SVP-Regierungsrat warnt vor Verschärfung für Ukraine-Geflüchtete
Der Aargauer SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Auch wenn sie der Haltung seiner Partei widerspricht. Das war schon in der Coronapandemie so – und zeigt sich nun auch bei den Ukraine-Flüchtlingen.
Als «realitätsfern und nicht praxistauglich» bezeichnet der Aargauer Gesundheits- und Sozialvorsteher das Vorhaben des Bundes, die Ukraine künftig in sichere und nicht sichere Gebiete zu unterteilen.
Wer aus einem als sicher definierten Gebiet kommt, soll keinen Anspruch mehr auf den Schutzstatus S haben. Die Forderung stammt von seiner Parteikollegin Esther Friedli, Ständerätin aus St.Gallen. Bereits im Parlament war sie heftig umstritten. «Es gibt keine sicheren Gebiete in der Ukraine», sagte Justizminister Beat Jans in der Debatte. Doch er fand damit kein Gehör. SVP und FDP setzten sich durch, woraufhin sich der Bund an die Umsetzung machen musste.
«Unter dem Strich bringt Verschärfung nichts»
Die Verschärfung dürfte bereits Ende Jahr in Kraft treten. Nun regt sich allerdings heftiger Widerstand in einigen Kantonen. Bis Ende vergangener Woche hatten die Kantonsregierungen Zeit, Stellung zu den geplanten Änderungen zu beziehen. CH Media liegen erste Rückmeldungen vor.
Mehrere Kantone äussern grosse Bedenken gegenüber dem Vorhaben, künftig zwischen sicheren und unsicheren Regionen in der Ukraine zu unterscheiden. Die Baselbieter Regierung warnt beispielsweise, dass die Regelung mehr Probleme als Lösungen schaffen würde, unter anderem mehr administrativen Aufwand.
«Unter dem Strich bewirkt die Verschärfung nichts, ausser einer Verstopfung des Asylsystems», glaubt auch Gallati. Würde ein Teil der Ukraine-Geflüchteten künftig ein Asylgesuch stellen müssen, hiesse das, dass zuerst einmal der Bund für deren Unterbringung zuständig wäre.
Forderung: Bund soll sich der Umsetzung verweigern
Es sei absehbar, dass der Bund rasch an seine Grenzen stossen würde und die Kantone einspringen müssten. Doch dort sei die Situation nach wie vor angespannt, sagt Gallati. Im Aargauer Asylwesen gilt seit zweieinhalb Jahren der Notstand. Das Beispiel Norwegen zeige zudem, dass die Massnahme überhaupt nichts bringe. Es ist das einzige europäische Land, das zwischen sicheren und unsicheren Gebieten in der Ukraine unterscheidet. An der Anzahl Ukrainer im Land habe sich kaum etwas geändert, so Gallati.
Der SVP-Politiker kritisiert die Änderung aber auch ganz generell: «Zu behaupten, in der Ukraine gäbe es sichere Gebiete, ist fast schon zynisch.» Er fordert den Bund darum auf, den Vorstoss von Esther Friedli nicht umzusetzen.
Andere Kantone wollen noch weiter gehen
Auch Hilfswerke und jene, die in den Kantonen und Gemeinden für die Integration von Geflüchteten zuständig sind, lehnen die Verschärfung ab. Die Liste der sicheren Gebiete müsste ständig angepasst werden, geben die Integrationsverantwortlichen zu bedenken. Halte man daran fest, müsse man «zwingend» eine Ausnahme für den Familiennachzug schaffen.
Es gibt aber auch Kantone, die die Verschärfung nicht nur befürworten, sondern denen sie sogar noch nicht weit genug geht. Die zuständigen Regierungsrätinnen und -räte von Zürich, Bern und Luzern fordern, dass die neue Regelung auch auf Ukrainerinnen und Ukrainer angewandt wird, die bereits in der Schweiz sind und den Schutzstatus S erhalten haben. Das würde bedeuten, dass der S-Status von Tausenden Ukrainern aufgehoben würde.
Es gehe um Gleichbehandlung, argumentiert die Luzerner Sozial- und Gesundheitsvorsteherin Michale Tschuor (Mitte) gegenüber der «NZZ am Sonntag». Auch der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) sagt, «logischerweise» müsse eine solche Regelung auch auf bereits in der Schweiz Anwesende angewandt werden. Allerdings hatte sich der Nationalrat explizit gegen diese Variante, die auch SVP-Ständerätin Friedli gefordert hatte, ausgesprochen. Nur die SVP und zwei Mitte-Nationalräte waren dafür.
Wie lange soll der Schutzstatus noch gelten?
So oder so stellt sich die Frage, wie es mit dem Schutzstatus S weitergeht. Der Bundesrat will ihn – wie die EU – bis März 2027 verlängern. Das befürworten die meisten Kantone, deren Stellungnahmen CH Media vorliegen. Doch was dann? Eine weitere Verlängerung würde bedeuten, dass viele Geflüchtete mehr als fünf Jahre in der Schweiz wären – und damit eine Aufenthaltsbewilligung beantragen könnten. Die genauen Bedingungen sind laut der Konferenz der Integrationsdelegierten aber unklar. Dies müsse man nun rasch klären. (bzbasel.ch)