Dem Chronisten ist aufgetragen, zu erzählen, was ist. Ohne Rücksicht auf Namen. Eine gute Gelegenheit für eine solche Erzählung ist der Berner Cup. Soeben ist das Turnier zum 6. Mal zur gleichen Zeit (im August), am gleichen Ort (in Langenthal) und mit den gleichen Teams (SCB, Biel, Langenthal) ausgespielt worden. Wenn es denn eine Vergleichsmöglichkeit gibt zwischen gestern und heut, dann hier.
Was den Chronisten interessiert: Wie steht es eigentlich um den SC Bern? Um den Titanen, der zuletzt 2016, 2017 und 2019 Meister war und dann zweimal hintereinander auf den 9. Platz abgestürzt ist.
Nach einem ersten Augenschein können wir sagen: Wahrscheinlich hat es noch nie in einem Jahr bei einem Klub einen so tiefgreifenden Wandel der sportlichen Kultur gegeben wie beim SCB. Ja, im Rückblick erscheinen die Ereignisse der letzten Saison noch bizarrer, verrückter, unglaublicher.
Erst jetzt wird offenbar, wie sehr das SCB-Management vor einem Jahr im August 2020 den Kopf verloren hatte. Wie tief das umsatzstärkste Hockeyunternehmen Europas sportlich gesunken war.
Es ist nicht so, dass die sportlichen Fehlentwicklungen vor einem Jahr nicht erkannt worden wären. Schon im August 2020 erzählen die Treusten der Treuen, die Männer, die seit Jahren als Statistiker und Helfer die Mannschaft begleiten, Männer, die sich im SCB-Fuchsbau auskennen, aber auch Spieleragenten und Spieler die unglaublichsten Geschichten über Versäumnisse, Irrtümer und Absurditäten aus der sportlichen Führung und aus dem Alltag unter Sportchefin Florence Schelling und Trainer Don Nachbaur.
Der Chronist dachte vor einem Jahr: Das kann ja gar nicht sein. Viele Erzählungen dürften wohl einfach den Wirren einer Zeit geschuldet sein, in der alles anders geworden ist. Und Marc Lüthi ist doch einer der besten Manager im Land. Er wird doch wohl den Verstand nicht verloren haben.
Da die personelle Besetzung der sportlichen Führungspositionen von Marc Lüthi vorgenommen worden ist, wagt es niemand, ihm zu erzählen, was da alles schiefläuft. So war das also beim Märchen mit dem Kaiser ohne Kleider: Niemand wagte dem Kaiser zu sagen, dass er ja nackt ist. Und im August 2020 sagt niemand dem König von Bern, dass er hockeytechnisch nackt ist.
Wir wollen hier nicht wieder alles aufrollen und Salz in die inzwischen doch gut verheilten Wunden streuen. Es ist, wie es ist: Der SCB hat durch das wohl krasseste sportliche Führungsversagen, das es in der Neuzeit in unserem Hockey gegeben hat, auf dem Eis eine und neben dem Eis zwei Saisons verloren.
Zwischenzeitlich ist der SCB in der vergangenen Spielzeit bis auf den letzten Platz abgestürzt. Was Nottrainer Mario Kogler halbwegs wieder zu korrigieren vermochte. Viel schlimmer ist: Das Transfergeschäft war zum Erliegen gekommen: Ein einziger wichtiger Spieler hat während der letzten Saison bis zur Entlassung der Sportchefin seinen Vertrag verlängert: Verteidiger Mika Henauer. Weil er in Bern studiert. Alle anderen Talente sind gegangen und André Heim, der später SCB-Topskorer in den Playoffs wird, hatte nicht einmal eine Verlängerungsofferte erhalten.
Die Rechnung für dieses Versagen muss diese Saison bezahlt werden. Der SCB steht sportlich auf dünnem Eis: Weil die alte sportliche Führung ausser Daniel Manzato nicht einen einzigen Transfer getätigt hat, ist jetzt die Kadertiefe so gering wie nie seit dem Wiederaufstieg von 1986. Inzwischen sind die Berner froh, dass sie wenigstens auf Spieler wie Christian Pinana (ich glaube, so wird der Name geschrieben) oder Yannick Hänggi zurückgreifen können. Beide hätten unter Kari Jalonen nicht einmal trainieren dürfen.
