Im November, wenn die Sonne immer früher hinter den Jurabergen versinkt, ist im Spiel der Bieler eine leise Melancholie zu spüren. November-Krise wäre ein zu starkes Wort. Aber im November hat Biel in den letzten zehn Jahren nur einmal mehr Spiele gewonnen als verloren. Warum? Die einfachste Erklärung: Der Schwung, die Dynamik, die Durchschlagskraft des hoch entwickelten Bieler Spiels lassen ein wenig nach. Das «Bieler Tagblatt» hat für diese Zeit einmal eine wunderbare Formulierung gefunden: «Krise ohne Krisenstimmung». Ein 0:8 in Davos und ein 1:3 in Genf sind eben noch keine Krise. Sie zeigen nur diese leise sportliche Melancholie, die Ende Oktober, Anfang November über den abgeernteten Feldern des Berner Seelandes aufsteigt und um die Fabrikhallen der Stadt schleicht.
Ein SC Bern, so wie er einmal war, hätte dieses Derby problemlos gewonnen. Aber der SCB ist auf dem Weg zurück zu sportlicher Respektabilität nach wie vor nicht ganz trocken hinter den Ohren. Der Ausgleich (1:1 / 26. Minute) durch den einsamen Leitwolf Tristan Scherwey war kein Stich ins Selbstvertrauen der Bieler wie sonst so oft in spätherbstlichen Partien. Und nicht die Wende.
Als in der Schlussphase die Ärmel hochgekrempelt werden und die spielerischen Schneckentänze den rauen, direkten Bemühungen um eine Entscheidung weichen, also ausgerechnet in der Phase, in der einst den SCB-Gegnern die Stunde schlug, ist der SCB völlig chancenlos. Obwohl mit Luca Cunti einer der wichtigsten Stürmer schon seit der Startphase fehlt (Oberschenkelprellung nach Zusammenstoss mit Mika Henauer), führen die Bieler die Entscheidung herbei, als sei das die selbstverständlichste Sache des Tages.
Wenn der Puck nicht den Weg der Stadtberner gehen will, haben sie Mühe und es scheint, als sei fast nur Tristan Scherwey dazu in der Lage, den Puck auf einen anderen Weg zu zwingen.
Aber das ist nur die sportliche Momentaufnahme des Tages, in die wir nicht zu viel hineininterpretieren sollten. Hingegen zeigt dieser Abend noch etwas, was für den SCB viel beunruhigender sein müsste als drei verlorene Punkte, die sowieso bald nur noch statistischen Wert haben werden. Biel hat inzwischen die bessere Hockeykultur.
Worin zeigt sich diese Hockey-Kultur? Durch die Art und Weise, wie in Biel Hockey zelebriert wird. Beispielsweise in der Würdigung der Karriere von Kultcaptain Mathieu Tschantré (37), immer in Biel und in den letzten 13 Jahren Captain. Zum ersten Mal in dieser Saison ist die Arena bis auf den letzten Platz gefüllt.
Eine gute Viertelstunde dauert die Zeremonie und am Ende werden die Scheinwerfer auf sein Dress mit der Nummer 12 gerichtet, das nun unter dem Dach des Stadions hängt. Die mit Musik untermalten Bilder aus seiner Karriere auf dem grossen Video-Würfel, die paar Worte einstiger Mitspieler, die seine Karriere mit einer kurzen Video-Botschaft würdigen – unter anderem Sébastien Bordeleau aus Montréal und Kevin Schläpfer aus Langenthal – sein Auftritt auf dem Eis, sein Dank ans Publikum und seine einstigen Mitspieler, wie er daran denkt, auch Olivier Anken zu erwähnen, Biels ewiger Goalie, der auch im Stadion ist – das alles berührt die Seele. Das ist wahre Hockeykultur. Das steht für die ganz besondere familiäre Atmosphäre, die so typisch ist für den EHC Biel.
Diese Kultur ist eben nicht nur geprägt durch längst vergangene meisterliche Triumphe aus dem letzten Jahrhundert. In dieser Kultur wohnt auch die Depression eines langen sportlichen und wirtschaftlichen Abstieges in einem Lotterstadion und der schwierige Weg zurück aus den Tiefen der Zweitklassigkeit und der Schulden ans Licht der finanziellen Stabilität und der sportlichen Konkurrenzfähigkeit in einem der schönsten Hockeytempel Europas. Das bedeutet: Die Bieler sind nie arrogant. Sie definieren sich nicht über Siege und Titel. Sie definieren sich über ihre Hockeykultur. Wir spielen Hockey, also sind wir. Im Zentrum steht immer diese Leidenschaft für das Spiel. Mit der Sportabteilung Schindluderei zu treiben ist völlig undenkbar.
