Schwingen ist der einzige Sport mit exakten Zahlen zur Werbung. Die Bösen dürfen heute Werbegelder kassieren (was noch im letzten Jahrhundert verboten war) – im Gegenzug liefern sie zehn Prozent ihrer Werbeeinnahmen dem Schwinger Verband (ESV) ab. Das Geld wird zweckgebunden in die Nachwuchsausbildung investiert.
Diese «Reichtumssteuer» hat der damalige Obmann Ernst Schläpfer im Jahre 2011 eingeführt. Im Herbst nimmt Verbandsgeschäftsführer Rolf Gasser jeweils Einblick in die Werbeverträge und schreibt Ende Oktober jedem die entsprechende Steuerrechnung.
Die Zahlen dokumentieren den Boom des vaterländischen Sportes. So viel Geld ist seit 2011 für Werbung im Schwingen ausgegeben worden:
2017 dürfte die Zwei-Millionen-Schallmauer fallen. Denn 2017 vermarktet sich neu auch Matthias Glarner als König. Charismatische Könige (es gibt keine Ex-Könige, wer einmal König war, trägt diesen Titel für immer) wie Kilian Wenger und Matthias Sempbach sowie Christian Stucki, der «König der Herzen», sind weiterhin aktiv und eine neue Generation von wilden, für die Werbung attraktiven Jungen drängt weiter nach oben. Vielleicht hat es noch nie so viele so attraktive «Böse» gegeben wie 2017 – alleine im Bernbiet wird jedes Schwingfest mit Wenger, Sempach und Glarner zu einem «Dreikönigs-Tag».
Wie viel Geld verdienen die einzelnen Schwinger mit Werbung? Offizielle Zahlen gibt es nicht. Alle in den Medien genannten Werbeeinkommen der einzelnen «Bösen» sind Schätzungen, und die Beteiligten hüten sich, Zahlen zu nennen oder zu bestätigen.
Eine Umfrage ergibt erstaunliche Summen. Das Werbeeinkommen des entthronten Königs und Kilchberg-Siegers Matthias Sempach wird von Branchenkennern auf etwa 750'000 Franken geschätzt. Auch Kilian Wenger, der König von 2010, verdient nach den gleichen Quellen über 600'000 Werbefranken. Christian Stucki, dem Schlussgang-Verlierer von 2013 und «König der Herzen», wird ein «königliches Werbeeinkommen» zwischen 300'000 und 500'000 Franken attestiert. Hinter diesen Titanen gibt es eine ganze Reihe von Schwingern, die gemäss Kennern fünf- bis knapp sechsstellig mit der Werbung verdienen. Das Geld liegt offensichtlich im Sägemehl. Die Bösen müssen es nur aufheben.
Das Problem ist bloss: Wenn wir die Schätzungen der Insider addieren, dann müsste das gesamte Werbevolumen der Schwinger inzwischen über drei Millionen Franken ausmachen. Die Werbe-Einkommen der einzelnen Schwinger werden nach wie vor überschätzt.
Rolf Huser, der ehemalige Mitarbeiter der Vermarktungsagentur IMG (International Management Group), ist einer der besten Szenenkenner. Als Pionier hat er 2008 mit Jörg Abderhalden die erste professionelle Vermarktung eines Schwingers aufgegleist. Er bestätigt, dass auf dem Werbemarkt nur die Titanen Matthias Sempach, Kilian Wenger und Christian Stucki und der neue König Matthias Glarner das Potenzial für sechsstellige Werbeeinnahmen haben. Und er schliesst aus, dass ein «Böser» eine halbe Million oder gar mehr verdient und sagt: «Die Obergrenze für einen einzelnen Schwinger dürfte zwischen 300'000 und 400'000 Franken liegen.» Verbandsgeschäftsführer Rolf Gasser gibt zu bedenken: «Der Werbemarkt beschränkt sich auf die Deutschschweiz.»
Am Ende ist es wohl wie im richtigen Leben: viel für ein paar wenige und wenig für viele. Immerhin gibt es eine gewisse Demokratisierung: 2011 teilten sich knapp 30 «Böse» das Werbegeld. Jetzt sind es 62. «Aber der grösste Teil verdient mit der Werbung bloss einen Zustupf», sagt Rolf Gasser.
Zehn Schwinger dürften 80 Prozent der Gesamtsumme für sich beanspruchen. Somit beschränkt sich die Möglichkeit des Geldverdienens ziemlich genau auf den Kreis der eidgenössischen Kranzgewinner. Sechsstellige Werbeeinahmen fliessen nur für die drei Könige Kilian Wenger, Matthias Sempach und Matthias Glarner sowie Christian Stucki. Also nur für Berner, die wenigstens im Schwingen keine Gelder aus anderen Kantonen für den Finanzausgleich brauchen. Für die «wilden» Jungen – allen voran Armon Orlik – muss es das Ziel sein, 2017 ein sechsstelliger Böser zu werden. Der Unspunnen-Schwinget (27. August) hat daher nicht nur eine grosse sportliche, sondern auch eine kommerzielle Bedeutung.
Schwingen prosperiert finanziell und ist sportlich erstaunlich stabil. Seit Jahren pendelt die Zahl der Aktiven stabil um etwa 6000 – die Hälfte davon Jungschwinger. Rolf Gasser sagt: «Damit das weiter so bleibt, ist es wichtig, dass wir durch unseren Anteil an den Werbeeinnahmen in die Nachwuchsarbeit investieren können.»
Soeben ist ein neues Schwinger-Lehrbuch erarbeitet worden. Seit dem 1. Januar 2017 ist der ESV Mitglied von Swiss Olympic mit allen Rechten und Pflichten. Ein historisches Datum: Zum ersten Mal seit der Gründung (1896) duldet der ESV fremde Richter. Dopingkontrollen haben die Schwinger zwar auch bisher durchgeführt – aber seit dem 1. Januar werden Doping-Vergehen nicht mehr von der verbandseigenen Justiz sanktioniert. Sondern von Swiss Olympic. Also von fremden Richtern. «Das ist im Sinne der Transparenz und der Gewaltentrennung gut so», sagt Rolf Gasser.