Seit Jahrtausenden, vermutlich seit der neolithischen Revolution, sind Frauen in fast allen menschlichen Gesellschaften schlechter gestellt als Männer. Bis in die jüngste Vergangenheit dominierte das Patriarchat als vermeintlich gott- oder naturgegebene Ordnung. Wohl zu allen Zeiten dürfte es Frauen gegeben haben, die den engen Spielraum auszuweiten suchten, den ihnen diese Ordnung zugestand.
Doch erst in der Frühen Neuzeit begannen Vorläuferinnen der Frauenbewegung, das patriarchale System an sich infrage zu stellen – vorerst noch ohne greifbare Resultate. Als kollektive, zusehends organisierte Bewegung breitete sich der Feminismus dann ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika, später auch in anderen Gebieten aus. Dabei lassen sich grob drei Wellen unterscheiden.
Zu den frühesten Vorläuferinnen der Frauenbewegung gehört die französische Schriftstellerin Christine de Pizan, die 1405 – noch im späten Mittelalter – ihr utopisches Werk «Le Livre de la Cité des dames» veröffentlichte, in dem sie eine Gesellschaft beschreibt, in der Frauen gleiche Rechte geniessen wie Männer. Mehr als zweihundert Jahre später forderte dann Marie de Gournay, die aus verarmtem Landadel stammte, in «Égalité des hommes et des femmes» (1622) und in «Grief des Dames» (1626) die absolute Gleichheit der Geschlechter. Erst die ab ca. 1700 einsetzende Aufklärung bot indes mit ihrer Betonung der allgemeinmenschlichen Emanzipation einen intellektuellen Rahmen, in dem solche Gedanken nicht mehr a priori als absurd erscheinen mussten.
Mit der Französischen Revolution, die das Ancien Régime wegfegte und dessen Selbstverständlichkeiten erschütterte, kam auch die Frage der politischen Gleichberechtigung der Frauen aufs Tapet. Der Aufklärer Jean Antoine de Condorcet stellte etwa 1789 die Frage: «Warum sollte eine Gruppe von Menschen, weil sie schwanger werden können und sich vorübergehend unwohl fühlen, nicht Rechte ausüben, die man denjenigen niemals vorenthalten würde, die jeden Winter unter Gicht leiden und sich leicht erkälten?» Condorcets Ansicht konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Obwohl Frauen tatkräftig an der Revolution mitgewirkt hatten – etwa mit dem «Marsch der Frauen nach Versailles» im Oktober 1789 – blieben sie von der politischen Teilhabe weiterhin rigoros ausgeschlossen.
Zwei Jahre später veröffentlichte die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges die «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin». Die Schrift war eine Antwort auf die kurz nach Beginn der Revolution verkündete «Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte», die mündigen Bürgern – und damit waren einzig Männer gemeint – ihre Rechte garantierte. De Gouges hingegen forderte die volle rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der Frau.
Ihr Satz: «Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermassen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen», erwies sich als düstere Prophezeiung in eigener Sache. Olympe de Gouges wurde 1793 während der Schreckensherrschaft der Jakobiner durch die Guillotine hingerichtet, vornehmlich wegen ihrer Nähe zu den Girondisten, wohl aber auch wegen ihres Kampfs für die Rechte der Frau.
De Gouges war längst nicht die Einzige, die ihre Stimme gegen die Rechtlosigkeit der Frau erhob. Bereits 1790 hatte die englische Historikerin Catherine Macaulay ihre «Briefe über Erziehungsfragen» veröffentlicht, in denen sie Erziehung als Weg zur Erlangung gleicher Rechte beschrieb. Ihr Werk beeinflusste die Schriftstellerin Mary Wollstonecraft, die 1792 in ihrer «Verteidigung der Rechte der Frau» ebenfalls für das Recht auf Bildung eintrat und klar feststellte, dass Frauen zu Freiheit, Vernunft und Tugend begabt sind und nur die gesellschaftliche Lage sie ihrer Potenziale beraubt.
