Es ist ein spannender Sommer für Stephan Lichtsteiner. Sowohl bei Juventus Turin als auch in der Nationalmannschaft erlebt(e) er einen Trainerwechsel. Das ist im Fussball zwar ein ganz normaler Vorgang, doch für den 30-jährigen Lichtsteiner ist er selten.
Drei Jahre lang hat er in Turin mit Antonio Conte zusammengearbeitet, sogar während sechs Jahren hatte er mit Ottmar Hitzfeld den gleichen Nationaltrainer. Nun heissen seine Chefs Max Allegri und Vladimir Petkovic. «Ich hatte Glück, so lange die gleichen Trainer erlebt zu haben. Denn das bedeutet, dass wir Erfolg hatten.»
Den hatte Lichtsteiner mit der Schweiz und mit Juventus Turin zweifellos. Zwei WM-Teilnahmen unter Ottmar Hitzfeld, drei Meistertitel in Serie mit der Juve. Und immer war der Luzerner als Stammspieler dabei. Ob Hitzfeld oder Conte, ob die Schweiz oder Juventus: Die rechte Aussenbahn war das Territorium von Lichtsteiner. Er ist in Turin und in der SFV-Auswahl unbestritten.
Deshalb spricht Lichtsteiner im Nati-Camp zwar von «spannenden, neuen Herausforderungen», will aber nicht von einem Neuanfang reden. «Ganz bei Null beginnt es nicht. Es ist nicht alles neu. Was man erreicht hat, zählt weiterhin. Man hat einen Status, und der bleibt bestehen.»
Dieser Status quo betrifft nicht nur ihn, sondern Grossteile der Schweizer Mannschaft. «Es gibt nicht viel personellen Spielraum. Dazu haben wir nicht die Breite im Kader», so Lichtsteiner.
Deshalb steht vor dem ersten Spiel der Schweiz unter Petkovic am Montag zum Start in die EM-Qualifikation in Basel gegen England nicht die Frage im Raum, wer unter dem neuen Coach spielt. Es geht weniger um das Wer als um das Wie.
Spektakulär habe YB unter Petkovic gespielt, sagen sie in Bern. Modern und taktisch flexibel sei sein Lazio Rom gewesen, heisst es in Italien. Lichtsteiner spricht von Petkovic als einem Trainer, der «taktisch immer sehr gut vorbereitet» ist.
Der Verteidiger ist deshalb überzeugt, dass Petkovic der richtige Trainer ist, um das Spiel der Schweiz auf ein nächstes Level zu heben. Lichtsteiner: «Ich denke, dass wir noch 20 bis 30 Prozent besser werden können.»
Petkovic hat den Spielern in den ersten Tagen seine Ideen nahe gebracht. Lichtsteiner spricht daher oft von «proaktivem Spiel» und «präventivem Denken». An der WM habe das Umschalten nicht immer geklappt.
«Wir wollen das Offensivspiel verfeinern und die defensive Organisation nicht verlieren, wenn wir den Angriff suchen.» Denn die Schweiz sei jetzt in einer Position, «in der wir nicht immer nur verteidigen können», so Lichtsteiner.
Wenige Tage vor dem Spiel gegen England stellte er fest: «Es gibt keinen Grund, überheblich zu sein. Aber wir sind selbstbewusst.» Seine Vorgesetzten in der SFV-Auswahl haben das neue Schweizer Selbstbewusstsein in den letzten Tagen so zum Ausdruck gebracht.
«Wir sind nicht mehr die kleine Schweiz», sagte Petkovic. Und der Nationalmannschaftsdelegierte Peter Stadelmann machte die Vorgabe: «Wir wollen jetzt auch mal einen Viertelfinal erreichen.»
Solche Ziele zu formulieren, kann gefährlich sein, weil der Grad zwischen Sieg und Niederlage in den K.o.-Spielen sehr schmal ist. In Brasilien etwa entschied meist ein einziger individueller Fehler.
Im WM-Achtelfinal gegen Argentinien ist ein solcher ausgerechnet Lichtsteiner unterlaufen, als er in der 118. Minute den Ball in der eigenen Platzhälfte gegen Rodrigo Palacio verlor.
Die grossen Mannschaften lassen das Gleichgewicht auf ihre Seite kippen, indem sie in den wichtigen Momenten nicht das Falsche tun. Oder wie es Lichtsteiner sagte: «Das Niveau ist ziemlich ausgeglichen, deshalb entscheidet die Tagesform. Aber man kann daran arbeiten, dass die Tagesform am Tag X stimmt.» (si/syl)