Die ganz grosse Überraschung war es nicht mehr, als Marcel Hirscher seinen Rücktritt am Mittwochabend offiziell machte. Seit einer Woche war davon auszugehen gewesen, dass der im März 30-jährig gewordene Salzburger seinen Abgang von den Rennpisten verkünden würde.
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— Ski Austria Alpin Herren (@SkiAustria_Men) September 4, 2019
Ein Auftritt zur besten Sendezeit, im staatlichen Fernsehen als Live-Veranstaltung angekündigt, mit der «Lounge 5», einem angesagten Lokal in dem aus stillgelegten Fabrikhallen neu gestalteten «Gusswerk» in Salzburg, ein nicht alltäglicher Rahmen – die grosse Bühne war untrügliches Zeichen dafür, dass Hirscher «ganz Wichtiges» zu berichten hatte.
«Ich machs kurz und schmerzlos», sagte Hirscher bei seinem vorerst letzten Auftritt auf grosser Bühne. «Es ist ja keine Überraschung mehr. Heute ist der Tag, an dem ich meinen Aktiv-Karriere beenden werde.» Es gebe viele Gründe für diesen Entscheid, die ein grosses Ganzes ergeben. Er sprach die Motivation an, mit der es ab und zu nicht mehr zum Besten gestanden habe. «Zudem habe ich gemerkt, dass der Sommer fast zu kurz war, um zu regenerieren.»
Den Zeitpunkt erachtet Hirscher als ideal. «Es war mir wichtig, den richtigen Moment für den Rücktritt zu erwischen. Ich wollte immer als gesunder Athlet abtreten. Das ist mir gelungen. Ich möchte mit meinem Sohn Fussball spielen, ich will Motocross fahren und auf den Berg gehen ohne Beschwerden. Das alles kann ich tun. Und darüber bin ich froh.»
Mit Hirscher verabschiedet sich ein Athlet, der den alpinen Rennsport in der vergangenen Dekade geprägt hat wie kein anderer. Die Zahlen in seinem Palmares sind beeindruckend. Im Weltcup siegte er 67 Mal, insgesamt stand er 138 Mal auf dem Podium. Achtmal in Folge gewann er die Gesamt-Wertung, je sechs Mal die kleine Kugel für den Sieg im Riesenslalom- und im Slalom-Klassement. Sieben Mal wurde er Weltmeister, vor anderthalb Jahren beseitigte er mit den Olympiasiegen in der Kombination und im Riesenslalom den letzten Makel in seiner grossartigen Bilanz.
Seine hohe Begabung allein hat ihn nicht zu einem der Allergrössten seines Sports werden lassen. Hinter all den Erfolgen steckt auch immens viel Arbeit. Die Akribie, mit der Hirscher und sein Privatteam zu Werke gingen, und der damit verbundene Hang zum Perfektionismus waren im Weltcup-Zirkus einzigartig. Die stete Optimierung war für alle in der Equipe Marcel Hirscher oberstes Gebot. Ob Papa «Ferdl», wie der Filius ein Tüftler vor dem Herrn, Trainer Mike Pircher, Servicemann Thomas Graggaber oder Physiotherapeut Josef Percht – sie alle ordneten dem Fortschritt alles unter. Sie alle waren besessen von der Vorgabe, ihrem Fahrer die bestmöglichen Bedingungen zu bieten.
Hirscher selber hob den Skirennsport auf ein neues Niveau. Er verlieh der Professionalität eine neue Dimension. Mit seiner Gesinnung war er Vorreiter und Vorbild. Die Konkurrenten schauten zu ihm auf – und das eine oder andere bei ihm ab. Er diente ihnen als Orientierungspunkt. Die Lücke, die der Gesamtweltcupsieger der vergangenen acht Saisons hinterlässt, wird nicht nur im österreichischen Skiverband und bei seinem Ausrüster gross und nicht so schnell zu schliessen sein.
Mit Hirscher verliert die gesamte Szene eine Integrationsfigur, einen Garanten für Spektakel und fesselnde Wettkämpfe – und entsprechend an Strahlkraft. Als Seriensieger im Riesenslalom und im Slalom hat der Salzburger gezeigt, dass Monotonie nicht immer mit Langeweile gleichzusetzen ist.
