Wiederholt sich die Geschichte von 2019 und 2022? Oder doch nicht? Die Parallelen sind erstaunlich und je nach Sichtweise beunruhigend oder hoffnungsvoll.
Der Blick zurück. Etwas langweilig, fürs Verständnis jedoch hilfreich. Aber es ist auch möglich, diese langweilige Erklärpassage auszulassen und weiter unten ab dem achten Abschnitt weiterzulesen. Wo es etwas polemischer wird.
Also: 2019 führt Biel gegen den SCB im Halbfinal erst 2:0, dann 3:2, braucht noch einen Sieg für den Final – und scheidet aus. Vor einem Jahr führt Biel gegen die ZSC Lions im Viertelfinal erst 2:0, dann 3:2, braucht noch einen Sieg für den Halbfinal – und scheidet aus.
Nun haben wir wieder die gleiche Situation. Zumindest auf den ersten Blick. Biel führt gegen den SCB im Viertelfinal erst 2:0, jetzt 3:2 und braucht noch einen Sieg für den Halbfinal. Für den ersten Playoff-Triumph der Geschichte über den SCB. Statistisch ist es tatsächlich eine Wiederholung der Geschichte. Alle Vorteile beim SCB. Das Undenkbare ist nicht mehr das Weiterkommen der Stadtberner. Das Undenkbare ist ein Triumph der Bieler.
Aber etwas ist anders. Biel ist ein Spitzenteam geworden (zweite Qualifikation) und hat im Unterschied zu 2019 und 2022 Heimvorteil. 2019 und 2022 gelingt der dritte Sieg auswärts in Bern (2:0) bzw. in Zürich (3:1). Den vierten Sieg und das Weiterkommen verpassen die Bieler mit einem Sturmlauf auf eigenem Eis (0:1 gegen den SCB, 1:3 gegen die ZSC Lions). Sie zerbrechen an diesen Niederlagen, verlieren Mut, Tapferkeit und Zuversicht und gehen in der siebten Partie auswärts sang- und klanglos unter: 1:5 in Bern, 1:3 in Zürich.
Der Unterschied zu den Dramen der Vergangenheit: Nun hat Biel den dritten Sieg auf eigenem Eis geholt. Nicht mit einem Sturmlauf. Sondern bei einem Minus im Torschussverhältnis mit realistischem Playoff-Hockey. Wir können es so sagen: Auswärts ist den Bielern 2019 und 2022 eine realistische Spielweise von einem dominanten Gegner aufgezwungen worden. Eine Spielweise, die nicht der DNA ihrer Kultur entspricht. Viel schwieriger ist es, auf eigenem Eis realistisch mit dem Rechenschieber zu spielen. Genau das ist Biel am Donnerstag beim 3:1 gegen den SCB zum ersten Mal gelungen. Fliegen konnten die Bieler schon lange. Das ist ihr Stil. Ihre Spielkultur. Nun sind sie taktisch erstmals zu Fuss gegangen.
Es gibt im Eishockey eine defensive Spielweise. Aber eigentlich kein Rechenschieber-Hockey. Dieses unberechenbare Spiel wird auf einer rutschigen Fläche gespielt. Spielkontrolle und -verwaltung werden – anders als beim Fussball auf griffigem Rasen – viel mehr durch Zufälligkeiten erschwert. Aber am Freitag haben wir in Biel Minuten der meisterhaften Spielkontrolle und -verwaltung erlebt. Rar wie eine Sonnenfinsternis. Ein ganz besonderes Erlebnis. Für einen Hockey-Liebhaber ähnlich wie für einen Forscher, der nach Jahren auf einmal eine neue Tiergattung entdeckt.
Berns glückloser Vorkämpfer Tristan Scherwey bringt Biels Torhüter Harri Säteri zu Fall. Über die Zwei-Minuten-Strafe regt er sich so sehr auf, dass er auf der Strafbank bei seiner Unmutsäusserung völlig unabsichtlich einem Funktionär eine blutende Kopfwunde zufügt. Die beiden versöhnen, ja verbrüdern sich natürlich sofort. So nach dem Motto: Hockey ist halt ein raues Spiel. Es ist der Auftakt zu einem Kuriosum. Die Uhr zeigt 56 Minuten und 59 Sekunden an. Der SCB liegt 1:2 im Rückstand. Die Aufholjagd muss unterbrochen werden. Biel hat die Möglichkeit, mit einem Mann mehr den entscheidenden dritten Treffer zu erzwingen.
