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Arbeitsloser Trainer ohne Eile: Interview mit Murat Yakin

Yakins bislang letzter Job bei Spartak Moskau endete im Mai.
Yakins bislang letzter Job bei Spartak Moskau endete im Mai.
Bild: KEYSTONE
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Arbeitsloser Trainer Murat Yakin ohne Eile: «Die Zeit von Sommer bis jetzt habe ich unglaublich genossen.»

Einen Trainerjob hat Murat Yakin im Moment nicht. Im Interview spricht er über finanzielle Unabhängigkeit, Frauenfussball und den FC Basel. Und er erklärt, warum ein Karriereplan sinnlos ist und wieso er auf keinen Fall Bundesrat sein könnte.
16.12.2015, 07:4816.12.2015, 08:54
François Schmid-bechtel / Aargauer Zeitung
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Was darf an Weihnachten nicht fehlen?
Murat Yakin:
Bis zur Geburt meiner Tochter am 12. Dezember vom letzten Jahr habe ich Weihnachten nicht wirklich zelebriert. Auch kam die Initiative für einen Weihnachtsbaum von meiner Frau. Dieses Jahr können wir die Weihnachtszeit gemütlicher angehen. Ich spüre echt keinen Stress. Erst recht, weil ich die Geschenke schon alle besorgt habe.

Und die Tochter wird verwöhnt ohne Ende?
Ja, das gehört sich so. Kira-Victoria ist halt meine kleine Prinzessin. Interessant finde ich: Auf Spielsachen reagiert sie uninteressiert, auf Bälle hingegen mit grosser Freude.

Was, wenn Kira-Victoria später Fussball spielen will?
Da hätte ich überhaupt nichts dagegen.

Finden Sie Frauenfussball cool?
Ja. Letzthin hat Martina Voss-Tecklenburg (Trainerin der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft; die Red.) einen Vortrag über die WM in Kanada gehalten. Da war ich tief beeindruckt.

Frauen-WM in Kanada: Trainerin Voss-Tecklenburg tröstet Starspielerin Bachmann.
Frauen-WM in Kanada: Trainerin Voss-Tecklenburg tröstet Starspielerin Bachmann.
Bild: KEYSTONE

Von Voss-Tecklenburg?
Ja. Ihre Analyse, ihre Selektion, ihr taktisches Verständnis, aber auch ihre generelle Sicht auf den Fussball – das ist alles von hoher Qualität.

Würden Sie Frau Voss-Tecklenburg zutrauen, ein Männer-Team zu trainieren?
Punkto Kompetenzen hätte ich überhaupt keine Bedenken. Aber funktionieren würde es trotzdem nicht.

Warum?
Man sieht schon, wie heikel es ist, wenn eine Physiotherapeutin in der Kabine ist. Schliesslich gibt es Spieler aus Kulturen, für die es ein Problem ist, sich nackt vor einer Frau zu zeigen. Nein, das Kabinenleben muss sehr einfach sein.

Im Mai 2014 feiert Yakin als Basel-Trainer mit den FCB-Fans den Meistertitel.
Im Mai 2014 feiert Yakin als Basel-Trainer mit den FCB-Fans den Meistertitel.
Bild: Valeriano Di Domenico/freshfocus

Mit 41 sind Sie immer noch ein junger Trainer. Trotzdem blicken Sie bereits auf knapp zwei Jahre beim grössten Schweizer Klub zurück. An welchem Karrierepunkt sehen Sie sich? Geht's noch höher rauf? Oder müssen Sie sich nun neu orientieren?
Ich liebe es, das Spiel und die Spieler weiterzuentwickeln. Dabei ist die Liga nicht entscheidend. Das kann ich überall machen. Denn ich bin nicht prestigeorientiert, wie viele glauben. Nur weil ich in Basel Trainer war, ist jetzt nicht jeder andere Schweizer Klub eine Nummer zu klein für mich. Mir würde kein Zacken aus der Krone fallen, wenn ich in unteren Ligen wieder in den Fussball einsteigen würde.

Wann steigen Sie wieder ein?
Ich weiss es nicht. Die Zeit von Sommer bis jetzt habe ich unglaublich genossen. Erstmals nach zehn Jahren als Trainer konnte ich so richtig runterfahren. Vielleicht kehre ich schon auf die Rückrunde, vielleicht auch erst auf die neue Saison ins Business zurück.

Und dabei sind Sie völlig offen?
Letztes Jahr, mit Schwangerschaft und Geburt, waren wir weniger flexibel. Jetzt kann mich die Familie fast überall hin begleiten. Als Trainer muss man flexibel sein. Entscheidend ist aber, dass ich mich als Trainer verwirklichen kann.