Zum Kreis dieser frühen Feministinnen zählten auch die niederländische Spionin Etta Palm oder Théroigne de Méricourt. Palm war während der Französischen Revolution unter anderem in der Société fraternelle des patriotes de l'un et l'autre sexe und im Club Patriotique de Femmes aktiv. De Méricourt galt als «Amazone der Französischen Revolution», weil sie die Bewaffnung der Frauen befürwortete.
Die Saat, die in den Jahren der Aufklärung und Revolution ausgebracht worden war, begann Mitte des 19. Jahrhunderts Früchte zu tragen. Etwa um diese Zeit wurde auch der Begriff «Feminismus» im modernen Sinn geprägt, und zwar in Frankreich. Hier verwendete ihn 1882 auch erstmals eine Frauenrechtlerin – Hubertine Auclert – als Selbstbeschreibung. Die Frauenbewegung entwickelte sich in dieser Phase in zwei unterschiedlichen Strömungen: einer bürgerlichen und einer sozialistischen.
In den USA wuchs die Frauenbewegung aus der Anti-Sklaverei-Bewegung – der Kampf gegen die Unterdrückung der Afroamerikaner schärfte den Blick für die Schlechterstellung der Frau. 1848 forderte eine Gruppe von Frauen und Männern in der «Declaration of Sentiments» gleiche Rechte für Frauen, insbesondere das Wahlrecht.
Erst nach dem Sezessionskrieg bildeten sich 1869 nationale Organisationen, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten. Sie schlossen sich 1890 zur National American Woman Suffrage Association (NAWSA) zusammen. Sie erzielte in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg bedeutende Erfolge, hauptsächlich in den westlichen Landesteilen, wo ab 1910 bei der Umwandlung von Territorien in Bundesstaaten das Frauenwahlrecht eingeführt wurde.
Auch in England gab es seit etwa 1830 Kampagnen für ein allgemeines Wahlrecht. Daraus entstand eine politische Bewegung, deren überwiegend aus bürgerlichen Kreisen stammende Mitglieder später Suffragetten (von «suffrage», deutsch «Wahlrecht») genannt wurden. Die Bewegung nahm mit der 1903 von Emmeline Pankhurst gegründeten Women’s Social and Political Union eine organisierte Form an.
Die radikale Bewegung kämpfte mit neuartigen Methoden für ihre Ziele: Sie organisierte Blockaden sowie unangemeldete Demonstrationen und provozierte Verhaftungen, die sie dann öffentlichkeitswirksam ausschlachtete. Die Behörden reagierten zusehends mit Gewalt auf die wachsende Bewegung; dies gipfelte im November 1910 im sogenannten Schwarzen Freitag, als die Londoner Polizei eine Frauendemonstration niederknüppelte. Zahlreiche Frauen wurden dabei von männlichen Zuschauern und Polizisten sexuell belästigt.
In Deutschland gründete die Autorin Louise Otto-Peters 1865 den Allgemeinen deutschen Frauenverein, der das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit forderte. Erst um die Jahrhundertwende entstanden nationale Frauenverbände, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten; der erste war der 1902 gegründete Deutsche Verein für Frauenstimmrecht. Neben den bürgerlichen Frauenverbänden entstanden bald auch sozialistische Vereine, deren Fokus jedoch eher auf der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der gleichen Entlohnung der Fabrikarbeiterinnen lag.
Die sozialistische Frauenbewegung war international ausgerichtet. Auf ihre Initiative geht der erste Internationale Frauentag zurück, der nach dem Vorbild amerikanischer Frauentage auf Antrag von Clara Zetkin und anderen beschlossen und am 19. März 1911 durchgeführt wurde. Mehr als eine Million Frauen gingen in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn und der Schweiz unter der Parole «Heraus mit dem Frauenwahlrecht!» für ihre Rechte auf die Strasse. Seit 1921 wird der Internationale Frauentag jährlich am 8. März gefeiert.
