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Biel auf einer Mission: Weshalb ZSC auf den Ketchup-Effekt hoffen muss

Biels Spieler jubeln nach ihrem Sieg im zweiten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel am Samstag, 1. April 2023 in der Swiss Life Arena in Zueric ...
Biel schlägt den ZSC erneut und stellt die Weichen Richtung Playoff-Final.Bild: keystone
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Biel auf einer Mission: Weshalb der ZSC auf den Ketchup-Effekt hoffen muss

Biels Künstler sind auf einer Mission. Die ZSC-Profis arbeiten vorbildlich und sind offensiv doch chancenlos. Biel gewinnt in Zürich 4:0 und führt im Halbfinal 2:0. Nun ist der Ketchup-Effekt die grösste ZSC-Hoffnung und eine Frage lautet: Rumpelt es am Montag?
02.04.2023, 09:5402.04.2023, 12:54
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Ist Biel klar besser als die ZSC Lions? Nein. Die Resultate – 1:0 im ersten, nun 4:0 im zweiten Spiel – lassen es zwar vermuten. Aber die Differenz ist hockeytechnisch minim. Um diese starken ZSC Lions in Schach zu halten, braucht es das beste Biel der Playoffgeschichte.

Die Differenz machen in dieser zweiten Partie in erster Linie die Kunst und die Emotionen. Was ist Kunst? Statistisch wird diese Kunst nicht erfassbar. Sie ist nur von oben auf der Tribüne ersichtlich und basiert auf einer Regel, die so alt ist wie das Eishockey: Der Puck ist schneller als der schnellste Spieler.

Biel gegen die ZSC Lions ist auch ein wenig ein Kampf der Kulturen.

Bei den ZSC Lions neigt jeder Einzelne dazu, mit dem Puck am Stock ein paar Sekundenbruchteile zu lange zu laufen und das Abspiel zu verzögern. Dadurch wird dieses unberechenbare Spiel für den Gegner ein bisschen berechenbarer und die Produktivität sinkt. Das offensive Versagen der ZSC Lions: kein Tor in der ersten Halbfinalpartie in Biel (0:1) und nun im zweiten Halbfinalspiel erneut kein Treffer (0:4).

Biel gegen die ZSC Lions ist auch ein wenig ein Kampf der Kulturen. Biels Eishockey lebt in lichten Momenten von der Leichtigkeit des Seins. Von der Kreativität. Vom Mut zum schnellen, direkten Spiel auch beim Lösen aus der eigenen Zone und unter Druck. Ein bisschen Tic-Tac-Toe. In Anwendung einer uralten Hockey-Weisheit: Der Puck ist immer schneller als der schnellste Spieler. Das, was man eben unter Kunst im Hockey versteht.

Zuerichs Juho Lammikko, rechts, reagiert im zweiten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel am Samstag, 1. April 2023 in der Swiss Life Arena in Zu ...
Umkämpft, aber Biel führt mit 2:0.Bild: keystone

Biel spielt Eishockey. Den ZSC Lions fehlt diese Leichtigkeit. Sie machen keine taktischen Fehler. Sie arbeiten hart. Sie dominieren diese zweite Partie mit 28:17 Torschüssen. Zusammengerechnet haben sie in diesem Halbfinal mit 54 Abschlussversuchen gegen Biel kein Tor erzielt. Aber fast zu viel guter Wille. Zu wenig Kunst. Die ZSC Lions arbeiten Eishockey.

Bis heute sind die Bieler mit ihrer Neigung zur Kunst in den Playoffs noch nie über den Halbfinal hinausgekommen. Vor einem Jahr haben sie gegen die ZSC Lions nach einer 2:0- und 3:2-Führung doch 3:4 verloren. Aber etwas ist nun anders: Die Bieler sind auf einer Mission.

Trainer Antti Törmänen ist wieder an Krebs erkrankt. Beim 1:0 am Donnerstag steht er noch an der Bande. Nun fehlt er in der zweiten Partie am Samstag. Die Mannschaft wird von seinem Assistenten Oliver David geführt und Sportchef Martin Steinegger steht dem Amerikaner zur Seite. Antti Törmänen musste sich am Freitag einer kleinen Operation unterziehen. Martin Steinegger sagt, am Samstagvormittag sei gemeinsam entschieden worden, dass Antti Törmänen zu Hause bleibt. Er habe während des Spiels über die Mitglieder des Coachingteams auf der Tribüne per SMS den Kontakt aufrechterhalten. Mit Tipps zur Taktik.