Haben Sie sich als Trainer einen Karriereplan zurechtgelegt?
In dieser Hinsicht halte ich nichts von Planung. Muss die nächste Station immer besser sein? Und was ist besser? Mehr Lohn? Grössere Liga? Mehr Titel? Was kommt für mich als Nächstes? Die Bundesliga? Und welcher Klub? Oder hat Christian Gross geplant, mal in Saudi-Arabien zu arbeiten? Ich bin völlig offen für neue Projekte.

Frisur und Blick unverkennbar: Christian Gross in Saudi-Arabien.
Frisur und Blick unverkennbar: Christian Gross in Saudi-Arabien.
Bild: STRINGER/EPA/KEYSTONE

Was ist für Sie wertvoller: Die beiden Meistertitel mit Basel oder die Entwicklung, die beispielsweise Fabian Schär unter Ihnen gemacht hat?
Das kann man nicht vergleichen. Titel sind die Folge von guter Arbeit. Titelgewinne sind aber in Basel ein Muss. Deshalb sehnt sich das Publikum in Basel auch nach internationalen Glanzlichtern.

Was Ihnen mit zwei Siegen gegen Chelsea und dem Einzug in den Europa-League-Halbfinal gelungen ist. Trotzdem wurden Sie in Basel nur bedingt geliebt.
Meinen Fokus lege ich immer auf sportliche Ziele, nicht auf meine Person. Mein Plan lautet immer: Wie gewinnen wir das nächste Spiel. Die Erfolge in der Europa League waren eine grosse Bestätigung und Befriedigung für den Klub, die Fans und auch für mich.

Die damalige FCB-Mannschaft brauchte grosse, internationale Spiele, um an die Leistungsgrenze zu gehen. In der Liga hingegen wirkte sie häufig genügsam.
Jede Mannschaft braucht Spannung, um die Höchstleistung abzurufen. Wir hatten in Basel eine Mannschaft mit etlichen Nationalspielern, die grosse Erfolge gefeiert haben. Das war eine zusätzliche Herausforderung. Die einen Spieler konnte ich mit der Aussicht auf einen Wechsel ins Ausland kitzeln. Die anderen mit Glanzlichtern im Europacup. Aber ein Titelgewinn in der Schweiz war vor allem für die neuen Spieler ein Highlight. Es gibt aber auch Mittel des nonverbalen Spannungsaufbaus.

Einen Spieler auf die Ersatzbank zu setzen?
Das beste Beispiel ist Mohamed Salah. Am Anfang war er bei mir nicht Stammspieler. Doch er ist geduldig geblieben, hat stets eine professionelle Einstellung gezeigt und so als Einwechselspieler mit seinen Joker-Toren diverse Partien für uns entschieden. Schliesslich hat er sich den Status Stammspieler erarbeitet und folglich auch den Transfer zu Chelsea verdient.

Die aktuelle Mannschaft des FC Basel scheint pflegeleichter als jene, die Sie trainiert haben.
Ich kenne die aktuelle Mannschaft nur aus der Distanz. Deshalb kann ich mir kein Urteil erlauben. Aber glauben Sie mir: Der FC Basel war eine unglaublich tolle Herausforderung für mich.

Können Sie sich vorstellen, nochmals beim FCB als Trainer zu arbeiten?
Nirgends in der Schweiz liegt mehr Fussball in der Luft als in Basel. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass irgendein Schweizer Trainer «Nein» zum FCB sagen würde.

Wäre es nicht auch spannend, als Trainer bei einem Konkurrenten den FCB herauszufordern?
Natürlich wäre auch das spannend. Es gibt in der Schweiz leider nur zehn Trainerjobs auf höchstem Niveau. Aber es gibt Hunderte von Trainern, die gerne einen dieser zehn Jobs hätten.

Jetzt auf

Sind Sie finanziell überhaupt noch auf ein Engagement angewiesen?
Oh, das weiss ich nicht genau. Obwohl ich meine Finanzen selber regle. Ein bisschen geniesse ich das Leben, ein bisschen investiere ich in Immobilien und ein bisschen unterstütze ich meine grosse Familie. Ich teile mein Leben in Dekaden ein. In den Zwanzigern war ich Fussballprofi. In den Dreissigern wurde ich Trainer. In den Vierzigern durfte ich Vater werden.

Und was kommt danach? Bundesrat?
(Lacht laut.) Nein, nein. Bloss nicht. Ich brauche die Natur, die Bewegung, den Geruch des Rasens, die Atmosphäre in der Kabine, das Zusammenleben mit der Mannschaft, mit dem Staff.

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