In der Schweiz reichen die Wurzeln der Frauenbewegung bis in die 1830er-Jahre zurück, als sich vornehmlich in den reformierten Gebieten lokale Frauenvereine formierten. Sie verfolgten aber vorerst lediglich gemeinnützige und soziale Ziele. Aus ihnen entwickelten sich in den 1870er-Jahren erste Ansätze einer organisierten Frauenbewegung. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs existierten mehrere grosse Frauenverbände auf nationaler Ebene, darunter der Schweizerische Arbeiterinnenverband (SAV), der 1890 gegründet wurde, und der Schweizerische Verband für Frauenstimmrecht (1909).
Als entscheidender Katalysator bei der Einführung des Frauenwahlrechts erwies sich der Erste Weltkrieg. Vor dieser Zäsur kannten nur wenige Staaten das Frauenwahlrecht: das trotz russischer Herrschaft weitgehend autonome Finnland, Norwegen sowie die britischen Dominions Neuseeland und Australien. Zunächst sorgte der Kriegsausbruch allerdings dafür, dass die Aktivitäten der Frauenrechtlerinnen nahezu vollständig zum Erliegen kamen. Doch die Mobilisierung der Männer für den Kriegsdienst brachte es mit sich, dass Frauen nun auf vielen Ebenen Tätigkeiten ausübten, die zuvor Männern vorbehalten waren. So wurden sie im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben sichtbar wie nie zuvor.
Teilweise noch während des Krieges und dann vornehmlich in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende führten viele Länder – von denen manche überhaupt erst jetzt als unabhängige Staaten existierten – sukzessive das Frauenwahlrecht ein. Damit verlor die internationale Frauenbewegung allerdings das einzige Ziel, das sie bisher über alle Differenzen hinweg geeint hatte. Ideologische Meinungsverschiedenheiten traten nun deutlicher hervor.
In der Schweiz wurden die Hoffnungen vieler Frauen auf die Einführung des Frauenstimmrechts freilich bitter enttäuscht. Zwischen 1919 und 1921 wurden in sechs Kantonen Abstimmungen zur Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen durchgeführt und überall mit grossen Mehrheiten des ausschliesslich männlichen Stimmvolks abgelehnt. Auch die 1929 im Nachgang zur Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) eingereichte Frauenstimmrechtspetition, die mehr als eine Viertelmillion Unterschriften erhielt, blieb erfolglos.
Die zweite Welle der Frauenbewegung begann erst in den Sechzigerjahren, als in den Industrieländern der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft einsetzte und sich eine neue «Wohlstandsgesellschaft» ausbildete. Zugleich sanken nun nach der Baby-Boomer-Phase – zuerst in den USA, dann auch in Westeuropa – die Geburtenraten markant. Ziel der neuen Frauenbewegung war nicht mehr primär die – in weiten Teilen bereits erreichte – Teilhabe am politischen Prozess, sondern Autonomie.
Starken Einfluss auf die neue Frauenbewegung hatte die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir mit ihrem 1949 veröffentlichten Werk «Le deuxième sexe» (deutsche Ausgabe: «Das andere Geschlecht»). Darin erteilte sie der Ansicht, es gebe eine spezielle «Natur des Weiblichen», eine deutliche Absage. Ihre Erkenntnis, dass eine Frau nicht als Frau geboren, sondern erst durch Rollenzuschreibung zur Frau gemacht werde, prägte in der Folge die feministische Debatte und nahm die Gender-Debatte der Neunzigerjahre vorweg.
