Langnaus Sportchef Pascal Müller ist schon seit dem letzten Jahrhundert dabei. Als Spieler und in verschiedenen Bürojobs. Aber so etwas habe er noch nie erlebt. «Wir haben den Bus bestiegen, um zu einem Testspiel zu fahren und wir stehen schon unter maximalem Druck. Stell Dir vor, es ist August und du darfst ein Testspiel – ein Testspiel! – unter gar keinen Umständen verlieren.»
Die SCL Tigers haben 19 der letzten 20 Meisterschaftspartien und alle vier Testspiele für die neue Saison verloren und einen miserablen Eindruck hinterlassen. Nun stand am letzten Donnerstag das Kräftemessen in der Sauna Schoren (das uralte Stadion hat keinerlei Wärmeisolierung) gegen den übermächtigen SC Langenthal bevor, der mit nur einem Ausländer auskommen musste. Eine Niederlage hätte bereits im August unabsehbare Folgen, für den neuen Sportchef und den neuen Trainer Thierry Paterlini gehabt.
Die Krise kann vorerst abgewendet werden: Die Langnauer feiern einen Sieg (4:3). Errungen mit Chäs und Brot. Aber Sieg ist Sieg. Punkt. Es sind die fünf eingesetzten Ausländer, die alle Tore orchestrieren (Alexandre Grenier schaut noch zu, es zwickt im Rücken). Die sechs Ausländer der Langnauer mahnen an das Orchester auf der Titanic. Es spielte unbeeindruckt auf und strahlte Ruhe und Zuversicht aus, als das Schiff längst am Sinken war.
Kapellmeister Wallace Henry Hartley hatte damals sieben Musiker um sich geschart und sein Orchester war das Einzige, was auf dem Schiff noch funktionierte. Das Bild ist nicht frivol. Es passt: Sportchef Pascal Müller hat auch sieben Männer um sich versammelt. Um den Untergang nicht bloss musikalisch zu begleiten, sondern zu verhindern: Trainer Thierry Paterlini und die sechs Ausländer. Diese acht Mann sind zurzeit so ziemlich das Einzige, das bei den SCL Tigers sportlich funktioniert.
Vorkämpfer und Leitwolf ist Harri Pesonen. Letzte Saison mit Finnland Olympiasieger und Weltmeister. Nun ist er neu auch noch Captain. Sozusagen in der Rolle wie einst Kapitän Edward John Smith auf der Titanic: Der wichtigste Mann an Bord und wie Smith, als Olympiasieger und Weltmeister einer der weltweit Besten seines Fachs.
Harri Pesonen sagt, er sei zum ersten Mal in seiner Karriere Captain eines Teams. «Der Trainer hat mich gefragt, ob ich dieses Amt übernehmen wolle.» Sein Vorgänger Pascal Berger ist abgesetzt und in den vierten Block zurückversetzt worden. Der neue Captain sagt, «das Bild vom Orchester auf der Titanic ist gar nicht so unpassend. Nun müssen wir eben den Untergang verhindern ...» Er ist ein bemerkenswert kommunikativer Finne mit Sinn, für Selbstironie und Humor.
Der Unterschied zwischen der Kabine eines Olympiasiegers und Weltmeisters zu jener eines Abstiegskandidaten, sei beträchtlich. Wobei: Er sagt nicht Abstiegskandidat. Das Wort kommt nur in der Frage des Chronisten vor. «Wenn ich weiss, dass mein Nebenmann das Richtige macht, dann kann ich mich ganz auf mein Spiel konzentrieren. Aber wenn ich spüre, dass die anderen Zweifel plagen, dann muss ich mich darum kümmern und brauche noch mehr Energie». Kümmern um seine Mitspieler muss er sich wahrhaftig: Thierry Paterlini coacht ein Team mit helvetischem Swiss League-Potenzial, verstärkt mit sechs Ausländern und einem – aber nur einem – guten Goalie.
Harri Pesonen ist mit Leib und Seele Captain und die Tigers zu Respektabilität zurückzuführen ist für ihn eine Mission. Gelegentlich stehe er in der Kabine auf und ergreife das Wort. «Aber Selbstvertrauen kann nicht mit Worten vermittelt werden. Selbstvertrauen kann niemand einem Spieler geben. Jeder muss es sich erarbeiten und ohne Erfolgserlebnis wird es schwierig». Sein Vertrag läuft Ende Saison aus und er weiss vorerst nur eines: «Ich will unbedingt in der Schweiz bleiben». Unsere Liga sei attraktiv wie nie. Weil so viele seiner Landsleute hier seien, werde es diese Saison erstmals von einzelnen Partien TV-Direktübertragungen nach Finnland geben.
Langenthal ist gebodigt worden. Der zweite Sieg in den letzten 25 Spielen. Immerhin. Trotzdem ist da und dort bereits die Trainerdiskussion aufgeflammt. Nicht intern. Aber im Dorf. Pascal Müller ist mit seinem Trainer Thierry Paterlini angetreten, um in Langnau eine neue Ära zu begründen. Nach dem Vorbild von Paolo Duca und Luca Cereda in Ambri. Er sagt, es sei unendlich schwierig, all die schlechten Gewohnheiten, die sich in den letzten zwei Jahren eingeschlichen haben, abzustellen und wieder eine Leistungskultur aufzubauen. «Wenn wir nun wieder die Trainerfrage stellen, dann werden wir die Mentalität der Spieler nie mehr ändern. Dann kapitulieren wir. Dann sind wir rettungslos verloren.»
Trainer Thierry Paterlini strahlt die Fatalität aus, die tapferen Männern vor grossen, schier unmöglichen Aufgaben eigen ist. Langnau ist sein erster Job als Bandengeneral in der höchsten Liga. Er beschönigt rein gar nichts und Ausreden bringt er keine vor. Eigentlich funktioniere noch gar nichts. Selbstvertrauen und Leichtigkeit seien noch nicht da, die für schnellen Spielfluss unerlässlich seien.
In der Tat: Die Langnauer fahren herum, als müssten sie einen Laib Emmentaler auf dem Rücken tragen. Der Schaden, den zwei Jahre ohne Abstieg bei der Leistungskultur angerichtet haben, beschert den Langnauer eine Belastungsprobe, an der sie zerbrechen können. Im nächsten Frühjahr droht in der Liga-Qualifikation der Abstieg.
Je schöner das multinationale Orchester auf der Titanic Langnau aufspielt, desto eher gelingt es, den Untergang zu vermeiden.