Der Wettbewerb heisst zwar «Continental Cup 2000», ausgespielt wird er aber bis am 28. Dezember 1999. Und wie schon im Vorjahr lässt sich am Ende der HC Ambri-Piotta die Trophäe überreichen. Die Leventiner schaffen dabei Historisches: Nie hat ein europäisches Team innert eines Jahres drei kontinentale Titel gewonnen. Neben den zwei Continental-Cup-Siegen gewinnt Ambri dazwischen auch den Supercup gegen Europa-Hockey-League-Sieger Metallurg Magnitogorsk.
Der IIHF Continental Cup, den es auch heute noch gibt, geniesst damals einen guten Ruf. Nach dem Doppelschlag von Ambri holen auch die ZSC Lions zweimal hintereinander den Titel. Seit Einführung der Champions Hockey League hat es das Turnier aber schwer und die Landesmeister der europäischen Topligen nehmen schon lange nicht mehr teil. Schweizer Teams sind seit der Saison 2006/07 keine mehr dabei.
Die «Biancoblu» qualifizieren sich damals beim Halbfinal-Turnier in der Heimat gegen Reims HC (3:4), HDD Olimpija Ljubljana (5:3) und den VEU Feldkirch (9:2) für das Finalturnier in Berlin. Dort spielt der Schweizer Vertreter am 26. Dezember 2:2 gegen die Eisbären Berlin und am 27. Dezember wird Ak Bars Kasan mit 7:3 besiegt. Jetzt ist klar: Ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen HKM Zvolen und der Pott geht wieder ins Tessin.
Mit dem Shorthander von Manuele Celio zum 3:1 sind die Weichen schon im ersten Drittel gestellt. Ein Pauli Jaks in Hochform mit einer Fangquote von 92,24 Prozent tut sein Übriges zum 7:3-Erfolg. Trainer Larry Huras wird nach der Partie sagen: «Wir hatten alle drei Spiele über jeweils 60 Minuten auf sehr hohem Niveau gespielt und uns im Gegensatz zur Meisterschaft keine schwächeren Spielphasen geleistet.»
Präsident Emilio Juri jubelt nicht nur wegen der 60'000-Franken-Prämie: «Dieser Titelgewinn ist noch höher als der erste Continental-Cup-Sieg einzustufen. Schliesslich blieben wir diesmal ungeschlagen und gewannen unangefochten.»
Tatsächlich ist der Sieg zum Abschluss so unangefochten, dass die Ambri-Hymne «La Montanara» schon ab dem zweiten Drittel aus den Lautsprechern des Sportforums im ehemaligen Ost-Berlin erklingt. Rund 500 Ambri-Fans sind dabei und stimmen ein.
So schön der Moment war, dass die Hymne auch ausserhalb der Schweiz gespielt wurde, so weit war das legendäre Lied davon entfernt, so eindringlich zu klingen wie in der Heimat. Es gibt keine Hymne, die mehr wärmt als «La Montanara» in der bitterkalten, baufälligen Valascia-Halle. Da konnte der eisige Talwind noch so unablässig durch das Stadion im Dorf zischen. Dort, weit oben in der Leventina, wo in den Wintermonaten wochenlang kein Sonnenstrahl das Stadion erreicht – es hat wohl kein kälteres Eishockeystadion auf der ganzen Welt gegeben.
Wenn die Curva Sud im Stadion mit 7000 Zuschauern aber zum Sieg die Hymne anstimmte, war alles vergessen und die kahle Halle verwandelte sich in einen Hockey-Tempel der Leidenschaft. Im «Bündner Tagblatt» bezeichnete Marc Melcher die Valascia einst als «Heimat der Gänsehaut». Eismeister Klaus Zaugg sagt: «Es gibt in der Eishockeywelt keine grössere Freude für Auge und Ohr als ‹La Montanara› – auch nicht in der NHL.»
Es sind aber nicht nur Beobachter, welche beim «Lied der Berge» ins Schwärmen geraten. Arosas Goalie Andy Jorns – zuvor selbst einmal Spieler der «Biancoblu» – gab im Ambri-Buch zu, dass er einmal unter seiner Maske laut mit den Heimfans mitsang, als die Hymne beim Stand von 2:6 schon während der Partie erklang und er eigentlich gerade eine sehr bittere Pleite kassierte.
Wann genau «La Montanara» zu Ambri fand, ist nicht überliefert. Zum Kultklub gehört sie seit Jahrzehnten. Der Italiener Toni Ortelli komponierte das Lied 1927 auf 1800 Metern über Meer auf dem Pian della Mussa im Piemont. An einem schönen Sommertag im Juli habe er «eine göttliche Eingebung gehabt», wie er beteuerte. Die Worte und Melodie seien einfach aus ihm herausgesprudelt.
Nirgends hörte sich das Lied aber schöner an als an einem eiskalten Abend in der alten Valascia. Am besten noch, wenn gerade der reiche Erzrivale aus Lugano besiegt wurde. Dann sangen jeweils tausende Kehlen inbrünstig mit.
Es ist mit «La Montanara» so wie mit «You'll Never Walk Alone»: Auch jener Song ist an der Anfield Road am eindrücklichsten. Ambri-Legende Paolo Duca erklärte schon vor Jahren: «Das musst du erlebt haben. Allein dafür lohnt sich alles.»