Ausgehend von Vorstellungen des Existenzialismus beschrieb sie zudem die Zerrissenheit von Frauen zwischen dem Streben nach Autonomie und gesellschaftlichen Zwängen, die ein Leben in Freiheit verhindern. Und sie beleuchtete das komplexe, mitnichten eindeutige Zusammenspiel von Herrschenden und Beherrschten. Hier nahm sie auch das eigene Geschlecht in die Pflicht: «Zweifellos ist es bequemer, blinde Sklaverei zu erdulden, als an seiner Befreiung zu arbeiten …»
Mitte der Sechzigerjahre formierten sich in den USA in Abgrenzung zu traditionellen reformpolitischen Strömungen radikalfeministische Gruppen wie das Women’s Liberation Movement («Women’s Lib»). Sie gingen aus verschiedenen Strömungen hervor: der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, der studentischen Neuen Linken, der Bewegung für die Rechte der Ureinwohner und vor allem aus der Bürgerrechtsbewegung, die bereits seit den Fünfzigerjahren gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Minderheit kämpfte. Im Vergleich zu früheren Frauenbewegungen fokussierten die neuen feministischen Gruppen stärker auf Themen wie Sexualität, sexuellen Missbrauch und Schwangerschaftsabbruch.
In Deutschland markierte der sogenannte Tomatenwurf den Start der zweiten Welle: Die Studentin Sigrid Rüger, die sich über die mangelnde Aufmerksamkeit für Frauenfragen in der Studentenbewegung ärgerte, bewarf 1968 am Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) den männlich dominierten Vorstand mit Tomaten.
Auch in Deutschland wurde die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – die Streichung des § 218 – zu einem Kernthema der Bewegung: Starke Signalwirkung entfaltete 1971 die von der Feministin Alice Schwarzer initiierte Titelgeschichte im «Stern»: «Wir haben abgetrieben!» 374 Frauen bekannten sich darin zum Schwangerschaftsabbruch. Dieser ist heute in Deutschland nach wie vor rechtswidrig, aber in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei, falls vor dem Eingriff eine Beratung stattgefunden hat.
In der Schweiz hofften die Feministinnen auch nach dem Zweiten Weltkrieg vergeblich auf die Einführung des Frauenstimmrechts. Nach dem Aktivdienst kehrten die Männer ins Zivilleben zurück und übernahmen dort selbstverständlich wieder ihre Positionen. Die Appenzeller Feministin Elisabeth Pletscher sagte später dazu: «Wir sind damals, nach dem Krieg, ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Frauen nun auch ihre politischen Rechte bekommen. Das ist aber etwa gar nicht automatisch geschehen.»
Ein herber Schlag für die Schweizer Frauenbewegung war das wuchtige Nein des – nach wie vor ausschliesslich männlichen – Stimmvolks gegen die Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene am 1. Februar 1959. Diese vernichtende Niederlage führte zusammen mit den sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen der Sechzigerjahre dazu, dass die traditionellen Frauenbewegungen in der Schweiz immer mehr an Boden verloren.
Diese Erosion erfolgte zugunsten einer neuen Generation von Feministinnen, die nur noch zum Teil in der alten Frauenrechtsbewegung verankert war. Weltanschaulich wurzelte sie vielmehr in der Alternativbewegung und mehr noch in der Neuen Linken, die vorwiegend studentisch geprägt war und sich von alten sozialistischen Vorstellungen der etablierten linken Parteien distanzierte. So ging etwa Ende 1968 in Zürich die erste organisierte autonome Frauengruppe, die sich bald in Anlehnung an die amerikanische Women's Lib Frauenbefreiungsbewegung (FBB) nannte, aus der Studentenbewegung hervor. Sie entwickelte sich bald zur grössten Trägergruppe der Frauenbewegung nach 1968 in der Schweiz.
Zwar verknüpften die Frauen der FBB die Kritik am Patriarchat mit jener am Kapitalismus. Doch im Gegensatz zu ihren marxistischen Genossen sahen sie die Unterdrückung der Frau nicht als Nebenwiderspruch, der sich mit der Aufhebung des Kapitalismus von selbst lösen würde. Sie sahen darin vielmehr einen grundlegenden gesellschaftlichen Widerspruch und betrachteten den Feminismus als entscheidendes Vehikel der gesellschaftlichen Veränderung. Diese versuchten sie mit provozierenden und spektakulären Aktionen voranzutreiben.
