Sag das doch deinen Freunden!
Der Ort Berchtesgaden hat, neben dem zwiespältigen Ruf als zeitweiliger Regierungssitz im Dritten Reich, auch im Skisport eine historische Dimension. Dort fand am 5. Januar 1967 das erste Weltcup-Rennen statt. Der Österreicher Heini Messner ging als Slalomsieger hervor. Auch im Schweizer Skisport bildet Berchtesgaden einen Eckpunkt, der hoffentlich bald Geschichte sein wird.
Dort feierte Marlies Oester am 20. Januar 2002 den letzten Schweizer Slalomsieg – ex aequo mit der Amerikanerin Kristina Koznick und vor der damaligen Überfliegerin Janica Kostelic. 19. war eine gewisse Marlies Schild, 21. Maria Riesch, und den 24. Rang belegte, man höre und staune, eine 17-jährige Slowakin namens Veronika Zuzulova, die Siegerin der beiden letzten Weltcup-Slaloms in dieser Saison in Flachau.
Die 39-jährige Marlies Oester ist hingegen längst Ski-Rentnerin, inzwischen Mutter einer kleinen Nina und heisst standesamtlich Rohrer. 2006 ist sie vom Skirennsport zurückgetreten, nachdem sich die Heilung eines Kreuzbandrisses in die Länge gezogen hatte und sie im Verband nicht jene Struktur vorfand, die ihren Vorstellungen entsprach.
«Als ich aufhörte», so Oester, «habe ich mit dem Verband und den Trainern gesprochen und ihnen zu verstehen gegeben, dass ich andere Voraussetzungen bräuchte, um vorwärtszukommen.»
Damals bestand das A-Kader gerade noch aus zwei Athletinnen, aus ihr und Rabea Grand, die zusammen mit den Nachwuchsfahrerinnen trainierten: «Mir nützte es nichts, wenn ich im Training eine Sekunde vor den andern war. Ich wusste nicht, was das wert ist. In den Rennen fehlte mir die Sicherheit.» Marlies Oester regte Trainingsgemeinschaften mit Ausländerinnen an und gelegentliche Trainings mit den Männern. Sie stiess auf taube Ohren.
Deshalb ist sie von der langen Durststrecke im Slalom nicht überrascht: «Das Loch hat sich schon am Ende meiner Aktivzeit abgezeichnet.» Opfer der Situation sei die nächste Generation gewesen mit so begabten Fahrerinnen wie Sandra Gini, die so ihr Potenzial nicht voll habe ausschöpfen können: «Aufgrund ihrer Fähigkeiten wäre mehr möglich gewesen.» Deshalb staune sie, wie es Wendy Holdener oder auch Michelle Gisin geschafft hätten, praktisch aus dem Nichts auf das heutige Niveau zu kommen: «Sie pushten sich gegenseitig und jetzt pushen schon die noch Jüngeren wie Charlotte Chable. So sollte es sein.»
«Eigentlich», so Oester, «ist es traurig, dass es so lange dauert, bis wieder mal eine Schweizerin einen Slalom gewinnt». Aber sie verhehlt nicht: «Es ist auch ein gewisser Stolz dabei.» Die bisher letzte Negativ-Marke ist im Dezember in Val d’Isère ausgelöscht worden, als Lara Gut nach 26 Jahren Brigitte Oertli als letzte Kombinationssiegerin ablöste. Aber in den Kombinationen fanden in dieser Zeitspanne von 26 Jahren nur 42 Wertungen statt. Im Slalom sind in den über 14 Jahren seit dem Oester-Triumph 125 Rennen durchgeführt worden – ein trauriges Jubiläum.
Marlies Oester sieht, wenn sie es irgendwie einrichten kann, die meisten Rennen am Fernsehen. Als vor kurzem wieder einmal ihre potenziellen Nachfolgerinnen am Sieg schnupperten und sie nicht zuschauen konnte, kam von ihrem Gatten ein SMS: «Marlies, dein Thron wackelt!»
In ihrer neuen Rolle als Mutter hat die auf Egoismus getrimmte Ex-Spitzensportlerin an sich völlig neue Charakterzüge entdeckt: «Ich hätte nie geglaubt, dass ein Kind einen so verändern kann. Und dass man für jemanden so tiefe Gefühle empfinden kann.» Sie hätte sich einst sogar die Frage gestellt, ob sie überhaupt fähig sei, eine solche Verantwortung zu übernehmen. «Und jetzt», staunt sie, «bin ich eine Gefühlsduslerin und Heulsuse geworden, die sich – als Beispiel – emotionale Filme anschaut, die mich früher nie interessiert hätten.»
Auch bei Skirennen geht bei der Adelbodnerin, die einen Steinwurf vom Chuenisbärgli entfernt wohnt und im Skiklub als Kassierin dem Vorstand angehört, verständlicherweise der Puls hoch. Sie fiebert mit, drückt Wendy und Co. den Daumen und hofft auf eine baldige Entthronung. Schon heute in Crans-Montana?