Gaëtan Haas ist zwar auch unter der neuen sportlichen Führung nicht zum SCB zurückgekehrt. Er ist nun Biels Leitwolf. Es ist auch nicht gelungen, Marco Müller nach Bern zu holen. Er hat es vorgezogen, Ambri vorzeitig Richtung Zug zu verlassen.
Aber der SCB regt sich wieder. Der Titan löst sich aus der Schockstarre. Lange war der SCB an sportlicher Führungsschwäche erkrankt, jetzt transferiert er wieder, den Hockeygöttern sei es gedankt. Aus Lugano kommt im nächsten Sommer Verteidiger Romain Loeffel und aus Genf Joël Vermin. Weitere Zuzüge sind in Arbeit. Aber eben: Auf diese Saison ist vorerst nichts zu machen.
Aber die Normalisierung des sportlichen Alltages unter Raeto Raffainer und Andrew Ebbett wirkt sich bereits wohltuend auf die ganze Organisation aus. Der SCB ist ein Sportunternehmen und die Sportabteilung strahlt auf die ganze Firma aus.
Was auffällt: Die Verkrampfung löst sich. Die teilweise schnoddrige Arroganz der letzten Saison, die aus der Verunsicherung kam, weicht der freundlichen Bodenständigkeit, dem ruhigen Selbstvertrauen, die dem Wesen des wahren SCB entsprechen.
Vor allem: Anders als vor einem Jahr hat der SCB nun im August mit Johan Lundskog (36) einen richtigen Trainer. Der Chronist war freundlich und hat im August 2020 gute Worte für Don Nachbaur gefunden. Er wollte die Erzählungen über sein wirres Wirken nicht glauben und dachte: Der SCB, der grosse, der mächtige, stellt doch nicht einen Clown an die Bande.
Aber Don Nachbaur war ein hockeytechnischer Clown. Freundlich, liebenswert, lustig – aber hockeytechnisch lächerlich. Die Mannschaft ist so letzte Saison vorübergehend für ein paar Wochen zur ersten Zirkus-Artistengruppe der Welt geworden, die von einem Clown geführt wurde.
Der neue Trainer Johan Lundskog ist kein Clown. Hat es je einen so krassen Wechsel an einer Bande gegeben wie den von Don Nachbaur zu Johan Lundskog? Nein.
Der SCB ist zwar die erste Stelle des Schweden als Cheftrainer. Aber er hat sich als Assistent in Schweden, in Kanada, in den USA und zuletzt während zweier Jahre in Davos umfassend gebildet.
Ein junger, temperamentvoller Trainer mit einer grossen Zukunft. Ein bisschen ein «Nerd» wie Arno Del Curto, aber nicht ganz so extrem und ohne den für Hockeytrainer typischen Hang zur Paranoia. Ein taktischer Lehrmeister, aber nicht so schablonenbesessen wie Kari Jalonen. Kommunikativ geradlinig. Der erste schwedische Bandengeneral der SCB-Geschichte ist ein Trainer, der weiss, was er will.
Und wie wirkt sich das auf dem Eis aus? Der Unterschied ist in diesen Tagen erst in einer Rückkehr zur Normalisierung im Umfeld zu spüren. In Bern sorgten in den letzten zwei Jahren vier Coaches (Jalonen, Kossmann, Nachbaur, Kogler) in der Kabine für ein babylonisches taktisches Gewirr. Nun stehen die Chancen gut, dass Johann Lundskog seinen Zweijahresvertrag erfüllen wird.
Auf dem Eis sind noch keine grossen Veränderungen im Vergleich zum August 2020 feststellbar. Vor einem Jahr hatte sich die meisterliche Ordnung von Kari Jalonen noch nicht ganz aufgelöst. Und jetzt ist es Johann Lundskog halt noch nicht gelungen, seine Vorstellungen schon durchzusetzen. Der SCB befindet sich noch im Niemandsland zwischen alter und neuer spielerischer Ordnung.
