Darf man eine alt Bundesrätin als «Huhn» titulieren? Mit dieser Frage müssen sich vielleicht bald die Richter auseinandersetzen. Der Solothurner Nationalrat Christian Imark benutzte diesen Ausdruck, nachdem er sich über ein Interview mit Ex-Energieministerin Doris Leuthard aufgeregt hatte. Sie hatte in der «Schweiz am Wochenende» den Atomausstieg verteidigt und gesagt, neue Atomkraftwerke seien unrealistisch. Denn erstens gebe es keine Investoren, die einen Bau finanzieren würden. Und zweitens sei die Endlagerung radioaktiver Abfälle nach wie vor ungelöst.
«Ein Huhn ist auch nach ihrem Rücktritt ein Huhn!!!», schrieb Imark dazu auf Facebook. Leuthard beklage sich, dass niemand in eine Technologie investieren wolle, die sie selbst verboten habe. Das sei ein Fehlentscheid gewesen, den das Volk korrigieren müsse. Der Solothurner Nationalrat gehört zu den Urhebern der Blackout-Initiative, die genau das erreichen möchte.
Leuthard reagiert nun ihrerseits auf Imarks Äusserung. In der Politik müsse man einiges aushalten, teilte sie dem SVP-Mann mit. Aber er habe eine Grenze überschritten. «Ich erwarte von Ihnen eine Entschuldigung innert drei Tagen. Ich behalte mir zudem rechtliche Schritte vor», heisst es im Mail, das CH Media vorliegt. Die Aargauerin, die 2017 die Volksabstimmung zum Atomausstieg gewann, begründet ihre Forderung damit, dass Imarks Beleidigung persönlichkeitsverletzend sei.
Liegt Leuthard, die selber Juristin ist, mit dieser Einschätzung richtig? Ja, antwortet Medienanwalt Matthias Schwaibold. Er war viele Jahre für das Medienhaus Ringier («Blick») tätig und lehrt Medienrecht an der Universität St.Gallen. Er sagt:
Christian Imark denkt aber nicht daran, Leuthards Forderung nachzukommen. «Ich habe nicht im Sinn, mich zu entschuldigen», sagt er. «So schlimm ist meine Aussage auch wieder nicht. Meines Erachtens wurde keine Grenze überschritten.» Ihn hätten die Aussagen der «Schattenenergieministerin» gejuckt, zumal diese nicht zufällig gekommen seien: In Kürze werde der Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative im Parlament behandelt. Leuthards «Einmischung» sei darum klar politisch motiviert.
Allerdings: Die alt Bundesrätin machte die Aussagen nicht von sich aus, sondern weil die «Schweiz am Wochenende» Leuthard im Rahmen eines Interviews zu einem Award auf das Thema AKW angesprochen hatte.
Medienrechtler Schwaibold hält es für richtig, dass Leuthard eine Entschuldigung verlangt. Bekommt sie diese nicht, würde er ihr aber von einer Klage abraten. Obwohl «Huhn» grundsätzlich justiziabel sei, bestünde ein erhebliches Risiko, dass Leuthard vor Gericht verlieren würde. Denn: «Politisch exponierte Leute müssen sich mehr gefallen lassen als andere.» Imarks Aussage sei in einem politischen Zusammenhang gefallen. Ausserdem sei Imark schlau genug gewesen, «Huhn» ohne Adjektiv (wie etwa «dummes Huhn») zu versehen. Hinzu komme, dass Imark parlamentarische Immunität geniesse. Wie der Fall Glarner/Arslan gezeigt habe, dauere das Verfahren für eine allfällige Aufhebung der Immunität sehr lange.
Leuthards Ultimatum läuft am Freitag ab. Danach wird sich zeigen, ob sie mit juristischen Schritten Ernst macht.