Slalom fahren ist hart. Zehn Weltcup-Slaloms nacheinander auf dem Podest beenden ist pickelhart. Der deutsche Skistar Felix Neureuther hat genau das geschafft. Und die Klassiker Adelboden, Wengen und Kitzbühel kommen erst noch – vor der WM im Februar!
Er ist cool, wild, verwegen, ein Rock’n’Roller auf der Piste. Gleichzeitig ist er bodenständig, authentisch und supersympathisch. Und er hat jetzt schon Angst davor, eines Tages ohne die Wahnsinns-Emotionen, die der Skisport bietet, auskommen zu müssen. Aber noch ist es nicht soweit. Felix Neureuther schwimmt auf der Erfolgswelle und hat endlich die Konstanz gefunden, die er in der Vergangenheit vermisste. Vor einem Jahr gewann er den Riesenslalom in Adelboden – 40 Jahre nach dem letzten deutschen Riesenslalom-Sieger. Mit seinem Kumpel Marco Büxi Büchel sprach er über Kreativität, seinen ersten Kuss und die letzten zwei Minuten im Starthaus.
watson: Felix, deine Facebook Posts sind herrlich kreativ, zuweilen selbstironisch und
heben sich angenehm von den herkömmlichen Selfies ab. Sind die alle auf deinem
Mist gewachsen oder hast du einen kreativen Berater?
Felix Neureuther: Die sind zum grössten Teil auf meinem Mist gewachsen. Ein bisschen kümmert sich
auch meine Schwester im Hintergrund darum. Sie ist ein sehr kreativer Kopf. Ich finde
es einfach total langweilig, wenn einer die ganze Zeit das Handy vor den Kopf und den
Daumen hoch hält und abdrückt. Facebook, Instagram und all das ist doch da, um die
Leute zu unterhalten. Wenn ich was Witziges seh, dann fotografier ich das und stell's ins
Netz. Mir macht das Spass.
Deine Schwester Ameli ist eine superkreative und bekannte Modedesignerin.
Deine Vorvorfahren waren ebenfalls sehr kreativ. In deiner Ahnengalerie gibt’s
Illustratoren, Maler, Architekten. Steckt auch in dir ein Künstler?
Das stimmt. Ich stamme eigentlich von einer Künstler- und Ärztefamilie ab. Es gibt auch
eine Neureuther-Strasse in München, die nach einem Vorfahren väterlicherseits benannt
ist. Aber bei mir ist kreativ und künstlerisch nullkommajosef hängen geblieben. Das hat
alles meine Schwester abbekommen. Bei mir? Echt, nullkommanull!
Hättest du denn gerne was davon abgekriegt?
Ja, sehr gerne. Meine Schwester macht aus einem weissen Blatt Papier ein Kunstwerk
wo jeder davor steht und sagt: «Wow!» Kunst ist was Nachhaltiges. Ein Kunstwerk kannst
du immer wieder anschauen und es fasziniert dich immer wieder. Deswegen bin ich
auch sehr, sehr stolz auf meine Schwester und ihre Fähigkeit, Unglaubliches zu schaffen.
Der Sport ist hingegen so vergänglich, so kurzzeitig. Man ist so schnell vergessen.
Wieviel Kreativität steckt eigentlich im Skirennsport?
Viel. Ein Laie denkt vielleicht, wir fahren einfach um die Stangen rum einen Hang runter.
Aber es steckt eben sehr viel mehr dahinter. Skifahren hat - rein vom Körperlichen
her - was mit Akrobatik zu tun. Gerade im Slalom. Da musst du kreativ sein, um in
Problemsituationen schnelle Lösungen zu finden. Du musst du manchmal extrem schnell
reagieren und diese Reaktion ist halt sehr individuell. Das ist reine Intuition. Und ich
glaube, dass Intuition auch mit Kreativität zu tun hat.
Apropos Kreativität: Wenn du könntest, was würdest du am Skizirkus ändern? Go
crazy! Dream big!
Ich würde probieren, den Zuschauer näher an den Sport heranzubringen. Im Slalom
könnten die Zuschauer noch viel, viel näher an uns Läufer hin. Das wäre für den
Zuschauer viel spektakulärer. Das Ziel könnte man viel weiter nach vorne schieben.
Kein Slalomläufer braucht hundert Meter, um im Ziel abzubremsen. Man könnte uns
Läufer mit Mikros verstöpseln, so dass man die ganzen Emotionen am Start mitkriegt:
wie atmet der jetzt, was sagt er noch kurz vor dem Start, wie ist es unter dem Lauf.