Aber die Bieler spielen defensives Powerplay. Sie tragen zum Puck Sorge wie zu einem rohen Ei, lassen ihn in der SCB-Verteidigungszone aussen herum zirkulieren. Die Zeit wird im Powerplay heruntergespielt. Die Rechnung geht auf. Der dritten Treffer fällt ins leere Tor. Als die Berner schon wieder vollzählig sind.
Trainer Antti Törmänen bestätigt hinterher dieses defensive Powerplay. «Wenn wir mit aller Kraft den Abschluss gesucht hätten, wäre die Gefahr eines Konters gross gewesen. Deshalb haben wir uns darauf konzentriert, die Zeit herunterzuspielen.» Yannick Rathgeb bestätigt die defensive Absicht im Powerplay ebenfalls. Das will wahrlich etwas heissen. Als fliegender Verteidiger ist er die Personifizierung der fliegenden Bieler Spielkultur.
Dieser Realismus in Zeiten der Playoffs auf eigenem Eis ist der Unterschied zu 2019 und 2022. Fliegend sind die Bieler 2019 und 2022 nicht weitergekommen. Vielleicht schaffen sie es nun zu Fuss.
Antti Törmänen war bereits 2019 und 2022 Biels Trainer. Welche Differenz zum Drama von 2019 gegen den SCB sieht er abgesehen vom Heimvorteil (ein siebtes Spiel wäre, wenn erforderlich, auf eigenem Eis)? Er weiss einen Unterschied und zögert. Wohlwissend, dass jede Aussage eines Trainers den Gegner aufstacheln kann. Aber schliesslich sagt er: «Der Torhüter.»
Es ist eine kluge, eine sybillinische Antwort. Der Ausdruck sybillinisch geht auf die Prophetin Sibylle zurück. Sie weissagte im alten Griechenland die Zukunft stets doppeldeutig und ist so zum Mythos geworden. Der grosse Michelangelo hat sie sogar in der sixtinischen Kapelle verewigt.
Antti Törmänens Antwort ist geradezu ein Klassiker einer sybillinischen Antwort. Wenn er sagt: «Der Torhüter», dann lässt er nämlich offen, wen er meint. Geht es um SCB-Goalie Philip Wüthrich, der bei aller Tapferkeit noch nicht auf Augenhöhe mit Leonardo Genoni, dem mehrfachen SCB-Goalie im Drama von 2019, steht? Antti Törmänens Aussage kann also heissen: Der SCB hat einen weniger guten Torhüter als 2019. Aber das ist eine höchst polemische Interpretation.
Aber es ist ebenso gut möglich, dass er seinen eigenen Torhüter meint: Harri Säteri. Die Antwort kann also auch heissen: Biel hat den besseren Goalie als 2019. Eigentlich eine völlig unpolemische Aussage. Harri Säteri ist Weltmeister und Olympiasieger. Biel hatte noch nie in seiner Geschichte (seit 1939) einen Weltmeister und Olympiaseiger als Rückhalt. Aber 2019 hatte Biel den teuersten und berühmtesten Torhüter seiner Geschichte, wegen seiner NHL-Vergangenheit wohl noch berühmter als Oliver Anken: Jonas Hiller.
Harri Säteri 2023 besser als Jonas Hiller 2019? Harri Säteri besser als Philip Wüthrich? Wir kehren zurück zur ewigen Wahrheit des Hockeys: Die beste Taktik ist nutzlos, wenn der Gegner den besseren Goalie hat. Die Torhüter entscheiden das bernische Playoff-Drama.
Der Stock berührt den Funtionär nicht mal! Auf dem Video auf Blick .ch ist ab 1:00 klar ersichtlich, dass er ihn unmöglich getroffen haben kann, da beim Schwung des Schlägers zwischen Kopf und Schaufel mind. 1 Meter Abstand besteht. Der Funtionär hat einen Oskar für den besten "sterbenden Schan" verdient.
Und wo man hier eine blutende Kopfwunde sehen kann, weiss wohl nur Herr Zaugg. Der Funktionär hielt sich nach dem angeblichen Stockschlag mit schmerzverzerrtem Gesicht die Stirn. Dieses Bild ist nach dem "Vorfall"