Oft wird vergessen, dass grosse Sportgeneräle ihre grössten Triumphe oft erst nach einer Phase heftigster öffentlicher Kritik gefeiert haben. Dazu zwei Beispiele:
Fussball-WM 1998. Der französische Nationaltrainer Aimé Jacquet sieht sich von allem Anfang seiner Amtszeit einer heftigen Kampagne ausgesetzt. Ausgerechnet die Zeitung «L’Equipe», die wohl berühmteste Sportzeitung der Welt und Frankreichs «Sport-Bibel» fordert vor allem wegen seiner taktischen Ausrichtung seine Absetzung. Mit ihm sei die WM im eigenen Land verloren.
Aimé Jacquet bleibt im Amt und gewinnt mit Frankreich 1998 die Fussball-WM. Bis heute einer der grössten sportlichen Triumphe in der Geschichte Frankreichs. Aimé Jacquet hat seinen Kritikern nie verziehen und sich noch Jahre später geweigert, mit einem Vertreter der «L’Equipe» zu reden.
Fussball-WM 1982. Nach drei Unentschieden (gegen Polen, Peru und Kamerun) ist die Kritik an den Italienern heftig. Verbandspräsident Antonio Matarrese erklärt öffentlich: «Diese Mannschaft ist eine Schande. Ich möchte in die Kabine gehen und jeden in den Hintern treten.»
Kritisiert wird nicht nur die taktische Ausrichtung. Nationalcoach Enzo Bearzot wird auch das Festhalten am Stürmerstar Paolo Rossi vorgeworfen. Der ist in einen Wettskandal verstrickt und vor der WM völlig ausser Form.
In dieser Situation verordnet Enzo Bearzot während der WM einen Presse-Boykott. Der Begriff «Silenzio Stampa» ist geboren. Nur noch Torhüter Dino Zoff gibt Auskunft. Er erinnert sich: «Die Dinge waren aus dem Ruder gelaufen. Jede Medienkonferenz wurde zur Gerichtsverhandlung.» Die Italiener werden 1982 Weltmeister und die entscheidenden Tore erzielt …Paolo Rossi.
In beiden Fällen – Frankreich 1998 und Italien 1982 - hat die Kritik letztlich eine positive Auswirkung. Ja, vielleicht wären diese Triumphe unter normalen Umständen gar nicht möglich gewesen. Die Mannschaften rauften sich nach dem Motto «Wir gegen den Rest der Welt» zusammen, wurden eine verschworene Einheit und stellten sich hinter den Trainer. Entscheidend war, dass die Trainer nach innen klug kommunizierten und die Spieler für sich gewannen.
Ein etwas weniger krasses Beispiel gibt es aus dem Schweizer Eishockey. Nationaltrainer Sean Simpson sieht sich währen der WM 2012 einer heftigen Kampagne des Boulevard ausgesetzt. Nach dem Verpassen der Viertelfinals erst recht. Seine Absetzung wird gefordert. Er bleibt im Amt und führt die Schweiz ein Jahr später 2013 in Stockholm ins WM-Finale. Die erste Medaille seit 1953.
Und nun Patrick Fischer. Auch er ist, wie Aimé Jacquet und Enzo Bearzot, wegen seiner taktischen Ausrichtung nach der missglückten WM 2016 und dem Fehlstart zur WM 2017 nicht zu Unrecht kritisiert worden («Pausenplatz-Hockey»). Die Polemik war allerdings bei weitem nicht so heftig wie 1998 in Frankreich und 1982 in Italien.
Patrick Fischer hat in diesen Tagen hier in Paris in ähnlich reagiert wie einst Aimé Jacquet und Enzo Bearzot. Zwar nicht gleich mit einer «Silenzio Stampa». Aber am letzten Donnerstag erklärt er in einer offiziellen Medienkonferenz, er werde mit einem einzelnen Kritiker nicht mehr reden.
Wie Aimé Jacquet und Enzo Bearzot hat der charismatische Kommunikator die Spieler hinter sich. Nun ist ihm mit dem Sieg gegen Kanada (3:2 n.V) der erste grosse Sieg gelungen. Noch ist es nicht der finale Triumph, der WM-Titel (oder zumindest eine Medaille). Noch steht er nicht auf Augenhöhe mit Aimé Jacquet oder Enzo Bearzot.
Aber mit dem Sieg gegen Kanada hat Patrick Fischer einen ersten, grossen Schritt vom glücklosen Bandenoberst zum charismatischen Bandengeneral gemacht. An diesem Erfolg wird er künftig gemessen. Wer eine Mannschaft führt, die Kanada zu besiegen vermag, von dem darf erwartet werden, dass er dafür sorgt, dass gegen Slowenien und Frankreich keine Punkte verschenkt werden.
Diamanten entstehen unter Druck. Nur wer den Pulverdampf der Kritik aushält, kann ein Grosser werden. In der weich gepolsterten Sänfte der Schmeichelei, der Huldigung, der Beweihräucherung und der Anbiederung ist noch keiner zu einem sportlichen Triumph geschaukelt worden.