So störte die FBB am 1. Februar 1969 die friedliche Gedenk-Kundgebung zum zehnten Jahrestag der verlorenen Abstimmung mit einem improvisierten Strassentheater, bei dem sich die Aktivistinnen als Sexualobjekte und Hausfrauen verkleideten. Dies illustrierte ironisch die Zwänge der Geschlechterrollen in der Kleinfamilie. Die neuen Feministinnen erklärten individuelle Alltagserfahrungen der Frauen – entsprechend dem Slogan «Das Private ist politisch» – mit den gesellschaftlichen Bedingungen. Sie wiesen darauf hin, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Frauen diskriminiert und weder Wirtschaft noch Gesellschaft ohne die Billig- und Gratisarbeit von Frauen funktionieren würden.
Deshalb war der Kampf für Kindertagesstätten und gegen die Lohndiskriminierung ein zentrales Anliegen der neuen Feministinnen. Auch in der Schweiz forderten sie den straflosen Schwangerschaftsabbruch und freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Damals tabuisierte Themen wie Vergewaltigung in der Ehe und Gewalt gegen Frauen wurden von ihnen aufgegriffen und in den öffentlichen Diskurs eingebracht. Damit und mit ihren unkonventionellen Methoden brachten sie neuen Schwung in die stagnierende Frauenbewegung.
Am 7. Februar 1971 nahmen schliesslich die stimmberechtigten Schweizer Männer das Frauenstimmrecht an. Die FBB löste sich 1989 am Tag ihres 20-jährigen Bestehens auf, obwohl eine ihrer wichtigsten Forderungen – die Fristenregelung für den legalen Schwangerschaftsabbruch – noch nicht erfüllt war. Dazu kam es erst 2002.
Die dritte Welle der Frauenbewegung lässt sich nur schwierig von der zweiten abgrenzen. Die Ziele sind weitgehend dieselben, und sie gelten als nach wie vor nicht vollumfänglich verwirklicht. Auch die dritte Welle nahm ihren Anfang in den USA, in den Neunzigerjahren. Sie war die Antwort auf einen antifeministischen «Backlash» und die verbreitete Meinung, die Ziele des Feminismus seien erreicht und dieser mithin obsolet.
Feststellbar ist eine Diversifizierung – negativ betrachtet Aufsplitterung – der Frauenbewegung, die sich weitgehend identitätspolitischen Ansätzen verdankt und ihre Wurzeln zum Teil in den Achtzigerjahren und noch früher hat. Die zunehmende Vielfalt verdankte sich der Integration von gruppenspezifischen Perspektiven – etwa von Migrantinnen, Schwarzen Frauen oder Lesben – in den feministischen Diskurs. Dies erfolgte auch als Reaktion auf den Vorwurf des Ethnozentrismus oder der Heteronormativität.
So kritisierte die einflussreiche feministische Aktivistin und Autorin Audre Lorde einen bürgerlichen, weissen Feminismus und betonte die Eigenart und Eigenständigkeit eines «Black Feminism»: «Schwarzer Feminismus ist kein weisser Feminismus in ‹Blackface›.» Lorde, die sich selber als «schwarz, lesbisch, Feministin, Kriegerin, Dichterin, Mutter» bezeichnete und in ihren Jahren in Deutschland die deutsche Frauenbewegung wesentlich beeinflusste, wurde zu einer Ikone des queeren, Schwarzen Feminismus. In Verbindung dazu steht der postkoloniale Feminismus, der nicht von einer kollektiven weiblichen Identität ausgeht, sondern Ungleichheiten einbezieht, die aus historischen Erfahrungen – etwa Kolonialismus – resultieren.
Aus dem Schwarzen Feminismus entwickelte sich der intersektionale Feminismus, der neben Sexismus auch andere, sich überlappende und gegenseitig verstärkende Diskriminierungsformen identifiziert – beispielsweise Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung. Den Begriff «Intersektionalität» prägte 1989 die amerikanische Rechtsprofessorin Kimberlé Crenshaw.
