Vom grossen Strategen Carl von Clausewitz lernen wir: Ein noch so sorgfältig ausgearbeiteter Schlachtplan wird beim ersten Schusswechsel zur Makulatur (wertlos gewordenes Stück Papier).
Wie kommunizieren wir im Krisenfall? Kein Problem. Es gibt unzählige Gaukler und sonstige Scherenschleifer, die den verantwortungsscheuen modernen Managern für teures Geld beibringen, was man sagen soll und was nicht.
Raeto Raffainer braucht keinen dieser Berater. Der smarte HCD-Sportdirektor ist ein begabter Kommunikator und hat während seiner Tätigkeit beim Verband in diesem Bereich reichlich Erfahrungen gesammelt. Und doch hat es ihn jetzt erwischt.
Beim Verband war halt alles strukturiert (unter Präsident Michael Rindlisbacher heute ein «Bundesamt für Eishockeywesen»). Im Rahmen einer Weltmeisterschaft sind die Medienauftritte so durchorganisiert, dass sich die Gemüter in der Regel beruhigt haben, wenn den Helden des Abends die Mikrofone entgegengestreckt werden.
Im nationalen Spielbetrieb oder bei einem Turnier wie beim Spengler Cup läuft hingegen alles viel spontaner. Und die Kontrolle wird schwieriger. Zudem ist ja beim HCD soeben die Hochzeitsreise zu Ende gegangen: Bisher ist für Sportdirektor Raeto Raffainer und Trainer Christian Wohlwend in der Meisterschaft alles perfekt gelaufen. Wonne und Sonne wie auf einer Hochzeitsreise. Erst hier beim Spengler Cup hat der Alltag, der Ernst des Lebens angefangen.
Der Engadiner erzählt nicht ohne Selbstironie über sein persönliches Kommunikations-Waterloo beim Turnier. Davos hat sich bekanntlich mit einem verschenkten Sieg gegen Kanada (1:5) in eine heikle Lage gebracht und kann das riskante Pokerspiel nur mit einem Sieg im Viertelfinal rechtfertigen. Wie wir wissen, ist alles schiefgelaufen. Davos verliert gegen Turku 1:3 und scheidet aus. Die grösste Spengler Cup-Pleite seit Einführung des neuen Formates mit sechs Teams (2010).
Raeto Raffainer erzählt, er habe sich während des letzten Drittels unten in der Kabine auf die Fragen nach dem Spiel vorbereitet. «Ich habe mir ein Drehbuch zurechtgelegt. Was sind die zu erwartenden Fragen, was unsere Antworten. Was dürfen wir sagen und was nicht.» Sozusagen wie ein Carl von Clausewitz des Eishockeys.
Auf dem TV-Schirm habe er mit einem Auge das Spiel verfolgt. «Nach dem 1:2 wusste ich: so, jetzt das Krisen-Drehbuch.» Er habe nach dem Spiel sofort Trainer Christian Wohlwend zur Seite genommen und sei mit ihm das Drehbuch durchgegangen. Punkt für Punkt. Explizit habe er ihm eingeschärft, ja nichts zu den Fans zu sagen. Raeto Raffainer kennt schliesslich seinen Pappenheimer. Mehr geht nicht. So kann nichts schief gehen. Oder?
Tatsächlich stellt sich der HCD-Trainer mit einiger Verspätung (eben wegen des vorangegangenen Drehbuch-Studiums) vor der HCD-Kabine den kritischen Fragen der Chronistinnen und Chronisten. Und vergessen ist das Drehbuch. Herrlich authentisch regt sich Christian Wohlwend über die fehlende Unterstützung durch die Fans auf und stellt Ambris Anhänger als leuchtendes Beispiel hin. Wo er recht hat, da hat er recht. Das Herz ist stärker als das Drehbuch.
Hinterher habe ihm Christian Wohlwend kleinlaut gestanden, er habe halt doch etwas zu den Fans gesagt. Sozusagen der kommunikative Super-Gau, der auch sogleich einen Sturm im Wasserglas der sozialen Medien auslöst. Ein ehernes Gesetz des Sportes sagt: Lege dich niemals mit den Fans an! So etwas ist schlimmer als während des Freitagsgebetes in einer Moschee stehend laut ein Vaterunser zu beten.
Aber Raeto Raffainer hat auch für diesen Fall sein Drehbuch. «Wir werden auf unsere Fans zugehen und die Sache besprechen.» Und er profitiert davon, dass die klassischen HCD-Fans den Spengler Cup seit Jahren boykottieren. Weil sie das Turnier als Kommerz-Spektakel verachten. Sie müssten ja für den Besuch dieser Spiele viel Geld ausgeben. Also galt ja Christian Wohlwends Kritik gar nicht den wahren HCD-Fans.
Beim Treffen mit den Fans (der Termin steht natürlich noch nicht fest und Raeto Raffainer muss ja auch da noch ein Drehbuch schreiben) werde Christian Wohlwend natürlich auch dabei sein.
Und vor den Fans muss sich der temperamentvolle HCD-Trainer sowieso nicht an ein Drehbuch halten. Er darf sein Herzen reden lassen. Darauf dürfen sich die eingefleischten HCD-Anhänger jetzt schon freuen: Der wahre, der echte, der «unzensierte» Christian Wohlwend hat einen hohen Unterhaltungswert.
Das Fans den Vereinen vorschreiben wollen was sie zu tun haben werde ich nie verstehen. Die sollen Applaus klatschen und die Mannschaft unterstützen und nicht gegen den eigenen Verein poltern. Das finde ich unabhängig von Verein und Sportart.