Der neue Trainer strebt ein aktiveres, aggressiveres Spiel an, das der wahren SCB-DNA ohnehin eher entspricht als taktischer Schablonismus. Die Mannschaft hat nicht mehr genug Talent, um die Liga taktisch zu dominieren. Der neue Trainer muss eine neue taktische Identität entwickeln.
Das müsste eigentlich gelingen. Der Schwede sagt, er habe noch nie Spieler mit einer so professionellen Einstellung erlebt wie jetzt in Bern. Auf die Nachfrage des Chronisten, er habe doch in Schweden und zuletzt in Davos gearbeitet und dort sei das Niveau des Professionalismus auch sehr hoch, bleibt er bei der Aussage. Die Arbeitseinstellung der Spieler (Berner Art – die Red.) sei ein riesiges Kapital.
In zwei Spielen haben wir diese Woche beim Berner Cup in Langenthal gesehen, was vom SCB in der neuen Saison zu erwarten ist. Im Halbfinal gegen den SC Langenthal (5:3) und im Final gegen die SCL Tigers (5:3). Wie im Vorjahr gewann der SCB das Turnier.
Phasenweise ist bereits der neue SCB zu sehen. Direkter Zug aufs Tor, gute Auslösungen, bissiges Forechecking und gute Ordnung in der eigenen Zone. Aber zwischendurch fallen die Spieler in die alten Gewohnheiten des Schablonenhockeys zurück, werden passiv und dann bekommen die SCL Tigers und im Halbfinal sogar die Langenthaler Oberwasser. Am Ende reicht es in beiden Partien zum Sieg, weil der SCB einfach in der Summe mehr Talent und im Final den viel besseren Goalie hat.
Noch ist der SCB sportlich ein taumelnder Titan im Niemandsland zwischen Schablonenhockey und modernem, aktivem Tempohockey. Bis die Umstellung auf die neue Zeit geglückt ist, wird es noch eine Weile dauern. Aber sie wird gelingen und es wäre fatal, den SCB zu unterschätzen.
Und die SCL Tigers? Nach einer Saison mit «Rudolf-Steiner-Hockey» – jeder nach seiner Art, das Talent eines jeden wird geduldig und behutsam gefördert und alles ohne Zwang oder Noten-, Leistungs- und Resultatdruck – sind die Emmentaler zum Wettkampfsport zurückgekehrt. Der fesche Jason O’Leary – einer wie Chris McSorley – ersetzt den freundlichen Rikard Franzen. Die Langnauer kopieren Ambri: Sie versuchen es mit bissigem Tempohockey: Scheibe und Gegner werden gejagt. Es ist der Versuch, fehlendes Talent durch Energie und Laufarbeit zu kompensieren.
Bis das funktioniert, wird es eine Weile dauern. Aber in lichten Phasen gelingt es bereits. Zeitweise wird der SCB überrannt. Aber wenn sich der Gegner formiert und kontert, tun sich in der Abwehr «schwarze Löcher» auf – um ein Wort der Weltraumsprache zu verwenden. Und die bange Frage ist: Werden die Emmentaler genug Energie haben, um dieses neue, spektakuläre Hockey so durchzuziehen wie Ambri oder Davos? Und sind ihre Füsse überhaupt schnell genug?
Gut für Langnau, dass eine fähige sportliche Führung unter Marc Eichmann im Rahmen ihrer beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten gut transferiert hat. Wäre Langnau letzte Saison im sportlichen Bereich so geführt worden wie der SCB, dann wären die Emmentaler sportlich auf das Niveau der MySports League geschrumpft.
So gesehen gibt es erstaunliche Parallelen zwischen den SCL Tigers und dem SCB. Beide sind auf gutem Wege. Aber beide stecken noch im Niemandsland zwischen zwei Hockeyphilosophie, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischen den Zeiten und den Systemen fest.
Freue mich auf die Saison
Entweder ist der neue Übungsleiter DER Stern am Trainerhimmel und wird die Einshockey-Landkarte in der Schweiz drastisch verändern, oder der Chronist hat sich halt wieder mal vertippt.