Sie war – sagen wir mal beklemmend –, die Qualifikationskampagne der Schweizer Nati für die EM 2024. In einer der nominell schwächsten Gruppen resultierten für das Team von Murat Yakin gerade mal vier Siege. Es bedurfte keines Grössenwahnsinns, um im Vorfeld der Kampagne zumindest zu hoffen, dass der Gruppensieg für die Schweiz ein leichter werden würde. Nach der gestrigen Niederlage ist klar: Die Schweiz beendet die Qualifikation auf Platz zwei und vermag der Kritik an der Mannschaft und am Trainer wenig entgegenzusetzen.
Nach einem ernüchternden Abend in Bukarest dürfte ein Blick über den Rhein so manch gequälter Schweizer Fussballseele Linderung verschaffen, denn: Wir sind nicht allein mit unserer Nati-Misere. Auch in Deutschland hängt der Haussegen in der Nationalelf schief. Unser grosser Fussballnachbar ist als Gastgeber bereits für die Europameisterschaft 2024 qualifiziert. Die Auftritte der Mannschaft geben aber im Hinblick auf das Heimturnier seit längerem wenig Anlass zu Euphorie – mit der gestrigen Niederlage gegen Österreich ist beim DFB nun das Feuer im Dach.
«Deutschland ist so im Oarsch», sangen die österreichischen Fans im Ernst-Happel-Stadion in Wien, nachdem ihr Team, das sich als einer der besten Gruppenzweiten für die EM qualifiziert hat, die Deutschen mit einer 2:0-Niederlage nach Hause geschickt und noch weiter ins Elend gestürzt hat. «Alarmstufe Rot beim DFB-Team. Es ist ein geradezu verstörender Auftritt der deutschen Mannschaft», resümierte die «Frankfurter Allgemeine». «Nein! Nein! Nagelsmann! So wird das nichts mit der EM! Der Druck wird richtig gross, nein, er wird gewaltig», warnt die «Bild».
Sinnbildlich für den Zustand des deutschen Teams, das laut Nagelsmann nicht nur unter Ergebnisdruck, sondern auch unter einem «Art-und-Weise-Druck» steht, stand eine Szene in der 49. Minute: Nach einem gehässigen Zweikampf zwischen Leroy Sané und dem Österreicher Phillipp Mwene verlor Ersterer komplett die Fassung und warf Mwene grob zu Boden. Für seine Aktion sah der Deutsche die Rote Karte. In seiner Entschuldigung nach dem Spiel gab Sané zu, dass nicht etwa der Gegenspieler, sondern die Unzufriedenheit über seine eigene Leistung Grund für sein Ausraster gewesen sei.
Leroy Sane received a straight red card for this shove on Mwene. pic.twitter.com/843RJ2l4fD
— ESPN FC (@ESPNFC) November 21, 2023
Deutschland gehört – gemessen an den Turniererfolgen – eigentlich schon seit einigen Jahren nicht mehr zur Weltspitze. Vor neun Jahren krönten sich die Deutschen in Brasilien mit einem 1:0-Sieg gegen Argentinien zum Weltmeister und fügten der stolzen Seleção mit einem 1:7 eine der wohl bittersten Niederlagen der Geschichte zu. Seit diesem Triumph ging es stetig bergab – eine Übersicht.
Die letzten Auftritte der deutschen Nationalelf machten deutlich, dass vorerst keine Besserung in Sicht ist. Die Defensive gehört schon länger zu den Baustellen der Deutschen, beim 0:2 gegen Österreich machten viele unnötige Ballverluste und eine harmlose Offensive den Rest.
Dabei hätte mit dem neuen Trainer Julian Nagelsmann an der Seitenlinie alles besser werden sollen. Im Gegensatz zum Schweizerischen Fussballverband hat der DFB also bereits versucht, die Mannschaft mit einem Trainerwechsel wachzurütteln.
Doch nach vier Spielen unter Nagelsmann ist die Bilanz ernüchternd: ein Sieg gegen die USA, ein Unentschieden gegen Mexiko und zwei Niederlagen gegen die Türkei und Österreich. Klar, bei den Partien handelte es sich «nur» um Testspiele, der verunsicherten deutschen Mannschaft hätten Siege trotzdem gutgetan. Und Nagelsmann fiel gegen Österreich mit einer Unsportlichkeit auf. Als Sané gerade vom Platz geschickt wurde, signalisierte der Bundestrainer Torhüter Kevin Trapp, der schon wieder für den Abstoss bereitstand, er soll noch etwas länger eine Verletzung vortäuschen. So verschaffte sich Nagelsmann etwas zusätzliche Zeit, um weitere Anweisungen an seine Spieler zu bringen.
Julian Nagelsmann told Kevin Trapp to pretend he was injured in the game vs Austria yesterday... 😳 pic.twitter.com/Kdu0oNSXQT
— Out of Context Football Manager (@nocontextfm1) November 22, 2023
Nachdem nun drei unterschiedliche Trainer innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren (Flick übernahm für Löw, Nagelsmann übernahm für Flick) erfolglos versucht haben, in der deutschen Mannschaft die Spiellust neu zu entfachen, sind es heute vor allem die Spieler, die in den Medien kritisiert werden.
Im Hinblick auf die Europameisterschaft, die auch von der Euphorie der Gastgeberfans lebt, wäre es natürlich wünschenswert, wenn nicht nur die Schweizer Nati, sondern auch die deutsche Nationalelf aus dem Tief finden würde. Für die Schweiz – das soll auch mal gesagt sein – ist es die sechste Endrundenteilnahme in Serie und auch Deutschland hat aufgrund der automatischen Qualifikation die Möglichkeit, sich an der Heim-EM von einer besseren Seite zu zeigen.
Da Deutschland als Gastgeber im Lostopf 1 gesetzt ist, Österreich nach einer erfolgreichen Kampagne im zweiten Topf gelandet ist und sich die Schweiz nach dem verpassten Sieg gegen Rumänien im vierten und letzten Lostopf wiederfindet, wäre an der EM auch eine DACH-Gruppe möglich. Urteilt man nur nach den letzten Partien, würde der Favorit für einmal Österreich heissen.