Zwei Szenen erklären uns die Qualitäten der Schweizer.
Erstens: Die deutsche Abwehr ist ausgespielt. Wir sehen, wie ein Verteidiger und Torhüter Philipp Grubauer durch die Luft fliegen. Im verzweifelten Versuch zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Nico Hischier trifft in der 17. Minute cool zum 2:0.
Die Schweizer sind spielerisch eine Klasse besser und dominieren den Gegner im ersten Drittel mit 12:5 Abschlüssen. Sie tanzen bis weit ins zweite Drittel hinein. Sie zelebrieren leichtes, lüpfiges Schönwetter- und Sonntagshockey. Gegen die Deutschen! Sie sind einem Kantersieg näher als einem Drama.
Zweitens: Aus der Gala ist inzwischen längst ein Drama geworden. Die Schweizer führen seit Dominik Kahuns Powerplay-Anschlusstor in der 32. Minute nur noch 2:1. Die Deutschen haben Torhüter Philipp Grubauer durch einen sechsten Feldspieler ersetzt. Gottérons Leitwolf Christoph Bertschy (er hat in Unterzahl bereits das 1:0 erzielt) wirft sich in die Schussbahn des Pucks. Das Spiel läuft weiter. Er rappelt sich auf, kommt wieder an den Puck, läuft davon und trifft 58 Sekunden vor Schluss ins leere Gehäuse zum 3:1.
Die Schweizer sind kämpferisch besser und mental robuster als die Deutschen! Was mit typisch helvetischen Qualitäten – mit Tempo und Technik begonnen worden ist, wird nun mit deutschen Qualitäten – Selbstvertrauen, Zähigkeit, Mut und Kampfkraft – vollendet.
Zwischen der Gala der ersten Phase und dem Drama des letzten Drittels kehren die Dämonen der Vergangenheit zurück: Die Schweizer werden nach dem 2:0 leichtsinnig, unkonzentriert, als ob sie schon vom Halbfinal träumen würden. Andrea Glauser fährt John-Jason Peterka über den Haufen und kassiert zwei Minuten, die zum einzigen Gegentreffer führen. Eine ehrenhafte Strafe.
Aber der Ausschluss wegen zu vielen Spielern auf dem Eis und die Bestrafung von Sven Senteler – er stoppt seine Aktion mit der Schlusssirene nicht und erzielt noch das 3:1, das natürlich nicht zählt – sind Zeichen einer Nachlässigkeit, die sich auf diesem Niveau fatal auswirken können.
Das letzte Drittel beginnt also mit einem Powerplay der Deutschen. Diese letzten 20 Minuten werden die längsten, dramatischsten der Neuzeit. Es geht nicht nur um den Einzug in den Halbfinal. Es geht um viel mehr: Geben die Schweizer ein Spiel aus eigenem Verschulden ausgerechnet gegen Deutschland noch aus den Händen, dann wird Patrick Fischer den Schwefelgeruch des Versagens nicht mehr aus den Kleidern bringen.
Mit dem besten WM-Team der Neuzeit ausgerechnet gegen Deutschland ein Spiel verlieren, das nach allen hockeytechnischen Erkenntnissen nicht verloren gehen kann – es wäre die Grossmutter, die Mutter und die Tante aller Pleiten.
Patrick Fischer und seine Mannschaft halten diesem maximalen Druck stand. Sie frieren im Schlussdrittel unter der Regie von Roman Josi das Spiel ein (nur 4:5 Torschüsse) und «verwalten» die 2:1-Führung, als seien sie Schweden oder Finnen. Bei 5 gegen 5 Feldspieler kassieren sie erneut keinen Gegentreffer. Dieses Spiel bringt erneut die perfekte Kombination aus Magie und Maloche. Aus Spielkunst und hart erarbeitetem defensiven Beton.
Es ist der bisher grösste Sieg für den Nationaltrainer.
Es freut mich sehr, dass sie nun nach einer Medaille greifen können (bitte nicht Leder!).