der Liga liegt bei weniger als 100'000 Euro brutto. In der Schweiz ist das durchschnittliche Salär doppelt so hoch. Die Bereitschaft, die eigenen Talente (und Goalies) zu fördern, ist schon aus wirtschaftlichen Gründen im Quadrat höher als in der Schweiz. Die ausländischen Goalies (in 7 von 16 Teams) in Finnland haben nicht die gleiche Klasse wie jene, die nächste Saison in der Schweiz engagiert sind.
Wir können noch so viel offensiven Swing und Pop zelebrieren – ohne erstklassige Goalies nützt alles nichts. Das ganze Fundament, auf dem unsere internationale Präsenz ruht, sind die zwei Veteranen Leonardo Genoni (34) und Reto Berra (35). Dieses Fundament bröckelt langsam, aber sicher. Wir hatten eigentlich bei einer WM noch nie ein Goalie-Problem. Doch das kann sich nun sehr schnell ändern.
Durch die neue Ausländerregelung, der grössten Dummheit unserer Hockeygeschichte (seit 1908), wird die Nachfolge von Leonardo Genoni und Reto Berra stark erschwert, wenn nicht gar blockiert. Bei der nun geltenden neuen Regelung wären die Karrieren von Reto Berra und Leonardo Genoni nicht möglich gewesen. Arno Del Curto holt im Sommer 2007 die beiden ZSC-Junioren nach Davos, um Jonas Hiller (wechselte in die NHL) zu ersetzen. Künftig wird in der gleichen Situation ein ausländischer Goalie verpflichtet.
Bei Feldspielern hat die ausländische Konkurrenz weniger Folgen für das Nationalteam: Die besten Schweizer haben einen Platz in ihrem Team, kommen zu genügend Eiszeit und werden durch zusätzliche Konkurrenz eher stärker. Aber die Einsatzmöglichkeiten der Goalies sind eingeschränkt: Pro Partie kann nur einer spielen.
Spätestens in zwei Jahren wird den «Reformnarren» klar, was sie angerichtet haben. Der Rückschlag auf WM-Niveau ist programmiert. Dabei könnte dieser Absturz durch eine Reduktion der Anzahl Ausländer vermieden werden. Nun gibt es den Einwand, es sei zu früh, heute schon wieder an der Ausländerregelung zu schrauben. Aber morgen könnte es zu spät sein.
Aber es wird 20 Jahre dauern, bis die Fehler korrigiert sind.