Biels Cheftrainer Antti Toaermaenen im ersten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen EHC Biel und ZSC Lions, am Donnerstag, 30. Maerz 2023, in der Tissot Arena in Biel. (KEYSTON ...
Die erneute Erkrankung von Antti Törmanen sorgt für besondere Motivation bei den Bielern.Bild: keystone

«Wir haben nicht viel verändert», sagt David. «Als Assistent habe ich mich bisher um die Verteidiger gekümmert und das habe ich auch jetzt getan.» Martin Steinegger hat von Antti Törmänen das Coaching der Stürmer übernommen. «Dabei hatte ich ein ganz grosses Ziel: Nur ja keine Strafe wegen zu vielen Spielern auf dem Eis.» Darauf habe er sich konzentriert. Es hat funktioniert. Nie ist einer zu früh aufs Eis gesprungen oder zu spät auf die Bank zurückgekehrt.

Zwei Tage vor dem Halbfinal haben die Spieler erfahren, dass Antti Törmänen wieder an Krebs erkrankt ist. Auf die Frage, ob nun jeder erst recht für den Trainer kämpfe, hatte Sportchef Martin Steinegger erklärt, er möge diese gängige Formulierung nicht so recht.

«Spieler kämpfen nicht für oder gegen einen Trainer, sondern letztlich für sich selbst.»

Die Situation berühre jeden. Es sei nicht ein Kämpfen für den Trainer. «Ich sehe das eher als Inspiration.» Also als eine ganz besondere Motivation.

Genau das ist es: eine ganz besondere Motivation. Sie führt dazu, dass die Bieler auf einer Mission sind. Das ist in der ersten Partie und eher noch stärker in dieser zweiten Partie in Zürich zu spüren. Martin Steinegger spricht nach dem zweiten Spiel in Zürich wiederholt von einer «unheimlich starken Teamleistung». Es sind die Emotionen, die die Differenz machen.

Eine alte Hockey-Weisheit sagt, Playoffs seien manchmal die Fortsetzung des Eishockeys mit anderen Mitteln. Will heissen: Provokationen gehören auch dazu. Ein Grund, warum die Bieler in der Vergangenheit noch nicht über die Halbfinals hinausgekommen sind, liegt unter vielem anderen auch darin, dass ihrer Kunst eine Prise Provokation gefehlt hat. Gibt es jetzt diese Prise? Es scheint so. ZSC-Vorkämpfer Chris Baltisberger wird kurz vor Ende des Spiels (56:57 Min.), als es 0:3 steht und alles gelaufen ist, mit einer Disziplinarstrafe für unsportliches Verhalten (10 Minuten) in die Kühlbox geschickt. Er hat sich sichtlich erregt mit den Schiedsrichtern unterhalten.

Von der Tribüne aus ist nicht ersichtlich, was da vorgefallen ist. Nach dem Spiel klärt er auf. Der neue, mit den Klubfarben bemalte Zahnschutz sei ihm herausgerissen worden. Und dann habe ein Bieler auch noch versucht, diesen Zahnschutz zu zerstören, indem er mit dem Schlittschuh drübergefahren sei.

Es ist eine ganz besondere Provokation, die mit einem Hockey-Ritual zusammenhängt: Das Klublogo bzw. die Klubfarben sind «heilig». In jeder Kabine ist auf dem Teppich in der Mitte das Klublogo eingenäht. Auch in jeder NHL-Kabine. Dieses Logo darf niemals und unter keinen Umständen betreten werden. Weder von einem Spieler noch von einem unachtsamen Besucher. Wenn nun ein Zahnschutz in den ZSC-Farben auf dem Eis liegt und ein Bieler absichtlich drüberfährt, dann ist das ein Vergehen gegen die Klubfarben. Eine unerhörte Provokation.

Der Zuercher Chris Baltisberger, links, gegen den Bieler Beat Forster, rechts, im siebten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel-Bienne im Hall ...
Chris Baltisberger steckt für üblich nicht zurück.Bild: keystone

Chris Baltisberger hat sich nach dem Spiel wieder beruhigt und er sagt: «Das gehört halt dazu.» Er wisse, wer über seinen Zahnschutz gefahren sei, will aber weiter nicht mehr darüber reden. Diese Episode zeigt uns: Biels Künstler verstehen es offenbar, ihr Spiel mit Provokationen zu würzen. Was uns zur Frage führt: Wird es nun am Montag in Biel rumpeln? Die ZSC Lions könnten nämlich schon eine Spur rauer, wilder, intensiver zur Sache gehen. Oder? Chris Baltisberger sagt, das sei so. «Aber wir müssen aufpassen, dass wir von den Bieler nicht ausgekontert werden.» Auch das ist eine Kunst: Die Emotionen, die Härte, die Provokationen richtig dosieren.

Die ZSC Lions geben nicht auf. Sie haben letzte Saison im Guten wie im Schlechten erlebt, dass es erst vorbei ist, wenn es vorbei ist: Den Viertelfinal haben sie gegen Biel nach einem 0:2 und 2:3-Rückstand in sieben Partien doch noch gewonnen. Den Final dafür nach einer 3:0-Führung gegen Zug 3:4 verloren.