Äusserst einflussreich war der Beitrag der amerikanischen Philosophin Judith Butler. Vor allem mit ihrem 1990 erschienenen Werk «Gender Trouble» (deutsche Ausgabe: «Das Unbehagen der Geschlechter») führte sie das Konzept «Gender» in feministische Debatten ein. Der Annahme einer durch die Anatomie definierten Geschlechtsidentität setzte sie die Idee des Geschlechts als kulturelles Konstrukt entgegen. Die aktuelle Queer-Theorie ist ohne Butler nicht denkbar.
Der Feminismus entwickelte sich damit zu einer Ideologie, die sich nicht nur mit der Identität der Frau befasst, sondern mit der Kategorie Geschlecht als Ganzes. An die Stelle der weissen, heterosexuellen Frau, die von Männern unterdrückt wird, setzte Butler alle diskriminierten Geschlechter. Der Gegensatz zwischen Mann und Frau trat für sie in den Hintergrund; als entscheidende Frage stellte sie den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbestimmung aller Geschlechter in den Mittelpunkt. Damit bereitete sie den Boden für die Anerkennung einer «dritten Option» der Geschlechtlichkeit – divers, nonbinär – und für die Öffnung des Feminismus auch für Männer, die in und an patriarchalen Gesellschaften leiden.
Butlers These des Geschlechts als ausschliesslich kulturelles Konstrukt – und ebenso ihr Versuch, feministische Theorie ohne das Subjekt «Frau» zu denken – rief allerdings Widerspruch hervor. Wenn das biologische Geschlecht und die Kategorie «Frau» verschwinden, wie kann dann die Diskriminierung weiblicher Menschen benannt und bekämpft werden? Zudem wurde Butler die Negierung konkreter sinnlicher Erfahrungen von Weiblichkeit und Männlichkeit vorgeworfen, etwa von der Medizinhistorikerin Barbara Duden, die Butler 1993 in «Die Frau ohne Unterleib» die Vernachlässigung der materiellen Dimension von Geschlecht und Körper ankreidete.
Butlers dekonstruktivistischer Feminismus kann als moderne Unterart des älteren Gleichheitsfeminismus gesehen werden. Dieser geht davon aus, dass Frauen und Männer gleich sind und Unterschiede nicht biologische, sondern gesellschaftliche Ursachen haben. Im Gegensatz dazu nimmt der Differenzfeminismus einen grundlegenden Unterschied zwischen den Geschlechtern an, der oft biologisch begründet wird. Der Gegensatz dieser beiden feministischen Strömungen widerspiegelt letztlich die Dichotomie von «Kultur» und «Natur», die bei der Bestimmung der Geschlechter und Geschlechterverhältnisse jeweils als grundlegend herangezogen werden. Jede Epoche handelt die Relation zwischen Kultur und Natur neu aus; derzeit dominiert in der feministischen Theorie eine konstruktivistische Kulturperspektive.
Wesentlichen Schub erhielt die dritte Welle des Feminismus ab 2017 durch die #MeToo-Bewegung. Ihr ging in den deutschsprachigen Ländern die #aufschrei-Debatte voraus, die 2013 von einem Bericht der deutschen Journalistin Laura Himmelreich über eine von ihr als sexuell übergriffig empfundene Begegnung mit dem Politiker Rainer Brüderle ausgelöst wurde. Unter dem Hashtag #aufschrei schilderten zahlreiche Frauen auf Twitter ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus. In der Schweiz diente der 2016 lancierte Hashtag #SchweizerAufschrei diesem Zweck.
Die internationale #MeToo-Bewegung entstand, nachdem mehrere Frauen den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein der Vergewaltigung oder sexuellen Belästigung beschuldigt hatten. Die Schauspielerin Alyssa Milano postete darauf einen Tweet, in dem sie schrieb: «Wenn du sexuell belästigt oder angegriffen wurdest, schreibe ‹Me too› als Antwort auf diesen Tweet.» Die Wendung «Me Too» stammte von der Schwarzen Aktivistin Tarana Burke, die sie bereits 2006 geprägt hatte. Burke kritisierte die #MeToo-Bewegung später: Sie ignoriere die Arbeit afroamerikanischer Frauen zur Forderung eines Dialoges über sexuelle Gewalt.
