
Das letzte Spiel der Dorfmannschaften? Ambris Lhotak und Bastl kämpfen mit Langnaus Gerber um die Scheibe. Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg
Beinahe unbemerkt vom grossen Publikum zieht im Windschatten der Playoffs ein veritables Drama herauf. Haben wir in der NLA bereits das letzte Spiel der Geschichte zwischen zwei Dorfmannschaften gesehen?
18.03.2017, 11:0318.03.2017, 13:38
SCL Tigers gegen den HC Ambri-Piotta. Am letzten Donnerstag sind diese beiden Dorfmannschaften zum letzten Mal in dieser Saison gegeneinander angetreten. Vielleicht war es auf diesem Niveau sogar das letzte Mal in der Geschichte. Ein vergessenes historisches Ereignis: Ambri steckt in Abstiegsgefahr.
Im Dorf wird Eishockey nur noch in Langnau und in Ambri auf höchster nationaler Ebene gespielt. In zwei der wirtschaftlich schwächsten Regionen der Schweiz. Das obere Emmental gilt als Leventina der Deutschschweiz. In Zürich sind die Löhne um 30 Prozent höher. Und doch haben sich diese zwei Dorfclubs in der obersten Liga gehalten. Weil sie ein Stück Kultur geworden sind. In Langnau noch stärker als in Ambri.

Ambri gewinnt am Donnerstagabend gegen die SCL Tigers in der Verlängerung.Bild: PPR
Die SCL Tigers sind längst definitiv gerettet und Ambri muss in die Playouts. Es geht für beide Teams um rein gar nichts mehr. Es ist einfach ein Spiel. Und trotzdem sind 5'489 (!) Menschen herbeigeeilt. In Kloten, im grössten Ballungsraum der Schweiz, kommen bei gleicher Ausgangslage tausend weniger.
Eishockey unabhängig vom Erfolg als kulturelles Ereignis inszenieren – niemand in Europa macht das so gut wie Langnau. Deshalb ist es gelungen, für 30 Millionen den Hockey-Tempel rundum zu erneuern. 15 Millionen sind mit einer stimmbürgerlichen Zustimmung von über 70 Prozent der dörflichen Steuerkasse entnommen worden. 15 Millionen hat Präsident Peter Jakob beigesteuert. Nun können sich die Emmentaler im Profihockey behaupten wie das Gallische Dorf von Asterix im römischen Reich. Sie werden diese Saison zum vierten Mal hintereinander schwarze Zahlen schreiben. Wirtschaftlich ist nur noch der SCB erfolgreicher.
Auch der Mythos Ambri lebt. Aber immer mehr entrückt dieser Mythos der unerbittlichen Realität. Der Stadionneubau ist nach wie vor nicht über das Planungsstadium hinausgekommen. 15 Millionen aus den leventinischen Steuerkassen? 15 Millionen aus der Privatschatulle von Präsident Filippo Lombardi? Undenkbar.
Aber ohne neues Stadion verliert Ambri nach und nach die wirtschaftliche Grundlage und eine Wiederkehr wie in Langnau wäre nach einer Relegation nicht mehr möglich. Wie lange können und wollen ein paar Männer mit abgeschlossener Vermögensbildung Jahr für Jahr siebenstellige Summen spenden?