Dass diese Zeremonie ausgerechnet vor der Partie gegen den SC Bern übers Eis geht, mag Zufall sein. Es ist jedenfalls eine Lektion für den SCB, die mehr unter die Haut geht als die Niederlage auf dem Eis. Der SCB ist nicht mehr dazu in der Lage, eine solche Zeremonie durchzuführen. Dafür hat das Management das Gespür verloren. Wer will, kann das sogar optisch erkennen: In keinem anderen Stadion der Welt werden die Leibchen der Helden aus der Vergangenheit so schäbig präsentiert wie in Bern. Sie hängen unter dem Dach wie vergessene Wäschestücke.
Obwohl es in Bern niemand mehr hören mag – es muss noch einmal gesagt sein. Weil es für den SCB existenziell ist. Weil in Biel bei diesem Derby die Differenz zwischen dem, was Zukunft ist und eine Hockeykultur ausmacht, und dem, was in Bern passiert ist, auf Berner Boden noch selten so eindrücklich zu sehen und zu spüren war.
Ein paar Jahre haben genügt, um die SCB-Kultur zu verändern und die Geschichte zu vergessen. Der SCB ist im letzten Jahrhundert auferstanden aus den Ruinen des Abstieges und der Nachlassstundung. 20 Jahre wirtschaftliche Stabilität und drei Titel in vier Jahren haben zu einer in unserem Hockey selten erlebten Arroganz und sportlichen Misswirtschaft geführt.
Der SCB hat sich nur noch über seine sportlichen Erfolge und nicht mehr über seine wahren Werte, über seine Kultur definiert und dabei vergessen, alles für diese sportlichen Werte zu tun. Deshalb ist es nicht mehr möglich, das Stadion zu füllen. Deshalb ist der SCB in die grösste sportliche Krise des Jahrhunderts gerutscht. Deshalb hat der SCB inzwischen so grosse Schwierigkeiten. Darum ist der SCB bei der neuen Spielergeneration nicht mehr eine der ersten Adressen unseres Hockeys.
Gegenwart und Zukunft im Berner Hockey finden in Biel statt. Nicht mehr in Bern. Das ist die grosse Herausforderung für Obersportchef und SCB-Kronprinz Raeto Raffainer.
Mike Künzle (27) ist nach seinem Wechsel von den ZSC Lions zu Biel in drei Jahren zu einem der besten Powerstürmer der Liga gereift und an einem guten Abend ist die Linie mit Damien Brunner, Luca Cunti und Mike Künzle die beste Schweizer Formation der Liga. Sein Vertrag läuft Ende Saison aus. Auch der SCB hat sich für den Titanen (193 cm / 95 kg). Aber Untersportchef Andrew Ebbett sagt: «Wir haben sehr schnell gespürt, dass er Biel eigentlich gar nicht verlassen will.» Sehr ähnliche Aussagen haben in den letzten Wochen auch andere Sportchefs und sogar sein Agent gemacht. Damit ist klar: Mike Künzle bleibt in Biel und die Frage ist nur noch, ob sein Vertrag um mehr als zwei Jahre verlängert wird. Biels Sportchef Martin Steinegger bestätigt: «Wir hatten sehr gute Gespräche und ich denke, dass wir in den nächsten Tagen zu einer Einigung kommen.»
Langnaus Sportchef Marc Eichmann ist auf der Suche nach Verteidigern, die Wasserverdrängung haben und seine Lotterabwehr stabilisieren können. Er bemüht sich deshalb um die Rückkehr von Claudio Cadonau (33). Der Zürcher ist im Herbst seiner Karriere in Langnau doch noch zum NL-Verteidiger gereift und hat in den letzten zwei Jahren in Zug die Pensionskasse geäufnet. Sein Vertrag läuft aus und wenn ihm Zug keine Verlängerung zu den bisherigen Bedingungen offeriert – warum dann nicht zurück ins Emmental?
Noch vor ein paar Jahren wechselte, wer ein Angebot von Bern bekam in die Hauptstadt. Mittlerweile hat sich das total geändert, wie auch das Beispiel Cunti zeigt. Diese Liste kann man beliebig verlängern.
Mittlerweile sind Bern und auch Lausanne Clubs, die hohe Löhne zahlen müssen, dass sich trotzdem Personal rekrutieren lässt.
Wer auch andere Werte auch schätzt, wird sein Glück bei anderen Clubs finden.