Der Hashtag trendete sehr schnell in zahlreichen Ländern und löste eine breite Debatte aus. Mehrere prominente Männer wurden sexueller Übergriffe beschuldigt, was für einige von ihnen berufliche oder gar juristische Konsequenzen nach sich zog.
Zwar wurde auch Kritik an der #MeToo-Bewegung laut – sie privilegiere etwa prominente weisse Frauen, während potenziell stärker gefährdete Schwarze Frauen und Frauen aus der Unterschicht sich weniger Gehör verschaffen könnten. Oder sie trivialisiere Vergewaltigung durch die Vermengung von Gewalt, Missbrauch und Anmache. Gleichwohl machte die Bewegung in noch nie dagewesener Weise deutlich, wie erschreckend weitverbreitet die Erfahrung sexueller Übergriffe ist.
Auch in der Schweiz formierten sich gruppenspezifische feministische Verbände, so 1989 der Dachverband von und für frauenliebende Frauen LOS, der die Anliegen lesbischer, bisexueller und queerer Frauen vertrat. Er setzte sich erfolgreich für die Annahme des Partnerschaftsgesetzes für gleichgeschlechtliche Paare und die gesetzliche Verankerung der «Ehe für alle» ein. In den Neunzigerjahren bildeten sich zudem – unter dem Einfluss von Audre Lorde – Vereine Schwarzer Frauen in den grössten Schweizer Städten sowie die Bewegung Women of Black Heritage. Sie wurden 2013 vom schwarzfeministischen Netzwerk Bla*Sh abgelöst.
Der Feminismus der dritten Welle vermochte in der Schweiz verschiedentlich beeindruckende Massen zu mobilisieren. So etwa im Jubiläumsjahr 1991 – 20 Jahre nach der Annahme des Frauenstimmrechts –, als am ursprünglich von einer gewerkschaftlichen Frauengruppe lancierten Frauenstreik mehr als eine halbe Million Frauen teilnahmen. Sie protestierten damit unter anderem gegen die ungenügende Umsetzung des Gleichstellungsartikels.
Auch der zweite nationale Frauenstreik 2019 konnte eine halbe Million Menschen mobilisieren. Mitgetragen wurde er vom gesamten Spektrum der Frauenbewegung – von den Landfrauen über die BPW und Gewerkschaftsfrauen bis zu LGBT+-Gruppen der Queer-Bewegung. Bei der landesweiten Aktion wurden nun auch vermehrt die Diskriminierungserfahrungen von Migrantinnen thematisiert. Während in den Städten zudem die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit im Zentrum der Aktionen stand, war es auf dem Land auch die benachteiligte Stellung der Bäuerinnen.
Der diesjährige Streik, bei dem verbesserte Arbeitsbedingungen für Frauen, höhere Renten, die Einführung einer Elternzeit sowie eine Nulltoleranz bei sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz im Zentrum stehen, ist mit dem Attribut «feministisch» versehen. Die Intention dabei ist Inklusion: Es sollen alle feministischen Menschen angesprochen werden – Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Zugleich verrät der Verzicht auf die Bezeichnung «Frauenstreik» einen stark linksfeministischen Einfluss; eine Exponentin vom feministischen Streikkollektiv Bern betonte denn auch, es gehe um die Veränderung des «patriarchalen und kapitalistischen Systems».
Wenn eine Frau ein Kind bekam, ohne verheiratet zu sein, gab es zwei Optionen. Entweder kam die Frau mit Kind ins Gefängnis oder nur die Frau kam ins Gefängnis und das Kind in ein Heim. Und diese Heime waren eine Katastrophe für die Kinder.