Ich würde einfach die ganzen Emotionen näher an den Zuseher ranbringen. Das
wäre echt so einfach. Das könnte man nicht nur für die Fernsehzuschauer so machen,
sondern auch für die Leute die live vor Ort sind. Vor ein paar Jahren gabs mal so ein
Experiment mit Bode Miller. Die haben ihm ein Pulsband umgehängt und dann seinen
Puls eingespielt auf der grossen Leinwand unten im Ziel. Gleichzeitig lief „Highway to
Hell“ von AC/DC. Ich stand unten im Ziel und dachte mir: wow, das ist so geil!
Warum macht man das nicht? Woran scheitert's?
Ich hab's der Verantwortlichen schon mal gesagt. Aber – keine Ahnung – mehr als sagen
kann ich's nicht. Obwohl, ich muss es ihr wohl nochmals sagen (lacht.)
Kannst du mir einen Einblick gewähren in deine letzten zwei Minuten vor dem
Start?
Das sind genau die Momente - oben im Starthaus und wenn du unten im Ziel
abschwingst - die du sonst im Leben niemals so extrem erfahren wirst. Das sind genau
die Momente, weshalb wir den Sport machen. Diese mega Anspannung am Start, bevor
du dich ins Ungewisse stürzt. Wenn du unten abschwingst und alles, die ganze krasse
Anspannung die du vorher aufgebaut hast, von dir abfällt. Das ist echt ein Gefühl, das
ist unbeschreiblich. Ich glaube, das ist auch das Schwierigste, wenn du als Sportler
aufhörst. Wie willst du dieses Gefühl wieder annähernd bekommen? Das ist doch brutal
schwierig, wenn du das gewohnt bist, und plötzlich kommst du einfach nicht mehr
dahin. Da hab ich echt heute schon einen Riesenrespekt.
Konkret: Was sagt da dein Herz? Was dein Bauch? Was dein Kopf? Und welcher
von den dreien hat die grösste Klappe?
Der Kopf hat wohl die grösste Klappe. Der sagt: Vollgas!
Kannst du da noch in Sätzen denken? Oder kommen da nur noch Wortfetzen?
Bei mir kommen immer diese drei Dinge: Breit, stabil, aussen drauf! Das heisst: von
der Skiführung her ein bisschen breiter stehen, vom Rumpf her stabil sein und mit dem
Oberkörper auf den Aussenski draufgehen. Das sind meine drei Sätze vor dem Start. Dann
kommen die Stöcke über das Startgate, ich nehm mich voll zusammen und sag mir:
C’mon Baby! Und dann geht’s los. Dieses C’mon Baby ist für mich brutal wichtig. Das ist
mein Signal, dass es jetzt losgeht. Und dann weiss ich, dass jetzt alle Sensoren auf «ON»
sind.
Gibt’s da noch den Bauch der sagt: Uhh gefährlich, steil, eisig?
Nein. Der ist komplett weg.
Das Herz? Denkst du noch für einen Moment an deine Freundin oder so?
Eigentlich relativ wenig, weil du so auf das, was du grad vor dir hast, fokussiert bist. Es
gibt aber schon ganz witzige Momente unter der Fahrt. Wenn ich zum Beispiel, wie in
Adelboden, über diesen letzten ganz krassen Übergang in den Zielhang komme, dann
lausch ich immer ein bisschen wie die Zuschauer reagieren. Wenn die ganz laut sind
weiss ich, dass ich schnell bin. Wenn die ganz leise sind, dann denk ich: hmmm, nicht
so schnell. Solche Momente gibt’s schon. Ich hab mir beim letzten Rennen gedacht bei
einem Übergang: ahh schau, mein Coach, hallo servus. Das ist dann schon witzig!
Deine Mutter hat mal gesagt: «Wenns dem Felix keinen Spass mehr macht, dann
muss er was anderes machen.» Was könnte das sein?
Ich kann nix anderes, das ist mein Problem (lacht). Ich bin glücklicherweise so
aufgewachsen, dass ich nie zu etwas gedrängt wurde. Das einzige, das ich wirklich
machen musste, war das Abitur. Ich weiss von mir selber: wenn’s mir keinen Spass
macht, dann hör ich auf. Das kann bei mir sehr spontan und sehr schnell passieren.
Weil du sehr spontan bist...