Hirscher hat sich den Entscheid zum Rücktritt nicht leicht gemacht. Gefällt hat er ihn erst im zweiten Anlauf. Den ersten, auf Anfang August terminierten Versuch hatte er abgesagt. Die Zweifel und die Unsicherheit waren damals noch zu gross gewesen. Das Abwägen und das Eruieren von Vor- und Nachteilen waren ihm noch zu schwer gefallen und hatten ihm noch keine Klarheit verschafft.
Vier Wochen danach hat Hirscher die Lösung gefunden. Er hat sich eingestanden, sich nicht noch einmal aufraffen zu wollen, einen weiteren Winter sein Leben nach vorgegebenem Konzept auszurichten. Er ist nicht mehr gewillt, den immensen Aufwand auf sich zu nehmen. Zwölf Jahre im Weltcup haben Spuren hinterlassen. Das Streben, die Grenzen weiter zu verschieben und neue Massstäbe zu setzen, und der Anspruch, stets der Beste zu sein, hat seinen Tribut gefordert.
Eine Legende tritt ab: Danke @MarcelHirscher! Die ganze ÖFB Familie wünscht dir alles Gute für deine weitere Zukunft. @David_Alaba übernimmt das für uns. 💯🇦🇹 #Hirscher #Legende#GemeinsamÖsterreich pic.twitter.com/ByOptO5Lm0
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Ein Leben mit der Doppelbelastung als Familienvater und Skirennfahrer kam für Hirscher nicht mehr in Frage. Er hätte zu viele Kompromisse in beide Richtungen eingehen müssen. Die Situation wäre vorab im Berufsleben unbefriedigend geworden, denn der Skirennfahrer Hirscher duldet keine Halbheiten. Entweder hundert Prozent oder nichts – seine Devise hat er bis zuletzt aufrecht erhalten.
Noch einmal ist er seiner Konsequenz treu geblieben, die seinen Alltag als Spitzensportler bestimmt und ihn zu einem der ganz Grossen im Alpin-Bereich gemacht hat. Die vor dem vergangenen Winter ins Spiel gebrachte, schnell aber wieder verworfene Lösung, das eine oder andere Rennen zugunsten der Familie auszulassen, war diesmal nicht einmal im Ansatz eine Option.
Zuletzt hatte sich Hirscher immer schwerer getan, dem Skirennsport alles unterzuordnen. Seit der Heirat mit seiner langjährigen Lebenspartnerin Laura Moisl im vergangenen Juni und der Geburt des Sohnes im Oktober haben sich die Werte verschoben. Das Leben abseits vom Renn- und Trainingsbetrieb hatte stetig an Bedeutung gewonnen. Die Sehnsucht nach einem Leben in Ruhe und Abgeschiedenheit war zu gross geworden. Der Gedanke daran, sich der Öffentlichkeit entziehen zu können und nicht mehr Allgemeingut sein zu müssen, beschleunigte den Prozess ebenfalls.
Die Voraussetzungen für ein Berufsleben im gewohnten Rahmen waren deshalb nicht mehr gegeben. Der Wunsch, die Wandlung vom Skirennfahrer zum Familienmenschen zu vollenden, hat gegenüber der Hatz nach weiteren Medaillen, Titeln und Rekorden Überhand genommen. Selbst die Aussicht, die Bestmarke von 86 Weltcup-Siegen des Schweden Ingemar Stenmark übertreffen zu können, hat mittlerweile ihren Reiz verloren.
Hirscher hat die Zeichen der Veränderungen erkannt. Im Zuge seiner persönlichen Neuausrichtung, die noch nicht spruchreifen zukünftigen Projekte eingeschlossen, ist ihm nur der Rücktritt geblieben. Ungeachtet dessen, dass er erst 30 Jahre alt ist. (sda)
Ich bekam immer Gänsehaut wenn er im 2ten Lauf als Letzter zuoberst stand und dann das Rennen durch einen perfekten Mix von Aggressivität, Agilität, Kontrolle und Überzeugung gewann.
Er wirkte auch immer professionell und fair.
Die neue Slalom-Saison wird mit Jule, Kristoffersen, Zenhäusern ect. trotzdem sehr spannend werden.
Gott freu ich mich auf den Wintersport!!