Die «Pista la Valascia»: Gegen Lugano erstrahlt das 1959 erbaute Stadion in vollem Glanz.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS
Am nächsten Dienstag beginnen für Ambri die Playouts gegen Gottéron. Im Falle einer Niederlage folgt die Liga-Qualifikation gegen Langenthal oder die Lakers. Langenthal hat mit Jeff Campbell seinen besten Einzelspieler verloren. Wenn Ambri gegen die Lakers um den letzten NLA-Platz spielen muss, dann drohen Abstieg, Untergang und ein Weiterleben nur noch in den Geschichtsbüchern.
Aber kehren wir zum womöglich historischen letzten Spiel zweier Dorfmannschaften vom letzten Donnerstag zurück. Ambris Sympathiebonus ist enorm. Niemand empfindet ob Ambris Not Schadenfreude. Niemand schmäht Ambri. Der Gästesektor ist nur spärlich besetzt. Das verlorene Häufchen, es mögen 50 oder 60 Hockeyseelen sein, erinnert an versprengte, traurige Zugvögel, die im Herbst den Abflug nach Süden verpasst haben. Ambri siegt in der Verlängerung 4:3. Die letzten Mohikaner in Blau und Weiss intonieren, wie es der Brauch ist, ihre wunderbare Siegeshymne «La Montanara». Der Gesang vermag sich gegen den Geräuschpegel im Hockeytempel nicht durchzusetzen. Da wird einem das Herz schwer.
Ein paar Zaungästen ist bewusst, dass es das letzte Spiel zwischen zwei Dorfclubs sein könnte. Ein Mitarbeiter des staatstragenden Fernsehens filmt die Einlaufzeremonie mit dem Smartphone und sagt: «Wer weiss, vielleicht ist es ja tatsächlich das letzte Mal. Ich kann dann sagen und beweisen: ich war da. Und vielleicht hören wir zum letzten Mal, wie «Chrige» die Namen der Ambri-Spieler ausspricht.» «Chrige» ist Christine Nyfeler, seit 36 Jahren Stadionsprecherin. Sie hat längst Kultstatus.
Nun erwachen die Sprüchemacher und ziehen den TV-Mann auf. Vielleicht werde er ja dereinst in eine TV-Kultursendung eingeladen, um dem staunenden TV-Publikum von seinen Erlebnissen zu erzählen. Um zu bezeugen, dass es in Ambri tatsächlich einen Hockeyclub gegeben hat. Um als Zeitzeuge davon zu erzählen, wie einst Marco Polo über seine sagenhaften Reisen nach China.

Der nachdenkliche Blick von Headcoach Gordie Dwye. Liegt die Zukunft von Ambri in der NLB?Bild: KEYSTONE/TI-PRESS
Nie mehr Langnau gegen Ambri in der NLA? Das kann, will, mag sich eigentlich niemand vorstellen. Und doch kommt eine seltsame, zwischendurch fast feierliche Stimmung auf. Nirgendwo wissen die Menschen besser als im Emmental, wie schnell und wie tief Hockeyhelden stürzen können. Langnau musste zweimal gar in die 1. Liga absteigen und der letzte Abstieg aus der NLA im Frühjahr 2013, besiegelt am gleichen Tag, an dem der SCB Meister wurde, ist noch allen in frischer Erinnerung.
Nach der Partie ist es in den Katakomben vor Ambris Kabinentüre beinahe still. Kein Gedränge. Keiner der bekannten Polemiker aus dem Tessin hat die Mannschaft auf der langen Reise ennet den Gotthard begleitet. Ein ausführliches Interview macht nur der freundliche Chronist der «Gazetta Dell’ Ambri». Sozusagen der Herold der letzten Aufrechten. Der HC Lugano mit seinem ruhmreichen Viertelfinal-Feldzug gegen die ZSC Lions beansprucht alle mediale Aufmerksamkeit.
Ist Ambri wirklich abstiegsgefährdet? Solche bedeutungslosen Spiele sagen nichts mehr aus über die Krisenfestigkeit eines Teams. Die Frage geht stellvertretend an Michael Ngoy, Ambris Verteidiger, der im letzten Sommer ausgerechnet von Gottéron gekommen ist. Er kennt also den Playout-Gegner und ist deshalb optimistisch. «Bei Gottéron gibt es nur himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt.» Wenn es gelinge, dass erste Spiel in Fribourg zu gewinnen, dann werde Gottéron wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Aber es kann eben auch sein, dass Gottéron dieses erste Spiel gewinnen wird.
Was, wenn Ambri in dieser entscheidenden Phase das Glück verlässt? Die alten Emmentaler sagen: Wenn dir das Unglück im Nacken sitzt, beisst dich der Hund auch hoch oben auf dem Bockwägeli.
Ambri absteigen? Wir müssen das Undenkbare denken.
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quelle: keystone / fabrice coffrini
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