Die grösste Hoffnung der Zürcher ist der «Ketchup-Effekt». Abgeleitet aus einem Alltagsphänomen, bei dem – trotz unermüdlicher Anstrengungen und zahlloser Versuche – erst lange gar nichts passiert und dann alles auf einmal aus der Ketchup-Flache herausflutscht.

55 Mal haben es die Zürcher nun in den zwei Partien gegen Biel versucht und nichts ist passiert. Sozusagen 55 Mal die Ketchup-Flasche geschüttelt. Es wäre nicht einmal ein Wunder, wenn sie am Montag auf einmal drei, vier oder gar fünf Mal ins Bieler Tor treffen würden.

Der verrückteste Goalie-Wechsel der Playoff-Geschichte?

Übrigens: Torhüterwechsel während einer Playoffserie sind bei Biel nicht neu. Im letzten Frühjahr führt Biel gegen die ZSC Lions 2:0. Im dritten Spiel in Zürich pausiert Dimitry Schikin. Mit Elien Paupe verlieren die Bieler in Zürich in der Verlängerung 0:1. In den restlichen Partien steht dann wieder der Russe im Tor.

Doch der aktuelle Goalie-Wechsel ist wohl der verrückteste der Playoffgeschichte: Harri Säteri stoppt am Donnerstag alle 27 Pucks, die auf sein Gehäuse fliegen. Biel gewinnt 1:0. Eine Regel lautet: «Never change a winning Team.» («Ändere niemals ein siegreiches Team.») Und nun steht am Samstag völlig überraschend Joren van Pottelberghe für den Finnen im Tor und die Bieler setzen sechs ausländische Feldspieler ein.

Biels Torhueter Joren Van Pottelberghe im zweiten Eishockey Playoff Halbfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und dem EHC Biel am Samstag, 1. April 2023 in der Swiss Life Arena in Zuer ...
Abgebrüht: Biels zweiter erster Torhüter Joren van Pottelberghe.Bild: keystone

Noch nie ist ein Torhüter nach einer so starken Leistung, wie sie Harri Säteri gezeigt hat, während einer Playoffserie ohne Not auf die Tribüne gesetzt worden. Sportchef Martin Steinegger erklärt die ungewöhnliche Massnahme. In diesem Halbfinal gebe es zwischen den ersten vier Partien nur je einen Ruhetag. «Wir haben bereits vor dem Halbfinal entschieden, dass wir mit Harri beginnen und im zweiten Spiel Joren einsetzen werden.» Man habe zwei sehr starke Goalies und so die Möglichkeit, die Energien besser zu verwalten.

Die Rechnung ist aufgegangen. Auch Joren van Pottelberghe hat alle Abschlussversuche der Zürcher vereitelt. Auch er hat grandios gehalten. In dieser Form könnte er sogar bei der WM unsere Nummer 1 sein. Ungewöhnlich auch: Obwohl schon vor dem Halbfinal entschieden worden ist, ihn im zweiten Spiel einzusetzen, hat er erst am Matchtag erfahren, dass er spielen wird. «Das ist für ihn kein Problem», sagt Martin Steinegger. Joren van Pottelberghe sei mental stark und immer bereit für einen Einsatz.

Nun ist vorgesehen, dass am Montag wieder Harri Säteri im Tor steht.

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quelle: keystone / ennio leanza
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ironiker
02.04.2023 11:15registriert Juli 2018
Ist Biel klar besser als die ZSC Lions? Nein.

Nach dem lesen der Ersten neun Wörter wusste ich: Einer mehr welcher die Leistung der Bieler nicht angemessen würdigt.

Der SCB war besser und hat sich selber geschlagen. Der ZSC ist besser, und daran sich selber zu schlagen.

Es gibt für so viele "Experten" tausend Gründe, warum der Gegner verloren, aber keinen warum Biel gewonnen hat.
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egemek
02.04.2023 10:30registriert Mai 2016
Also ich habe gestern keine starken Lions gesehen. Das kann natürlich an einem noch stärkeren EHCB gelegen haben, aber ich fand nicht, dass das Resultat zu hoch war.

Biel hat extrem gute Chancen auf den ersten Finaleinzug und natürlich auch für mehr, sie dürfen nun einfach nicht nervös werden.
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N. Y. P.
02.04.2023 12:04registriert August 2018
Ist Biel klar besser als die ZSC Lions? Nein.

Äh, was?

Ich steh grad auf dem Schlauch. Aber item. Weil Biel auf eine ganz smarte Weise den Z "alt" aussehen liess, hat der Eismeister das Gefühl, dass es nur damit zu tun hat, weil Biel Eishockey spielt.

Ich finde, man sieht selten, dass eine Mannschaft schlicht keine Ideen mehr hat, was sie noch machen könnte.

Mir gefällt, mit welcher Demut Biel zur Zeit unterwegs ist. Mit 2 Versicherungen zwischen den Pfosten.
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