Genau. Absolut. Ich bin kein grosser Überleger und nullkommanull Planer. Aber was
ich dann machen würde? Ich hab jetzt schon mein zweites Buch rausgebracht - «Beweg
dich schlau» - weil mir die Arbeit mit Kindern einfach sehr viel Spass bereitet. Denen die
Freude an der Bewegung beizubringen und die wieder näher ans Skifahren, an die Berge
zu bringen, das ist einfach cool. Es würde wohl so was in diese Richtung sein.
Was wissen sonst noch die wenigsten von dir, obwohl’s ein wesentlicher Teil von
dir ist?
Phuuu, eine schwierige Frage (überlegt lange). Es ist oft so, dass man den Stil, wie einer
skifährt, auch eins zu eins auf den Menschen übertragen kann...
Ohhh, interessant, erzähl...
Ja, wirklich. Ich sage mal, ich war ein sehr tollpatschiger Mensch im Leben, war absolut
unorganisiert, einfach immer mit dem Kopf durch die Wand. Ich bin ja auch Widder im
Sternzeichen. Aber dann hab ich mich entwickelt zu einem, der sich schon ein bisschen
mehr überlegt, was er macht. Das sieht man jetzt auch an den Resultaten, dass da jetzt
eine Konstanz ist. Aber ja, ich weiss nicht, ich denke, dass ich ein sehr bodenständiger
Mensch bin, dem die Familie und das Zuhause das absolut Wichtigste ist.
Sag, diese Welle auf der du momentan reitest, ist das dieser berühmt berüchtigte
Flow, oder ist es immer noch pickelharte Arbeit?
Es ist harte Arbeit und das Resultat von den ganzen Jungs, die um mich rum sind. Vom
extrem guten Material über die Trainer, wir haben einfach eine perfekte Truppe.
Aber ist es so, dass du momentan einfach locker runterfahren kannst und du
stehst auf dem Stockerl? Fällt dir momentan einfach alles leicht?
Nein. Absolut nicht. Es ist immer noch harte Arbeit. Und ich weiss diese Erfolge auch
einzuschätzen. Da steckt auch Demut dahinter. Und das ist auch ganz, ganz wichtig, dass
man Dinge nicht selbstverständlich nimmt. Ich schätze dieses Privileg absolut.
Findest du es eigentlich manchmal schade, dass du auf deinen Sport und
demzufolge auf Resultate reduziert wirst? Denkst du dir manchmal, du hättest
doch noch viel mehr zu bieten?
Soviel mehr hab ich nicht zu bieten (lacht). Es hat mich in der Anfangsphase im Weltcup
genervt, dass da immer diese Vergleiche mit meinen Eltern waren. Da wurde ich echt
auf den «Sohn von» reduziert und eigentlich nie als Felix angenommen. Das hat sich
erst jetzt, durch meine Erfolge, geändert. Lustigerweise hab ich heute überhaupt kein
Problem mehr damit, über meine Eltern zu reden. Früher war das so. Jetzt nehm ich das
anders wahr.
Müsstest du dein Leben in fünf Schlüsselstellen einteilen, welche wären das?
Das wäre der erste Tag, an dem ich Skifahren gelernt hab; Dann der erste Kuss, der war
super, überragend, das war für mich der Wahnsinn; Dann sicher Olympia 2006, das hat
mich so unfassbar geprägt, weil ich komplett versagt und nur auf die Fresse bekommen
hab. Das war so ein Wendepunkt in meinem Leben, da wusste ich: Burschi, so geht’s
nicht weiter; Dann der erste Sieg in Kitzbühel. Und die fünfte Schlüsselstelle war, als
ich letztes Jahr meine Freundin kennengelernt hab (Miriam Gössner, eine deutsche
Biathletin und Skilangläuferin); Und natürlich hat auch Buddy, mein Hund, mein Leben
absolut positiv verändert.
Glaubst du, dass der Höhepunkt deines Lebens schon hinter dir liegt? Oder kommt
der noch?
Der kommt sicher noch. Auf jeden Fall! Ich glaube, man sollte auch danach leben, weil
das Wissen, dass noch irgend etwas Cooles, etwas extrem Schönes kommt, so dermassen
viel Auftrieb gibt.
Was ist das schönste Kompliment, das man dir machen kann?
(Überlegt lange, sagt erst etwas nicht ganz jugendfreies, überlegt dann nochmals lange
und sagt dann:) Dass ich ein normaler Mensch bin. Einer, ohne irgendwelche gestörten
Sachen, einfach ganz normal. Das wäre das schönste Kompliment für mich.